Winter-Fußball-WM in Katar: Jeden Tag ein Türchen, äh Törchen
Die Fifa empfiehlt, die Weltmeisterschaft 2022 in Katar auf den Winter zu legen. Hitzetote Sportler kann ja niemand wollen! Hitzetote Bauarbeiter schon eher.
M an stelle sich einmal vor, Katar hätte von Anfang an offensiv darum geworben, 2022 in der Vorweihnachtszeit eine Fußball-WM ausrichten zu dürfen. Die großen Fifa-Adventsspiele. Jeden Tag ein Türchen und im besten Fall ein paar Törchen dazu. Die große Bescherung wäre wohl ausgeblieben.
Als absurd hätten die konservativen Fifa-Funktionäre dieses Ansinnen abgetan und gewiss auf das Gewohnheitsrecht gepocht: Weltmeisterschaften haben schon immer im Sommer stattgefunden und das wird auch so bleiben.
Weil aber Katar einer viel irrwitzigeren Planung den Vorzug gab, im Wüstensommer mit angeblich vollklimatisierten Stadien das Turnier auszutragen, erhielt man auch dank generöser finanzieller Zuwendungen an noch unentschlossene Funktionäre und günstiger geschäftlicher Beziehungen die meisten Stimmen im Fifa-Exekutivkomitee.
Für die Sommer-Weltmeisterschaft in Katar votierte etwa Michel Platini, der Chef des europäischen Fußballverbands Uefa, dessen Sohn Laurent Europa-Chef von „Katar Sports Investments“ ist.
Wie unmenschlich es ist, im Sommer in Katar Hochleistungen vollbringen zu müssen, wusste indes auch Michel Platini nicht erst durch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International, die von zahlreichen dehydrierten Hitzetoten auf den WM-Baustellen berichtete.
Selbst als die europäischen Spitzenvereine eine Vorverlegung der WM auf April, Mai vorschlugen, wetterte der Franzose: „Es sind nicht die Klubs, die spielen. Es sind die Spieler, und es ist unmöglich, im Mai zu spielen, wenn es 40 Grad sind.“
Verantwortungsgefühl der Fußballbosse
Platini also, der einst für die Sommerspiele warb, appelliert nun an das Verantwortungsgefühl der Fußballbosse. Es ist die hohe Kunst der Sportfunktionärsschule, auch die eigenen Argumente drehen und wenden zu können.
Um das Wohl der Bauarbeiter, die in den nächsten Jahren in den Sommermonaten zu schuften haben, hat sich die Politik zu kümmern. Die Fußballfamilie kann ja nicht alle Probleme lösen. So praktisch ist die Trennung von Politik und Sport.
Irritierend ist aber trotz aller Wendehalsigkeit, warum die Funktionäre nicht auf das Versprechen Katars vertrauten, auch im Sommer die Stadien auf angenehme 27 Grad herunterzukühlen.
Das WM-Organisationskomitee warb etwa für das Al-Bait-Stadion mit den Worten: „Im Sommer und Winter bietet es ideale Temperaturen – kühl im Sommer, warm und gemütlich im Winter.“ Die Fifa probiert es sicherheitshalber lieber einmal mit der Gemütlichkeit und wirbelt dafür den traditionellen Fußballkalender durcheinander.
Viel Geld für Kehrtwende
Dass diese Kehrtwende jede Menge Geld kosten wird, weil insbesondere die europäischen Spitzenklubs für die Abstellung ihrer Profis zu den Adventsspielen nun fürstlich abgefunden werden müssen, wird die Fußballverbände nicht bekümmern müssen.
Die Katarer sind nicht knausrig, sie werden die Rechnung schon übernehmen. Zumal sie insgeheim diese Ausgaben sowieso schon eingeplant haben dürften. An ein Sommermärchen haben im Wüstenemirat gewiss die wenigsten geglaubt. Dort weiß man schließlich am besten, dass zu dieser Jahreszeit nur die sklavenartig gehaltenen Arbeiter aus dem Ausland zu bewegen sind.
Platini erklärte sein Votum für Katar einst damit, er wollte für die Entwicklung des Fußballs ein Land wählen, das noch nie WM-Gastgeber war. Die Fifa-Adventsspiele 2022 in Katar (lat. Adventus domini = Ankunft des Herrn) eignen sich bestens für die selbstherrliche Attitüde der Fußballfunktionäre.
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