Widerstand gegen die Neue Rechte: Grün gegen Blau/Braun
Um die Demokratie steht es so schlecht wie ums Weltklima. Die Ultima Ratio heißt Widerstand. Hoffnung macht die Fridays-for-Future-Generation.
K ürzlich, während einer gut besuchten Konferenz des Online-Magazins Eurozine in der Heinrich-Böll-Stiftung, machte sich Resignation breit, als die Resultate von 89 begutachtet wurden: Repression im Osten, wo völkisch-autoritäre Nationalisten die Revolution gekapert haben, Depression im Westen, wo man dem Verfall der Demokratie ziemlich hilflos zuschaut.
Am Abend aber sollte ein anderer Ton angeschlagen werden, nach dem Motto: Vergesst für einen Moment 1989, wer leistet heute Widerstand? Dóra Papp, Kampagnenleiterin der ungarischen Bürgerplattform „aHang“ (Die Stimme), berichtete, wie es in Budapest gelungen ist, einen nicht zu Orbáns Machtclique gehörigen Oberbürgermeister ins Amt zu bringen: Opposition durch Allianzbildung.
Radu Vancu, Dichter-Professor aus Sibiu, erzählte, wie die von ihm mitbegründete Bewegung „Va vedem“ (Wir sehen euch) durch beharrlichen, am Ende schweigenden Protest das hyperkorrupte Regime in Rumänien ins Wanken brachte: Protest der Ehrlichen. Helena Marschall, als 17-jährige Schülerin Organisatorin von Fridays for Future aus Frankfurt, legte dar, wie bunt der große Streik am 29. November ablaufen könnte: Widerstand durch zivilen Ungehorsam.
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Drei Positionen, die Hoffnung machen, weil sich junge Leute der autoritären Welle entgegenstellen. Sie haben mächtige Gegner: eine verzagte Groko in Berlin und den penetranten Leugner im Weißen Haus; von der Korruption ermüdete Gesellschaften, deren Eliten nicht einfach abdanken werden; Potentaten wie Orbán, die immer wieder Mehrheiten erobern, indem sie gegen Brüssel, Juden, „Gender-Faschisten“ und „Klima-Kommunisten“ hetzen.
Ulrike Meinhofs irrer Schluss
In Budapest und Bukarest geht es um elementare Bürgerfreiheiten, doch ökologische Forderungen, denen Fridays for Future und Extinction Rebellion eine neue Dringlichkeit verliehen haben, stehen ebenso auf den Transparenten. Demokratie und Klimaschutz gehören zusammen.
Von Santiago über Beirut bis Hongkong regt sich gerade ein gewaltiger Zorn, der leicht zu kapern ist, wenn sich auch Rechtsradikale gelbe Westen überstreifen oder Schwarzvermummte friedliche Klimamärsche aufmischen. Was also ist legitimer Widerstand?
Artikel 20, Absatz 4 des Grundgesetzes
„Protest ist, wenn ich sage, das und das passt mir nicht. Widerstand ist, wenn ich dafür sorge, dass das, was mir nicht passt, nicht länger geschieht. Protest ist, wenn ich sage, ich mache nicht mehr mit. Widerstand ist, wenn ich dafür sorge, dass alle andern auch nicht mehr mitmachen.“
Die Definition hatte Ulrike Meinhof im Frühjahr 1968 von einem Black Panther übernommen und für sich den irren Schluss gezogen, in den bewaffneten Untergrund zu gehen. Heute entwickeln eher rechte Identitäre ein hohles Widerstandspathos gegen den angeblich von der Regierung Merkel angezettelten „Großen Bevölkerungsaustausch“, und diese Paranoia agieren Rechtsterroristen in Mordaktionen gegen Juden, Muslime, Flüchtlinge und Politiker aus.
In seinem Geburtsort Hermaringen wurde jetzt endlich eine Gedenktafel für den Hitler-Attentäter Georg Elser enthüllt. Bundespräsident Steinmeier sieht das Recht auf Widerstand nicht zuletzt dank dieser einzelnen Tat eines einfachen Mannes in Artikel 20, Absatz 4 des Grundgesetzes eingeschrieben: „Gegen jeden, der es unternimmt, [die demokratische] Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“
Gefragt ist kühle Geistesgegenwart
Konkret heißt das doch: Würde die völkisch-autoritäre Usurpation auch in Deutschland stattfinden, kann dieser Absatz kein toter Buchstabe bleiben. Diverse Protagonisten zivilen Ungehorsams haben einen ganzen Katalog möglicher Maßnahmen ausgebreitet, der 1989 ff. in den Farben- und Majdan-Revolutionen im östlichen Europa zur Anwendung kam und herangezogen werden kann, wenn sich in Sachen Klima- und Artenschutz weiter so wenig tut.
