Vorwürfe gegen Donald Trump: „Dolchstoß in Rücken der Kurden“
Der von US-Präsident Donald Trump angeordnete Rückzug des US-Militärs aus Nordostsyrien stößt auch bei Trump-Unterstützern auf massive Kritik.
Ein Sprecher der von der kurdischen Miliz YPG angeführten Syrischen Demokratischen Streitkräfte (SDF), die zuletzt Washingtons Bodentruppe und wichtigster Alliierter im dortigen Kampf gegen den IS war, sprach von einem „Dolchstoß in den Rücken“. Und im US-Kongress kritisierten Demokraten und Republikaner in seltener Einigkeit Trumps Alleingang.
Selbst der evangelikale Prediger Pat Robertson, einer der einflussreichsten Ideologen in Trumps Welt, stimmte in den Chor ein. „Der Präsident, der erlaubt hat, dass Khashoggi in Stücke geschnitten wurde, ohne dass das irgendwelche Auswirkungen hatte, erlaubt jetzt, dass Christen und Kurden von den Türken massakriert werden“, sagte er.
Am Vortag hatte Trump bei einem Telefonat mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan den sofortigen Rückzug der US-Truppen aus dem umkämpften Gebiet erklärt. Der US-Präsident tat es gegen den erklärten Willen seiner Berater in Washington und ohne Rücksprache mit den internationalen Alliierten, an deren Spitze die USA in den zurückliegenden Jahren den Kampf gegen den IS in Syrien koordiniert haben.
Der US-Rückzug sei „kurzsichtig und verantwortungslos“
„Er hat all unsere Gewinne gegen den IS zunichte gemacht“, klagte am Montagmorgen der republikanische Senator Lindsey Graham auf Trumps Haussender Fox News. Der Senator aus South Carolina ist ein 150-prozentiger Trumpist. Selbst an Trumps Versuchen, die Ukraine und China zu drängen, Dreck über den Demokraten Joe Biden zu suchen, findet Graham nichts auszusetzen. Aber den Rückzug aus Syrien nennt er „kurzsichtig und verantwortungslos“ und fürchtet, dass er eine Wiederauferstehung des IS auslösen könnte.
Zusammen mit dem demokratischen Senator Chris Van Hollen droht Graham der Türkei Sanktionen und eine Aussetzung ihrer Nato-Mitgliedschaft für den Fall an, dass türkische Truppen die kurdische YPG angreifen.
Auch Senatschef Mitch McConnell, ein anderer bedingungsloser Trump-Ja-Sager, lehnt den Rückzug ab. Er nennt ihn „voreilig“. Es würden nur „Russland, der Iran und das Assad-Regime davon profitieren“, und das Risiko steige, dass „der IS und andere terroristische Gruppen zusammenfinden“.
Und Trumps ehemalige UN-Botschafterin Nikki Haley erklärt in einem Interview mit der BBC, die Kurden seien „ausschlaggebend“ im Kampf gegen den IS gewesen, mit ihrem Rückzug überließen die USA diese Alliierten „dem Tod“.
Besonders scharf reagieren die langjährigen Syrien-Experten Washingtons. Der ehemalige Syrien-Entsandte für Barack Obama und für Donald Trump, Brett McGurk, bezeichnet den Rückzug als „Ermöglichung einer türkischen Invasion“. Auf Twitter mahnt McGurk vor der „Entwertung des amerikanischen Handshake“ und davor, dass die Konsequenzen der „Unzuverlässigkeit des Oval Office weit über Syrien hinaus wirken“ werden.
Die USA stehen mal wieder als unzuverlässig da
Leon Panetta, Ex-CIA-Chef und Ex-Verteidigungsminister, erinnert daran, dass die SDF für die Bewachung von zigtausenden IS-Gefangenen in Syrien zuständig ist. Und warnt in einem Interview mit dem TV-Sender PBS, dass Trump nicht nur die eigene nationale Sicherheit durch das Wiedererstarken des IS gefährde, sondern auch das Signal aussende: „Vertraut den USA nicht.“
Für Kurden in dem Vierländereck von Türkei, Iran, Irak und Syrien ist es allerdings nicht der erste Verrat der USA. Washington ist in den letzten Jahrzehnten sowohl unter demokratischen als auch republikanischen Präsidenten einen vielfach wechselnden Schlingerkurs gefahren und hat dabei mehr immer wieder vorübergehend kurdische Aufständische für seine Interessen genutzt und sie anschließend in tödlichen Gefahren alleingelassen.
Jeremy Konyndyk, der unter Obama zuständig für humanitäre Krisen – unter anderem in Syrien – war, nannte den Rückzug am Montag „unglaublich unverantwortlich und destabilisierend“ und warnte sowohl vor politischen Konsequenzen als auch vor „enormen humanitären Auswirkungen“ in Nordsyrien. Dort würden jetzt „Hunderttausende von Vertriebenen und Überlebende des Horrors der IS-Ära den Risiken neuer Gewalt zwischen türkischen und SDF-Kräften ausgesetzt“.
Ankara will einen Teil der 3,6 Millionen syrischen Flüchtlinge aus der Türkei in die syrische Grenzregion umsiedeln. Konyndyk sieht darin die Gefahr neuer Vertreibungen.
Trump hingegen, der durch das bevorstehende Impeachmentverfahren im Repräsentantenhaus politisch angeschlagen ist, beharrte darauf, dass er in Syrien das Richtige tut. Der Rückzug aus Syrien war ein Wahlkampfkampfversprechen an seine Basis.
Inzwischen behauptet der US-Präsident im Widerspruch zur Einschätzung seiner Diplomaten und militärischen Berater, dass der IS erfolgreich „zerschlagen“ sei. Sollte der wiederauferstehen, wähnt Trump die USA in sicherer Entfernung und fügt hinzu: „Sollten sie uns irgendwie nahe kommen, werden wir den IS wieder zerschlagen.“ Bis es so weit kommt, will er den Kampf gegen den IS anderen überlassen.
Trump flüchtet sich in wüste Drohungen gegen Ankara
Noch vor einem Jahr klang der US-Präsident anders. Da pries er bei einer Pressekonferenz in der UNO die Allianz mit den Kurden: „Wir haben zigtausende Kurden verloren, die gegen den IS gekämpft haben. Sie sind für uns und mit uns gestorben.“
Heute erklärt Trump: „Ich stehe in Syrien auf niemandes Seite.“ Und er will keine Verpflichtungen erkennen. „Die Kurden“, sagt er, „haben mit uns gekämpft. Aber wir haben ihnen massive Mengen an Geld und Material gegeben.“
Am späten Montagvormittag allerdings, als ein Sturm der Entrüstung durch Washington tobt und selbst das Verteidigungsministerium Ankara vor militärischen Operationen in Syrien warnt, rückt Trump dann doch ein wenig von Erdoğan ab – auf seine Weise: „Sollte die Türkei etwas tun, das ich in meiner großen und unvergleichlichen Weisheit (sic! d. Red.) als tabu betrachte“, twitterte der US-Präsident, „werde ich die Ökonomie der Türkei total zerstören und auslöschen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!