Wasserstoff-Anlage im Naturschutzgebiet: Vögel sollen Energiewende weichen
Im Natur- und EU-Vogelschutzgebiet Voslapper Groden-Nord bei Wilhelmshaven soll eine Wasserstoff-Anlage gebaut werden. Nun formiert sich Widerstand.
Gut, das Gebiet ist Anfang der 1970er-Jahre durch Eindeichung und Sandaufspülung entstanden, um Industriegrundstücke zu schaffen, und südlich grenzt ein Tanklager an, nördlich ein Kunststoffwerk. Aber für die Lücke dazwischen fand sich kein Interessent, und heute leben hier Dutzende Vogelarten, manche von ihnen stehen auf der Roten Liste der bedrohten Arten. Für sie alle, von der Rohrdommel bis zur Wasserralle, vom Blaukehlchen bis zum Rohrschwirl, ist das Gebiet „von hohem Wert“, so beschreibt es der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz in Norden.
Mit der Idylle könnte es bald vorbei sein. Mitte vergangener Woche beschloss der Rat der Stadt Wilhelmshaven mit einer Dreiviertelmehrheit gegen die Stimmen der Grünen und der Ratsgruppe „Die Bunten“ Änderungen im Flächennutzungsplan. Das öffnet den Weg für eine Bebauung.
Die Tree Energy Solutions GmbH (TES) will hier Anlagen zum Import und zur Verarbeitung von Wasserstoff bauen. Pech für die Vögel. Die Küste ist hier ohnehin schon stark bau- und industriebelastet. Der Jade-Weser-Port ist nahebei. Dazu kommen Öl-Piers und ein Terminal für verflüssigtes Erdgas (LNG). Jetzt kommt womöglich noch mehr dazu.
„Wir streben nach einer zukunftsorientierten Welt, in der unser Energienetzwerk das Leben fördert, anstatt es zu gefährden“, beschreibt TES auf seiner Website seine „Mission“, wie sie es nennen. „Hand in Hand mit der Natur“ wolle man die Energiewende beschleunigen. Leben fördern? Das gefiederte Leben im Vogelschutzgebiet würde das Gegenteil erleben. Hand in Hand mit der Natur? Bei der Zerstörung eines Naturschutzgebietes klingt das ziemlich merkwürdig.
Tonja Mannstedt,BUND Niedersachsen
Zu den „zentralen Bestandteilen“ des TES-Projekts gehöre „die Wiederverwertung von CO2 mit Hilfe von grünem Wasserstoff“, heißt es in der Beschlussvorlage des Wilhelmshavener Rats. Klingt gut, auf den ersten Blick. Aber der Energiehunger Deutschlands ist groß, und die Angst vor Engpässen, vor Abhängigkeiten, ist es nicht minder. Die Folge: Infrastrukturbau, auch wenn die Natur das Nachsehen hat.
Diplom-Biologin Tonja Mannstedt, Landesgeschäftsführerin Politik & Kommunikation des BUND Niedersachsen, Hannover, empört das. „Klar, wir brauchen Energie“, sagt sie der taz. „Aber hier wird völlig am Bedarf vorbei geplant. Das ist überdimensioniert.“ Sie wirft der Politik Lobbyistennähe vor: „Sie macht erneut denselben Fehler, den sie in den letzten Jahren schon oft gemacht hat: Sie hört auf die falschen Berater.“
Dass gleichwertige Ausgleichsflächen zur Verfügung stehen, bezweifelt sie. „Wo sollen solche Flächen auch herkommen? Es gibt nur noch kleine Inseln der Natur in unserer zugebauten Landschaft. Alles, was schützenswert ist, ist doch schon geschützt.“ TES hat Flächen in den Landkreisen Wittmund und Cuxhaven gekauft.
Aber noch ist der Bau nicht genehmigt. „Wir geben uns nicht geschlagen und werden den Kampf bis zum Ende führen“, sagt Mannstedt. Der BUND überlege derzeit noch, juristische Schritte einzuleiten. Der wirtschaftliche Druck auf die Küste sei groß. „Da kommt im Moment einiges unter die Räder“, sagt Mannstedt. Das sei „erschreckend“.
Von Anfang Oktober bis Mitte November liegt der Entwurfsbeschluss nun öffentlich zur Kommentierung aus. „Das haben wir von vier auf sechs Wochen verlängert“, sagt Nikša Marušić der taz, Wilhelmshavens Stadtbaurat. „Das ist ja sehr umfangreiches Material. Wir wollen die Bürger und Umweltverbände gut beteiligen.“
Dass es auf dem Voslapper Groden-Nord derzeit noch „sehr viel wertvolle Natur“ gibt, räumt Marušić ein. „Und es wird Kritik gegen die Bebauung geben. Aber die Energiewende ist eine Herausforderung, und wir versprechen uns Vorteile für den Wirtschafts- und Arbeitsstandort Wilhelmshaven.“
Verstöße gegen die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie
Ende vergangener Woche hat der Europäische Gerichtshof Deutschland in einem Vertragsverletzungsverfahren verurteilt, in dem es um Verstöße gegen die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie ging, nicht zuletzt um die mangelnde Ausweisung von Schutzgebieten. Vor diesem Hintergrund scheint die Bebauung eines Schutzgebiets besonders widersinnig.
„Das passt nicht zusammen“, sagt auch Andreas Tönjes im Gespräch mit der taz, Wilhelmshavener Ratsherr von „Die Partei“ und Sprecher der Ratsgruppe „Die Bunten“. Tönjes ist nicht gegen die Energiewende. Aber die Wasserstofftechnologie sieht er kritisch. „Und ein Naturschutzgebiet dafür zu zerstören, ist ohnehin nicht gut.“
2.500 Seiten Unterlagen mussten die Ratsmitglieder für ihre Entscheidung durcharbeiten. „Innerhalb nur weniger Tage“, sagt Tönjes, und man spürt, was er von dieser Hast hält. Wer mit ihm spricht, hört Worte wie „Verflechtung“, wie „Lobbyismus“. Jetzt gehe es um Informationsbeschaffung, um Detailanalyse. In Tönjes hat TES einen harten Widersacher.
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