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Vorteile für Geimpfte?Schwierige Abwägungen

Der Gesetzgeber muss bald entscheiden, ob Einschränkungen für Geimpfte schneller aufgehoben werden. Doch wo bleiben Nichtgeimpfte?

Dürfen diejenigen, die sich impfen lassen, privilegiert werden? Eine noch ungeklärte Frage Foto: Victoria Jones/dpa

Karlsruhe taz | In Kürze beginnen auch in Deutschland die Corona-Impfungen. Dann wird bald eine Debatte losbrechen, ob es Vorteile für die Geimpften geben darf oder vielleicht sogar geben muss. Sollen Geimpfte wieder ins Café, ins Museum und ins Stadion dürfen? Sollen sie dort mit anderen Geimpften Spaß haben – während die (Noch-)Nichtgeimpften draußen bleiben müssen?

Im Moment kann die Frage schon aus medizinischen Gründen nicht beantwortet werden. Bisherige Tests der Impfstoffe haben zwar ergeben, dass die Geimpften mit über 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit nicht mehr an Covid 19 erkranken. Sie sind also weitgehend immun.

Eine Sonderbehandlung von Geimpften kommt aber nur in Betracht, wenn mit ähnlicher Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass sie das Virus an andere weitergeben. Die Geimpften dürfen nach einem Virenkontakt also auch nicht infektiös sein.

Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) gibt es derzeit noch keine gesicherten Erkenntnisse, ob Geimpfte noch ansteckend sein können und ob dies bei allen drei bisher bekannten Impfstoffen gleich zu beantworten sein wird. Das RKI will derzeit nicht einmal andeuten, nach wievielen Monaten Impfpraxis mit verläßlichen Erkenntnissen zu rechnen ist.

Beispiel Masernimpfung

Bei anderen bekannten Impfungen, wie der Masernimpfung, ist es allerdings üblich, dass sie auch die Infektiösität verhindern. Nur so ist auch die Masernimpfpflicht zu rechtfertigen, die seit März 2020 an Kitas und Schulen für Kinder und Personal gilt.

Sollte also auch die Corona-Impfung zu einer weitgehend ansteckungslosen Immunität führen, werden die Geimpften sicher fordern, dass die Corona-Einschränkungen für sie aufgehoben werden. Sie wären dann ja für ihre Mitmenschen viel weniger gefährlich.

Für eine Vorzugsbehandlung sprechen auch verfassungsrechtliche Gründe. Der Staat darf die Grundrechte von Bürgern nicht ohne triftigen Grund beschränken. Sonst ist die Beschränkung unverhältnismäßig.

Doch es gibt auch rechtlich relevante Argumente für eine Gleichbehandlung von Geimpften und Nichtgeimpften. So kann dabei vermutlich der gesellschaftliche Friede und Zusammenhalt besser gewahrt werden, als in einer Zwei-Klassen-Gesellschaft. Eine Gleichbehandlungspolitik könnte auch verhindern, dass die Geimpften dazu gedrängt werden, nun alle besonders ansteckungsträchtigen Arbeiten zu übernehmen.

Es geht also um eine politische Abwägung zwischen zwei unterschiedlichen Konzepten, zwischen Privilegierung und Gleichbehandlung. Die Entscheidung muss der Gesetzgeber treffen. So könnte der Bundestag im Infektionsschutzgesetz eine bundesweit gültige Regelung beschließen. Oder die Landesregierungen bestimmen in ihren Corona-Verordnungen, ob die Einschränkungen jeweils auch für Geimpfte gelten.

