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Vorratsdatenspeicherung in DeutschlandBuschmann präsentiert Quick Freeze

Der Justizminister präsentiert einen alternativen Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung. Daten sollen „eingefroren“ und „aufgetaut“ werden.

Buschmann will Daten einfrieren und auftauen Foto: Joerg Sarbach/ap

Karlsruhe taz | Marco Buschmann macht Ernst. Der FDP-Justizminister hat jetzt einen Gesetzentwurf für das Quick-Freeze-Verfahren vorgelegt, mit dem er polizeiliche Ermittlungen erleichtern will, ohne gleich die Daten der gesamten Bevölkerung auf Vorrat zu erfassen. Der 37-seitige Gesetzentwurf liegt der taz vor.

Anlass von Buschmanns Vorstoß ist ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom September, in dem die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland als unverhältnismäßig beanstandet wurde. Als Vorratsdatenspeicherung bezeichnet man die anlasslose Speicherung aller Telefon- und Internetverbindungsdaten der gesamten Bevölkerung.

Telefonfirmen müssen dabei festhalten, wer wann wen angerufen oder angesimst hat. Internetprovider müssen speichern, wer sich wann mit welcher IP-Adresse ins Internet einloggte. Bei Mobiltelefonen wird auch der Standort registriert. Inhalte werden zwar nicht erfasst. Dennoch entstünde so ein riesiger Datenfundus, auf den die Polizei bei Bedarf zugreifen könnte.

Die Vorratsdatenspeicherung stand seit 2015 zwar im Gesetzbuch, doch sie wurde nie praktiziert. Deutsche Gerichte hatten von Beginn an Bedenken und die Bundesnetzagentur verzichtete deshalb auf eine Durchsetzung der Speicherpflicht.

Nutzung der Daten bei „konkret Verdächtigen“

Als Alternative präsentiert Minister Buschmann nun das Quick-Freeze-Verfahren, das schon seine Vorvorvorvorgängerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberg (FDP) propagierte. Dabei werden Daten nicht anlasslos auf Vorrat gespeichert, sondern anlassbezogen in einem sehr viel kleinerem Umfang.

So könnte die Staatsanwaltschaft nach einem Mord beantragen, dass die Verbindungs- und Standortdaten aller potenziell Verdächtigen, des sozialen und beruflichen Umfeld des Opfers und der möglichen Tatorte von den Telekomfirmen vorsorglich eingefroren werden. Laut Gesetzentwurf dürfen alle Verkehrsdaten gespeichert werden, die für die Ermittlungen noch „von Bedeutung“ sein könnten. So können Daten von Dutzenden, aber auch von Tausenden Personen erfasst werden. Später dürfen aber nur solche Daten „aufgetaut“, also von der Polizei verwendet werden, die zu konkret Verdächtigen gehören. Alle übrigen Daten müssen ungenutzt wieder gelöscht werden.

Der Gesetzentwurf sieht einen doppelten Richtervorbehalt vor. Sowohl das Einfrieren der Daten als auch das Auftauen muss von einem Gericht genehmigt werden. Im Eilfall kann aber auch die Staatsanwaltschaft entscheiden und ein Gericht muss dies nach spätestens drei Tagen bestätigen. Ein Quick-Freeze-Befehl (die sogenannte Sicherungsanordnung) gilt einen Monat und kann zweimal verlängert werden. Maximal können Verkehrsdaten aus dem Umfeld einer Straftat so drei Monate gesichert werden.

Möglich wäre das Quick-Freeze-Verfahren nach Buschmanns Vorschlag bei Straftaten „von erheblicher Bedeutung“, also bei Gewalt-, Sexual- und schweren Vermögensdelikten, bei Drogen- und Steuerkriminalität sowie bei politischen Straftaten.

Faeser plädiert für IP-Adressen-Speicherung

Wie üblich wird bei Gesetzentwürfen auch angegeben, welche „Alternativen“ es gibt. Hier nennt Buschmann nur den Verzicht auf jede vorsorgliche Speicherung. Was er nicht nennt, ist die Alternative, die Innenministerin Nancy Faeser (SPD) propagiert: die Vorratsdatenspeicherung aller IP-Adressen. Auch dies hat der EuGH in seinem Urteil vom September zugelassen. Faeser wird hierbei von Kanzler Scholz unterstützt, nicht aber von der SPD-Fraktion im Bundestag. Faeser hält Quick Freeze für ungenügend. Wenn eine Tat zu spät entdeckt wird, seien die Verbindungsdaten längst gelöscht und könnten daher auch nicht eingefroren werden.