Widerstand ist eine ultima ratio, wenn Oppositionelle als „Feinde des Volkes“ (Donald Trump) denunziert werden, faire Wahlen nicht mehr stattfinden, Presse- und Versammlungsfreiheit eingeschränkt wird und die Gewaltenteilung außer Kraft gesetzt ist.
Das ist in Russland und der Türkei schon der Fall, in Ungarn und Polen weit gediehen und in den USA auf schlechtem Wege. An diesen Fällen erweisen sich die Schwierigkeiten, amtierenden Autokraten eine in Wahlen erfolgreiche Alternative entgegenzustellen. Linke und Liberale gehen unterschiedliche Wege und finden keine allseits akzeptablen Gegenkandidat*innen.
Dutzende Bücher und Meinungsbeiträge haben sich dem „Sterben der Demokratie“ gewidmet, doch vordringlich ist die Frage, wie Autokratien sterben. Appeasement und Apathie sind so wenig am Platz wie Alarmismus und Aktionismus, die vorherrschenden Diskursformen zur radikalen Rechten. Gegen nationalistischen Vergangenheitskitsch (My Country First!) und blindes Zukunftsvertrauen (Digitalisierung als Selbstzweck) ist kühle Geistesgegenwart gefragt.
Unsere Komfortzone ist aufgelöst, um die Demokratie steht es so schlecht wie ums Weltklima. Letztlich hängt ihr Überleben am meisten ab von der Einkehr, jedenfalls Mäßigung der politischen Rechten. Wie vor hundert Jahren steht sie am Scheideweg, entweder erneut in den offenen Faschismus abzugleiten oder sich mit der liberalen Republik zu versöhnen.
Green New Deal
Bei Tories, Republicans und Républicains ist kaum noch ein Maß zu spüren, CDUler flirten hier und da mit der AfD, während die Volkspartei in Österreich bei der Partnersuche zwischen Grün oder Blau schwankt.
Die Thesen dieses Essays sind ausgeführt in Claus Leggewies jüngsten Buch „Jetzt! Opposition, Protest, Widerstand, Köln“, KiWi Verlag, Köln 2019, 224 S., 10 Euro.
Der Autor Claus Leggewie ist Ludwig-Börne-Professor an der Universität Gießen.
So scharf man die Opposition gegen Antidemokraten markieren muss, so wichtig sind Mechanismen der Konkordanz, des parteiübergreifenden Zusammenwirkens. Im vorigen Jahrhundert ging es um Fragen der wohlfahrtsstaatlichen Verteilung im nationalen Maßstab, ein Rahmen, der angesichts planetarischer Herausforderungen der Umweltkrise zu eng geworden ist.
Mit Ökologie und Feminismus kamen neue soziale, transnationale Bewegungen auf und mit ihnen kulturelle Konfliktlinien jenseits von rechts und links, die man im Gegensatz von „autoritär versus libertär“ bündeln kann. Religiöses Erbe steht dabei gegen säkulare Pluralität, Mono- gegen Multikulturalität, Law & Order gegen den Primat individueller Entfaltung, eine patriarchale Familie gegen die Gleichheit der Geschlechter, offene gegen geschlossene Gesellschaften.
Chancengerechtigkeit und die Erneuerung des Wohlfahrtsstaats sind in der Ära marktradikalen Denkens weiter akut, nun aber in einer „unübersichtlichen“ Konfiguration, die schwarze und rote Volksparteien nicht mehr umfassen können. Fast logisch treten da auf der einen Seite radikal-nationalistische, auf der anderen Seite grüne Themen und Parteien hervor, die neue politische Farbenlehre lautet Grün gegen Blau(Braun).
Die bittere Pointe ist, dass völkisch-autoritäre Bewegungen auch die vehementesten Verhinderer von Umwelt- und Klimaschutz sind. Junge Demokratinnen präsentieren gegen Trump den Green New Deal: New im Anschluss an die Errichtung eines Wohlfahrtsstaates durch Franklin D. Roosevelt in den 1930er Krisenjahren, Green, indem ein nachhaltiges Infrastrukturprogramm fossile Industrien und überholte Mobilitätsmuster ablöst.
Und dabei geht es nicht nur um gute Gesetze und nachhaltige Technologien, sondern um ein besseres Leben. Wie sich die neue, am Megathema Klimawandel und Artensterben entzündete Jugendbewegung ausrichtet, ist offen; bei den unter 30-Jährigen finden ultrarechte und grüne Strömungen derzeit die größte Resonanz. Wer nur 1989 abfeiert, könnte – so oder so – die nächste Revolution verpassen.
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