Gespaltener Ethikrat

Eine ähnliche Diskussion gab es schon im letzten Frühjahr. Sollten Erkrankte nach der Heilung einen Immunitätsausweis bekommen, der ihnen Vorteile im Alltag verschafft? Auch hier litt die Diskussion zunächst unter den ungeklärten medizinischen Vorfragen. Bis heute ist nicht vollständig bekannt, ob und wie lange die Corona-Genesenen dann immun sind und vor allem nicht mehr ansteckend sein können.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) beauftragte dennoch vorsorglich den Deutschen Ethikrat, eine Empfehlung zu erarbeiten. Dies gelang zwar nicht, denn der Ethikrat zeigte sich gespalten. Die Positionen lagen aber weniger weit auseinander als bisher wahrgekommen. So sprach sich die eine Hälfte der 24 Mitglieder für den begrenzten Einsatz von Immunitätsausweisen aus, insbesondere bei der Pflege von Alten und Kranken. Die andere Hälfte des Ethikrats wollte Immunitätsausweise verbieten, außer bei der Pflege von Alten und Kranken.

Es liegt also auch impfpolitisch nahe, dass zunächst für Berufsgruppen, die mit vulnerablen Personen arbeiten, Sonderregeln eingeführt werden. Nichtgeimpfte könnten dann wohl nicht mehr beruflich mit Alten und Kranken arbeiten.

Ob es auch echte Vorteile für Geimpfte geben soll, will Gesundheitsminister Spahn derzeit noch offen lassen. Die Praxis in Cafés, Museen und Stadien gehe den Staat nichts an, das sei eine Frage des „Privatrechts“, so seine Begründung.

Der Verweis aufs Privatrecht ist aber gewollt naiv. Denn auch das Privatrecht ist staatliches Recht oder beruht auf staatlichen Vorgaben. Wenn der Gesetzgeber nicht handelt, müssen staatliche Gerichte entscheiden, zum Beispiel weil Geimpfte gegen undifferenzierte Corona-Verordnungen klagen oder weil Gastronomie, Kultur und Sport fordern, dass ihre Spezialangebote für Geimpfte zugelassen werden.

Dass der Staat sich zwischen Privilegierung und Gleichbehandlung entscheiden muss, könnte aber ein Übergangsphänomen sein. Je mehr Leute geimpft sind, um so stärker dürften die Infektionszahlen zurückgehen. Und dann können – wie im letzten Sommer – auch wieder viele staatliche Einschränkungen aufgehoben werden. Für Geimpfte und Nichtgeimpfte.

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24 Kommentare

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  • Wer stellt denn Im Fall der Fälle das zertifikat aus für die Genesenen? Die hatten immerhin das volle Coronaprogramm. Man kann solche "Vereifachungen" doch nicht am Konsum von kommerziellen Impfstoff festmachen.

  • Eine Privilegierung Geimpfter ist erst dann und auch nur dann möglich, wenn sich jede/r zu jeder Zeit impfen lassen kann. Erst dann gibt es eine Entscheidungsmöglichkeit.

    Auch muss zunächst geklärt werden, ob eine Impfung eine weitere Ansteckung verhindert.

    Insofern kann es auch juristisch nur ein Prinzip geben: Keine Vorzugsbehandlung für Geimpfte.

  • Man kann viel Zeit mit den Überlegungen verbringen. Die Zeit könnte man auch besser verbringen.

    Zur Zeit sind eine Reihe von Punkten ziemlich unklar:

    Wie lange hält der Impfschutz?

    Wie sieht es mit der möglichen Übertragung des C-Virus durch Geimpfte aus?

    Gibt es Unterschiede zwischen den Impfstoffen?

    Wie sieht es mit Erkrankten und Genesenen aus? Wielange sind die geschützt? Sind Übertragungsszenarien durch diese Personen denkbar?

    Wie sehen die Planungen aus für die Impfkampagnen im Jahr 2021? Wann kommen wieviele Impfdosen? Für wen?

    Wenn wir hier mal aussagekräftige Antworten haben, dann können wir gern in die Kür gehen und uns neue Probleme basteln.

