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ReaktionsökonomieDie neue Lust am Rage

Was ist nur in den sozialen Medien los? Eine neue Zorneswelle schwappt durchs Netz und reißt nicht nur Plüschtiere mit.

Labubu-Fguren in einem Pop Mart Store: Kontrovers diskutierte Frage, bist du für oder gegen Labubus? Foto: imago

W as für ein Sommer auf meinen Feeds! Auf Bluesky ist man über den Rückzug von Frauke Brosius-Gersdorf entsetzt, Tiktok liefert köstliche Sydney-Sweeney-Parodien, auf X halluziniert man einmal mehr vom „Woken Wahnsinn“ – und auf Instagram kommt niemand am Labubu-Trend vorbei. Parallel diskutieren alle über die Echtheit der Bilder hungernder Kinder in Gaza.

Die Grundstimmung in den sozialen Medien? Keine Spur von Sunshine-Reggae-Vibes – man postet und kommentiert offenbar lieber in Rage. Die Auslöser – ein Plüschtier mit Zähnchen! – werden immer harmloser, die Reaktionen immer heftiger. Als hätte man sich kollektiv dafür entschieden, dass Empörung mehr wert ist als Erkenntnis oder Verständigung. Doch was ist das eigentlich für ein seltsames „Rage“, um das gerade überall „gebaitet“ wird?

Social-Media-Rage ist keine klassische Wut oder Empörung, die aus Überzeugung geboren wird und auf Konsequenzen abzielt. Sie ist schneller, ritualisierter und performativer. Wer Rage-Kommentare hinterlässt, will nicht in erster Linie etwas verändern, sondern gesehen werden. Sie werden oft inszeniert – manchmal so übertrieben, dass man nicht mehr sagen kann, wie ernst sie gemeint sind.

Nur ein Konter-Rage bleibt der kollektiven Deutung entgegenzusetzen

Im digitalen Raum ist Rage eine Geste, ein Signal der Zugehörigkeit, ein weiterer Klickmagnet. Aber wann und warum ist selbst so etwas Harmloses wie ein Labubu derart Ragebait-geeignet? Sind tatsächliche Skandale – über Trump, Klima­krise, Kriege – etwa schon erschöpft, sodass sich die Empörungsenergie auf Ersatzobjekte verlagert?

Die Labubus sind schuld

Labubu ist scheinbar ein perfekter Köder: Unverfänglich genug, um sich darüber echauffieren zu können, ohne echte Konsequenzen fürchten zu müssen. Risikofreie Empörung sozusagen. Sogar die Süddeutsche Zeitung hat Labubus auf Instagram als „Zündstoff“ präsentiert und Follower aufgefordert, den eigenen Standpunkt „mit Klauen und Zähnen“ zu verteidigen.

Es ist nicht lange her, da war Ragebait vor allem ein Werkzeug rechter Provokateure oder Trolle. Dass sich die Strategie nun flächendeckend etablieren konnte, hängt wohl auch mit dem derzeit vieldiskutierten „Vibe Shift“ zusammen. Der Bruch mit jahrzehntelangen Anstandsregeln wird zur neuen kulturellen Norm. Sensibilität gilt als langweilig, Provokation als authentisch.

Nach Jahren der Vorsicht, des Abwägens, der Triggervermeidung und politischen Korrektheit scheint Ragebait die seltsame Sehnsucht nach vermeintlich „echten“ Gefühlen zu befriedigen. Übersehen wird dabei, dass dieses „Echte“ und Ungeschönte mindestens genauso kalkuliert ist wie das, was es ersetzen soll.

Es geht mal wieder um Deutungsmacht

Bei Ragebait geht es außerdem nicht nur um Klicks, sondern auch um Deutungsmacht. Wer den Auslöser setzt, bestimmt den Debattenrahmen: Statt über den Designkontext von Labubu zu sprechen, wird über schlechten Geschmack, infantile Konsumlust oder algorithmische Zwangsbeschallung diskutiert. Die Aufregung bereitet den Boden für Pro-oder-Contra-Raster, die kaum Platz für andere Lesarten lassen. Rage fixiert den Blick und setzt Deutungsgrenzen.

