Waffenstillstand im Gazastreifen: Verhärtete Fronten
Das seit 15 Monaten andauernde Blutvergießen kommt zum Ende. Vorerst. Nicht vorbei sind Trauer und Hass im Gazastreifen und in Israel.
A usgerechnet Donald Trump macht möglich, woran die internationale Diplomatie, allen voran sein Vorgänger Joe Biden, scheiterte. Endlich gibt Benjamin Netanjahu nach. Weder Bidens gutes Zureden noch der Internationale Gerichtshof und der Haftbefehl gegen den israelischen Regierungschef, noch die Massendemonstrationen in Tel Aviv konnten ihn umstimmen. Der US-amerikanische Rechtspopulist ist es, der – sehr zum Ärger der israelischen Rechten – die Waffen im Gazastreifen zum Schweigen bringt.
Thank you, Mr President (in spe). Trump führt uns in diesen Tagen einmal mehr vor, dass die Welt nicht schwarz-weiß ist. Der Mann, der Kanada eingemeinden will, Grönland kaufen, Öl fördern, was das Zeug hält, ein Frauenfeind, Lügner und Volksverhetzer, macht den Massenmorden und der Zerstörung im Gazastreifen ein Ende. Trump ist der Boss – nicht nur in den USA.
Seit Mai liegt das Abkommen, das aus der Feder Bidens stammt, auf dem Tisch. Wie von Zauberhand sind sich die Konfliktparteien nun einig darüber geworden. Wie viel Blutvergießen hätte verhindert werden können. Wie viele Menschen sind sinnlos gestorben, wie viel Zerstörung war völlig umsonst. Israels rechtsextremer Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, signalisierte, Netanjahu mit seiner Rücktrittsdrohung von einer Unterzeichnung abgehalten zu haben.
Bestätigt sich der Verdacht, dass Netanjahu den Krieg in die Länge zog, um seine Koalition zu retten, um an der Regierung zu bleiben und so einer möglichen Verurteilung und Haftstrafe zu entgehen, dann hat dieser Mann ganz sicher einen Prozess in Den Haag verdient.
Hängepartie für die noch Verschleppten
Geht der Albtraum mit dem vorläufig letzten Akt des Kriegs im Gazastreifen dem Ende zu? Die Befreiung der zunächst 33 Geiseln ist ohne Zweifel Grund zum Feiern. Und das Ende der Kampfhandlungen im Gazastreifen ebenso. Für die noch in den Händen ihrer Peiniger verbliebenen Verschleppten allerdings dürften die kommenden Wochen zu einer schrecklichen Hängepartie werden.
Für die, die endlich auf freiem Fuß sind, beginnt ein langer Weg ihrer körperlichen und seelischen Gesundung, sollte das überhaupt möglich sein. Und im Gazastreifen? Von fast 47.000 Todesopfern ist dort die Rede und vielen Verwundeten mehr. Kaum eine Palästinenserin, die keinen geliebten Menschen verloren hat. Kaum ein Haus, das noch steht. Was für eine erschütternde Bilanz.
Ein Ziel hat die Hamas erreicht: Nie waren die Fronten verhärteter. Es wäre naiv zu glauben, dass die Hunderttausenden Israelis, die für ein Ende der Kampfhandlungen demonstrierten, jetzt die Zweistaatenlösung vorantreiben würden. Die Hamas und ihre Verbündeten haben Israel nur zu deutlich vor Augen geführt, zu welchen Gräueltaten sie fähig sind. Ein Nein zu Netanjahu ist noch lange kein Ja zum Frieden.
Auch für die Rückkehr palästinensischer Häftlinge, die aus israelischen Gefängnissen freikommen, wird sich die Hamas feiern lassen. Israel muss einen hohen Preis für die Befreiung jeder einzelnen Geisel zahlen. Auf der Liste derer, die aus der Haft entlassen werden sollen, stehen auch die Namen berüchtigter Mörder.
Die PA will zurück nach Gaza
Allerdings ist die Hamas nicht nur infolge des Kriegsgeschehens im Gazastreifen militärisch extrem geschwächt, sondern vor allem mit Blick auf die Verbündeten und die Entwicklungen auf internationaler Bühne. Der Wahlsieg Trumps war für die palästinensischen Extremisten keine gute Botschaft. Auf die Hisbollah brauchen sie auf absehbare Zeit nicht mehr zu setzen, und auch die Freunde in Teheran haben aktuell andere Probleme.
So ist es vermutlich kein Zufall, dass auf der Liste der Häftlinge für den Geiseldeal auch der Name Marwan Barghuthi steht. Der „palästinensische Nelson Mandela“ ist seit Jahren der populärste Politiker Palästinas und: Fatah-Mann. Die Hamas setzt damit möglicherweise auf neue Verbündete – diesmal im eigenen Volk. Ohne Zweifel wird Barghuthis Entlassung aus der Haft die palästinensische Innenpolitik ordentlich durcheinanderwirbeln.
Die Tage von Mahmud Abbas als Präsident dürften gezählt sein, sollte Barghuthi nach Ramallah zurückkehren dürfen und nicht ins Ausland abgeschoben werden, was auch noch eine Option ist. Anders als in der Vergangenheit zeigt sich die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) neuerdings nur zu willig, die Kontrolle über den Gazastreifen zu übernehmen. Keine andere Regierung neben der PA!, so fordert es Premierminister Mohammad Mustafa.
Über Jahre wiesen Autonomiebehörde und Fatah die Idee zurück, sich die Kontrolle über den Gazastreifen zurückzuholen, sobald Israels Armee dort die Hamas aus dem Weg geräumt hätte. Viel wird auch in der Zukunft von Trump abhängen, der sein altes Vorhaben, die Beziehungen zwischen Jerusalem und Riad zu normalisieren, weiterführen will. Ohne eine Lösung für die PalästinenserInnen wird Saudi-Arabien wohl kaum mit ihm kooperieren.
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