  • Bevor man das diskutiert, müsste erstmal jedem die Möglichkeit offenstehen. Danach steht es ja jedem frei ob er sich impfen lassen will oder nicht. Das würde dann aber auch bedeuten, daß dies für alle gilt die Deutschland betreten. Insofern wäre hier eine gesamteuropäische- , am besten sogar globale Regelung wünschenswert.

  • „Der Gesetzgeber muss bald entscheiden, ob Einschränkungen für Geimpfte schneller aufgehoben werden.“

    Nein - muss er nicht und kann er auch gar nicht. Es gibt schlicht hinsichtlich der Wirkung der Impfung auf das Infektionsgeschehen keine verläßliche Datenlage, auf deren Grundlage man solche Entscheidungen treffen könnte.

  • Noch ist unklar, ob Geimpfte trotz Immunität die Krankheit nicht trotzdem weitertragen können. Falls ja, muss ich dann als Geimpfter weiterhin Maske tragen, Abstand halten, Hände waschen, um jenes Drittel der Bevölkerung zu schützen, das sich nicht impfen lassen will? Zu sagen, wer sich nicht impfen lässt, muss dann eben die Konsequenzen tragen, ist kein zulässiges Argument. Denn auch ein Drittel der Bevölkerung kann unser Gesundheitssystem ans Limit bringen. Dann wären wir keinen Schritt weiter, zumal die Ungeimpften stärker gefährdet wären. Falls das Szenario eintritt, dass Menschen trotz Immunität das Virus dennoch weitertragen können, führt an einer Impfpflicht kein Weg vorbei.

    • @Kreisler:

      > Zu sagen, wer sich nicht impfen lässt, muss dann eben die Konsequenzen tragen, ist kein zulässiges Argument.

      Das IFSG kennt bereits jetzt das Betretungsverbot für Gemeinschaftseinrichtungen für nicht Masernimmunisierte.

      Analog dazu könnte ein Verbot für nicht Coronaimmunisierte formuliert werden und in das Gesetz aufgenommen werden.

      • @horsefeathers:

        und genau die masern zwangsimpfung ist grundverkehrt und kontraproduktiv. ich behaupte nicht das sie juristisch unmöglich ist sondern falsch.

    • @Kreisler:

      selbstverständlich muss jeder die konsequenzen seiner entscheidungen tragen, auch die sich nicht impfen zu lassen. eine impfplicht ist dagegen ein durch nichts zu rechtfertigender eingriff in die autonomie des einzelnen.

      • @kipferl:

        Wenn Sie auf den Kirchturm steigen und über Ihr Dorf in die Welt schauen, werden Sie feststellen, daß viele Länder eine Einreise nur gestatten, wenn bestimmte Schutzimpfungen vorliegen.

        Will sagen: es gibt viele Wege zu einer Impfpflicht - zB Urlaubsreisen -:)

  • Schon die Frage nach "Vorzugsbehandlung" für Geimpfte legt den Grundstein für einen weiteren gesellschaftlichen Konflikt und fördert die gesellschaftliche Spaltung. Und das zu einem Zeitpunkt, wo viele Fragen um die Infektiosität, Immunität, Dauer des Schutzes, gesundheitlichen Nebenwirkungen... noch ungeklärt sind.



    Diese Debatte wird eher zur Endsolidarisierung und Polarisierung der Gesellschaft führen, anstatt zu gesellschaftlichem Zusammenhalt und sozialem Frieden in dieser Ausnahmesituation. Vor allem und insbesondere, weil diese Debatte in einem Superwahljahr (2021) stattfinden wird.



    Es wäre nicht sinnvoll, zudem politisch verantwortungslos und gefährlich, in das nächste Jahr mit einer Debatte über die Gleichheit/Gleichbehandlung von Menschen zu gehen, die auf einer Unterscheidung Mensch "geimpft" und Mensch "ungeimpft" beruht.