Nur ein Konter-Rage kann der kollektiven Deutung dann noch etwas entgegensetzen. Als Margarete Stokowski im Spiegel eine ihrerseits polemische Kritik an der Labubukritik formulierte, haben selbst eingeschweißte Stokowski-Fans mit ihrer ritualisierten Konsumkritik sich überreden lassen: „Möchte jetzt aus Trotz ein Labubu haben!“ oder „Bisher null Interesse, aber gleich kauf' ich mir eins“, hieß es in den Kommentaren.

In der seltsamen Aufregung um das hässlich-süße Trendobjekt steckt also mehr als Geschmackskritik: Sie ist Symptom einer umfassenden Reaktionsökonomie. Was also tun mit der Wut auf Labubu? Die ehrliche Antwort: vermutlich nichts. Denn solange Empörung die wertvollste Währung im Netz bleibt, wird man sich weiter über Plüschtiere echauffieren – während die tatsächlichen Konflikte im Rage untergehen.

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10 Kommentare

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  • Was will mir der Artikel sagen? Erstmal geht es ja wohl eher um eine "gefühlte" Zunahme von Hass im Netz. Ich habe den Eindruck, dass er so groß ist, wie immer. Man hätte ja auch mal eine Studie zur Hand nehmen können.



    Die andere Sache ist die völlig fehlende Analyse dazu. Und die sehr interessante Frage, ob sich die Dinge, die Menschen offenbar für wichtig genug halten etwas dazu zu schreiben, anscheinend stark verschoben haben - wenn an der Behauptung der Autorin überhaupt etwas dran ist.



    Über die Diskussion, ob Bilder von hungernden Kindern in Gaza echt sind, könnte man einiges sagen. Vor allem einem bisschen Medienwissen oder nachdenken über die Methoden der Populisten.

  • Hab noch nie eines dieser Viecher gesehen. Müssen wohl fake news sein... :o)

  • Wo kann man die kaufen? Im Netz. Paßt doch.

  • Das Etikett fast so lang, wie dieser Labubu. Und sowas soll einen Hype verursachen?

  • Das Sommerlochtier ist also dieses Jahr aus Plüsch.

  • Warum nur werde ich das dumme Gefühl nicht los, dass das geschilderte Phänomen mit der „Aufmerksamkeits-Ökonomie“ einer nicht wirklich freien Presse zu tun haben könnte? Einer Presse, die 24/7 ausgelastet ist mit dem Versuch, den Wettkampf gegen anderen Unternehmen der Branche nicht zu verlieren? So ausgelastet, dass sie gar keine Zeit hat sich bewusst zu machen, dass sie auch eine gesellschaftliche Verantwortung besitzt? Die Verantwortung nämlich, nicht jede*n Wellenreiter vor richtigen Pfad abzubringen, der/die/das lieber gedankenlos andere imitiert, als auch nur 5 Minuten selbst zu denken? Von jenem Pfad, meine ich, den alle gleichermaßen gehen können, ohne dass die Gesellschaft implodiert, explodiert oder sonst irgendwie ins Chaos stürzt…? 🤔

    • @zitterbacke:

      Dann gab es noch nie eine "wirklich freie" Presse, denn Wettbewerb zu anderen Presseerzeugnissen gab es schon immer. Und wo es den nicht gab wurde der Presse gesagt, was sie zu schreiben hat.

  • Na denn mal los. Labubus sind doof.

    • @RealSeebaer:

      Sie sind ganz eindeutig das Ergebnis einer Mesalliance zwischen einem Teletubby und einem von Maurice Sendaks Wilden Kerlen.

    • @RealSeebaer:

      Was für eine unglaublich gemeine Aussage. Labubus sind voll... Süß?