FDP und Grüne lehnen Faesers Vorstoß aber ab und verweisen auf den Koalitionsvertrag, der jeder Form der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung eine Absage erteilt. Buschmanns Gesetzentwurf sieht deshalb vor, die Vorratsdatenspeicherung (auch der IP-Adressen) aus allen Gesetzen zu streichen.

Der Bundesjustizminister hat seinen Gesetzentwurf an diesem Dienstag in die Ressortabstimmung der Bundesregierung gegeben. Wenn es in der Koalition keine Einigung gibt – und danach sieht es derzeit aus –, bleibt es beim Status quo: Es gäbe also weder Vorratsdatenspeicherung noch Quick Freeze. Buschmann hofft, dass sich letztlich auch die Sicherheitsbehörden für seinen Gesetzentwurf einsetzen werden – weil ihnen der Spatz in der Hand mehr bringt als die Taube auf dem Dach.

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12 Kommentare

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  • Das mit dem Thema „Vorratsdatenspeicherung“ (egal in welcher Ausgestaltung) verbundene Problem ist doch, (neben seiner anlasslosen Datenspeicherung), dass der Gesetzgeber seine Anwendbarkeit – gewollt(!) – unbestimmt und weit fasst.



    „Schwere Gesetzesverstöße“ & ähnliche Gesetzesformulierungen sind nicht legaldefiniert, weshalb es der subj. Auffassung eines jeden Richter*in obliegt, ob dieses Instrument angewandt wird.



    Beispiel: Bei Mord besteht Einigkeit. Doch wie sieht es bei z.B. Einbruchdiebstahl aus, der letztlich auch schon bei einer Flasche Bier als Diebesobjekt zur Anwendung kommen kann?! In Österreich wurde vor Jahren die Vorratsdatenspeicherung bei einem einfachen Diebstahl angewandt.

    Also bei diesen bewusst schwammigen Gesetzesformulierungen eröffnet sich der Staat – ganz praktisch – eine SEHR WEIT UND TIEF reichende Überwachungsmöglichkeit zulasten von uns Bürger*innen.

    UND

    Diese staatliche Überwachung greift in den PRIVATESTEN Kernbereich von uns Bürger*innen ein, vergleichbar dem Eingriff in den grundrechtlichen Schutz der Wohnung, Art. 13 GG. Denn was in der Wohnung eines/-r Jede/n von uns stattfindet, ist geschützte Privatsphäre, welche in Zeiten von sozialen Medien & Co. nunmehr eben auch digital gelebt wird!!!

    UND eben diese grundrechtlich geschützte Privatheit will der Gesetzgeber nun mit SCHWAMMIGEN Gesetzesformulierungen zu Lasten der Bürger*innen aufweichen, & darauf Zugreifen können, indem der Staat infolge der schwammigen Formulierung, faktisch WILLKÜRLICH auf unsere digitalen Daten zugreifen & diese profilbezogen auswerten kann.



    Die V. greift also MINDESTENS so stark in unsere Grundrechte ein, wie dies im Falle des STAATLICHEN Eingriffes auf Art. 13 GG der Fall wäre.



    Und im Falle von Art. 13 GG sind zwar gleichfalls Eingriffe möglich; jedoch immer nur auf Basis EINDEUTIG bestimmter Voraussetzungen; und nicht auf Basis SCHWAMMIGER Gesetzesformulierungen, welche dem Staat willkürlich Zugriff auf unsere Privatsphäre gestatten.

    ;-)

    • @tazeline:

      Fakt ist aber auch, dass es eine Vorratsdatenspeicherung gibt, die von den meisten geschluckt wird, ohne Widerspruch.



      Und die Akteure verkaufen ihre Großmutter, wenn der Preis stimmt.



      Ich meine zum Beispiel ihre Bank, die Schufa, Meta...

  • Verstehe ich das richtig, wenn der Mord passiert ist, wird am Tatort angefangen, die Daten zu sammeln?



    Also Daten ab Tat? Was bringt das?



