Welt nach Corona: Diese Krise ist ein Ende

Dass es nach Corona nicht weitergehen kann wie bisher, ist deutlich. Es ist nicht gut, gegen die Welt zu leben.

Ein weißer Einweghandschuh liegt auf dem Boden

Eines der typischen Bilder in Corona-Zeiten: ein ausgedienter Einweghandschuh Foto: Sascha Ditscher/imago

Die Notwendigkeit des Neuen ist eigentlich evident. Corona hat es einmal mehr gezeigt. Es gibt Alternativen zur bestehenden Wirklichkeit. Aber ganz so einfach ist das nicht. Das Alte, mit den Worten von Antonio Gramsci, stirbt nicht so leicht.

Es hängt dabei immer auch davon ab, was für eine Geschichte man erzählt und wie: Ist der Anfang und Ursprung der Pandemie also ein Markt in Wuhan – oder schon die Zerstörung der Natur durch den Menschen? Gibt es eine Verbindung von Klimakatastrophe und Killervirus also, unserer Lebensweise, die das virale „Spillover“ erleichterte und unsere Abwehrschwäche beschleunigte?

Gerade in Krisenzeiten zeigt sich die Schwäche jener Mischung aus Makro- und Mikrobetrachtung, wie sie viele Medien vorführen, die sich eher auf Personen konzentrieren als auf Prozesse, eher auf den Schaden des Gestern als auf die Chancen von morgen. Damit engen sich die Gedankenräume ein – und es wird schwierig für Veränderungen.

Dabei zeigt sich in der Coronakrise eine grundsätzliche Abwehrschwäche längst nicht nur individuell, sondern auch gesellschaftlich. Die Privatisierungswellen der vergangenen Jahrzehnte haben aus der Gesundheit eine Ware gemacht und die Fürsorge für Kranke und Schwache zu einem lukrativen Geschäftsmodell. Diese Schieflage kostet nun Tausende und Abertausende Menschen ihr Leben.

Die Antwort könnte nun sein, die Grenzen des Wachstums auch in diesem Bereich zu sehen; oder anders, ausgehend von Corona eine andere Geschichte von Wachstum oder Verzicht zu erzählen, das Verhältnis von Mensch und Natur neu zu denken und zu justieren – weil ebendiese beiden Großkrisen, die fossil beschleunigte Erderwärmung und die globalisierte Seuche, zusammenhängen.

Es ist nicht gut, gegen die Welt zu leben, und sich damit gegen die Kraft zu stemmen, die einen tragen könnte

Es wäre die Chance, ausgehend von Corona grundsätzliche Gegebenheiten unseres Lebens, unseres Wirtschaftens, unserer Politik neu zu bedenken: weniger Egoismus, mehr für andere da sein, weniger kaufen, mehr teilen, weniger Gewinn, mehr Sinn, weniger Regieren als Reagieren und mehr Ambition und Aktion im Gestalten der Zukunft, eine andere Funktion des Staats.

Die Ökonomin Mariana Mazzucato hat das gerade einmal wieder zusammen mit Guilio Quaggiotto, dem Innovationskoordinator der Vereinten Nationen für den asiatischen Raum, beschrieben: wie das Scheitern des „schlanken Staats“ deutlich wurde in dieser Krise und wie ein Staat wie Vietnam durch eine Kombination aus privatwirtschaftlicher, zivilgesellschaftlicher und akademischer Initiative eine wirkungsvollere Antwort auf Corona gefunden hat.

Der Staat also, diskreditiert und auch dezimiert durch Sparmaßnahmen und Kürzungen am falschen Platz, Bildung etwa, Technologie oder Pflege, zeigt sich in seiner Handlungsfähigkeit und vor allem in seiner Bedeutung – nicht als Nationalstaat im alten Gewand, sondern in der Vision von Mazzucato – als schnell und flexibel agierend, verantwortungsvoll, bürgernah, als Gegenteil des bürokratischen Molochs, als der er oft beschrieben wird.

Eine weitere Geschichte, die unsere Wirklichkeit prägt und das Neue verhindert – das reduktionistische Weltbild eines The-Winner-takes-it-all-Kapitalismus hat viel zu lange das Denken und Handeln geprägt. Der Preis dafür war auch ein Blick auf den Einzelnen, der die Notwendigkeit von Nähe, Solidarität, Fürsorge schlicht negierte. Es waren oft ideologische Nebeldiskussionen in einem postideologischen Zeitalter, in dem Pragmatismus mit Purpose wichtiger wäre als das Rechthaben in alten Auseinandersetzungen.

Was geschehen könnte

Diese Krise sollte dazu führen, dass wir den weiteren Horizont unserer Handlungen begreifen. Die Zusammenhänge sind klar, sie sollten auch medial konstant und vor allem konstruktiv benannt und diskutiert werden. Tatsache ist jedoch: Diese Krise ist auch eine Medienkrise.

Das zeigt sich in den aktuellen Diskussionen. Denn tatsächlich geht es nicht darum, ob ein Ministerpräsident nun dies tut oder das oder ob ein Virologe recht hat oder nicht. Sich darauf zu fokussieren, ist eben genau die Reduktion auf ein gedankliches Minimum, die die Diskussion über die notwendigen Veränderungen verhindert.

In vielem scheinen diese Art von medial aufgebauschten Geschichten genau dieses Ziel zu verfolgen – zu verhindern, dass die Menschen nachdenken und Dinge anders machen könnten. Dabei ist längst deutlich: Diese Krise bedeutet ein Ende; es ist nur noch nicht klar, was danach kommt.

Was geschehen könnte: Große Unternehmen werden noch größer, Monopolisten wie Amazon oder Google nehmen noch mehr Platz ein, die Verdrängung nimmt zu, und das Versprechen des Homeoffice für alle ist doch nur eine weitere Möglichkeit für Unternehmen, ihre Strukturen zu verschlanken und die Kosten zu minimieren und auf den Einzelnen zu übertragen.

Was aber auch geschehen könnte: Wir überdenken als Gesellschaft den Wert von Arbeit, von Fürsorge, von Wohlbefinden, das wichtiger ist als Wohlstand, wie leben anders, lernen anders, setzen andere Werte von Würde, von Wertschätzung, von Respekt und Teilhabe und verändern vor allem die Prioritäten der Wirtschaft – weg von der Ausbeutung der Natur, die das Wesen des Menschen in vielem pervertiert.

Es ist nicht gut, gegen die Welt zu leben, sich gegen die Kraft zu stemmen, die einen tragen könnte. Das Netz der Natur ist weit gefasst, Anna Lowenhaupt Tsing, die wunderbare Anthropologin, hat das in ihrem Buch „Der Pilz am Ende der Welt“ sehr schön beschrieben. Sie spricht darin von „kontaminierter Diversität“, von Ökologie in den Ruinen des Kapitalismus.

Kontamination ist in diesem Kontext nicht das Problem; Komplexität ist die Antwort auf die Fragen dieser Welt.

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