  • Eigentlich ist es ja ganz einfach: wer sich nicht impfen lässt, macht das auf eigenes Risiko. Die Geimpften sind ja sicher vor Covid-19, somit stellen die Ungeimpften für diese keine Gefahr dar. Ein Ungeimpfter kann also nur einem anderen Ungeimpften Covid-19 bescheren, damit sind diese unter sich.

  • "Nichtgeimpfte könnten dann wohl nicht mehr beruflich mit Alten und Kranken arbeiten."

    Ziemlich krass für Menschen, die z.B. Corona durchgestanden haben und (vielleicht irgendwann nachweisbar) immun sind. Und wenn sich Menschen (trotzdem) impfen lassen müssen, um arbeiten gehen zu "dürfen", ist das das endgültige Signal von Lohnsklaverei in privilegierten Gesellschaften - vor dem Hintergrund, dass wir von der Ungefährlichkeit der neuen Impfstoffe zwar hoffend ausgehen, es aber schlicht langfristig nicht wissen können.

    Es wäre sicher zielführender, wenn wir ehrlich damit umgehen, dass wir bei der Suche nach Lösungen auf Risiko setzen - statt mangelnde Erfahrungewerte runterzuspielen und immer wieder zu wiederholen: "Wenn alle geimpft sind, ist alles gut!"

    • @HanM:

      Wenn alle geimpft sind, hat das Virus ausgespielt. Zumindest so lange, wie der Schutz wirkt. Das ist so sicher, wie das Gravitationsgesetz.

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Beim Masernvirus ist das korrekt, denn dieses kann sich nur im Menschen vermehren. Das ist bei Sars-CoV-2 anders, dann kommt auch problemlos in Tieren zurecht (da kommt es ja her). Es kann also jederzeit wieder auf den Menschen zurückspringen und der Ärger beginnt von vorne.

        • @Luftfahrer:

          Wenn die Menschen Impfschutz haben nicht.

  • Solange es wenig impfkapazitaet gibt und es bis ende 2021 dauern wird überhaupt alle Risikogruppen zu impfen finde ich die Privelegiendebatte für geimpfte Unsinn.

    • @Nina Janovich:

      Genau. Und man weiss nicht, ob Geimpfte andere anstecken können, und man weiss nicht, wie lange die Immunität anhält. Wenn es weniger als ein Jahr ist, können gar nicht alle geimpft werden, bevor die ersten die nächste Impfung benötigen. Dann gibt es keine Herdenimmunität. Also: ungelegte Eier.

  • gleichbehandlung ist nur bei gleichen voraussetzungen begründet. wer immun ist, ob durch infektion oder impfung, darf nicht mehr eingeschänkt werden. andernfalls würde man beschränkungen bis zum ende aller tage rechtfertigen, da nie eine immunität bei 100% der bevölkerung bestehen wird.

  • Das ist tatsächlich eine schwierige, spannende Frage. Eine, mit der sich unsere Gesellschaft vielleicht nach dem Sturm gründlich beschäftigen sollte?

    "[Spahns] Verweis aufs Privatrecht ist aber gewollt naiv"

    Allerdings. Stellt Euch vor, ich mache einen Parkplatz auf, und beschliesse, wer dort schneller als 20 Km/h fährt kriegt den linken kleinen Finger abgeschnitten.

    Privatrecht? Hoffentlich nicht.

    Das Spahn so einen Quatsch von sich gibt (immer mit einer Agenda dahinter, der ist weniger doof, als er wirkt!) gehört zu den Dingen, die mich am meisten an ihm ärgern.

  • "Sollte also auch die Corona-Impfung zu einer weitgehend ansteckungslosen Immunität führen, werden die Geimpften sicher fordern, dass die Corona-Einschränkungen für sie aufgehoben werden."

    Diese Frage stellt sich erst, wenn jeder, der geimpft werden will, auch geimpft werden kann. So lange der Impfstoff noch knapp ist, würde nur ein Verteilungskampf einsetzen. Später hat es dann jeder selbst in der Hand...