    Oder sollen die Daten von anderen Stellen erstmal in den Kühlschrank, damit sie später eingefroren werden können?



    Also von Unternehmen gesammelt, denen ich überhaupt nicht traue, was Datenverwertung betrifft. Die verkaufen doch ihre Großmutter an den Teufel.

  • Quick Freeze dürfte in sehr vielen Fällen rein gar nichts bringen und ist damit reiner Alibismus. Jede Tat, die nicht sofort bekannt wird - verspätete Leichenfunde, nicht sofort angezeigte Sexualsttaftaten oder Raubtaten etc. - wird jedenfalls aus dieser Richtung wenig Ermittlungsansätze zu erwarten haben. Ich bin gespannt, auf wen im Zweifel am Ende dann (wieder) alle schlauen Finger zeigen werden.

  • Wäre ich religiös, würde ich rufen "heilige Einfalt".



    Hat jemand der Meinenden schon versucht binnen 3er Monate eine Entscheidung eines Richter:in in Deutschland zu bekommen, die rechtsfest ist?



    Sicher nicht!



    Ohne die Voraussetzungen in der Justiz und (auch intelektuell) bei der Sta personell zu schafen, ist das alles nur Verfolgungsverweigerung.Mit Ablaufdatum.

    • @oldleft:

      So funktioniert der Richtervorbehalt nicht, gerade in Großstädten gibt es einen Eildienst, der z.B. 5-Punkt-Fixierungen bewilligen kann. Es ist also mitnichten so, dass hier lange prozessiert werden müsste. Auch da wie beschrieben die Staatsanwaltschaft ggf. die Anordnung verfügen kann, um sie nachträglich zu legitimieren. und wenn man die Arbeitsweise der Staatsanwaltschaft kennt, ahnt man, dass sie das Privileg auch gerne nutzen werden.

  • Insbesondere Bund und Länder sollen (gefälligst) zB die Strafverfolgungs- und Ermittlungsbehörden mit ausreichend Personal und Technik ausstatten, als nach solchen Methoden, wie im Artikel beschrieben, zu gieren.

  • "So könnte die Staatsanwaltschaft nach einem Mord beantragen, dass die Verbindungs- und Standortdaten aller potenziell Verdächtigen, des sozialen und beruflichen Umfeld des Opfers und der möglichen Tatorte von den Telekomfirmen vorsorglich eingefroren werden."

    Diese Daten dürfe aber doch nach dem Urteil des EuGH gar nicht erst gespeichert werden. Übrig bliebe dann lediglich die Option,z.B. nach einem entdeckten Mord oder Drogendeal noch mal schnell beim Provider das Datensammeln zu veranlassen.

    • @Kabelbrand Höllenfeuer:

      Das Urteil bezieht sich darauf, was der Staat darf. Die Provider schaffen diese Daten ja im Prinzip erst und müssen sie aus techn. oder prakt. Gründen natürlich auch mehr oder weniger lang vorhalten. Die Unternehmen würden nur dazu veranlasst, die sonst routinemäßige Rotation/Löschung dieser Daten zurückzustellen bzw. Kopien zu sichern. Ich sehe den Unterschied zur Vorratsspeicherung ohne Kenntnis der letztendlichen Praxis im Wesentlichen darin, dass hier erst was passiert sein müsste. Die Frage ist dann wann ist was passiert? Und insofern find ich den vorgeschlagenen Katalog auch interessant, aber ganz im Ggt. eher großzügig, potenziell sehr breit. Jedes Drogendelikt? Dann wär's halt schnell so dass immer, überall, sowieso was passiert. Was heißt dann z.B. Umkreis, wo es um den Mobilfunk geht? Dörfer, sogar manch kleine Stadt, sind oft durch eine einzige Zelle abgedeckt. Genauer geht da kein "Standort" mit sicher verfügbaren Mitteln. Wir reden also sofort und immer noch von u.U. tausenden Menschen. Ein Dealer im Ort reicht. Würden von denen dann "nur" diese Einwahldaten gefroren oder sofort die ganze, greifbare Palette? Letzteres liefe m.E. auf Vorratsspeicherung hinaus, nur eben nicht mehr als Tuchlösung, bei der jeder weiß woran er ist, sondern als obskurer Flickenteppich. Verstanden ist dass niemand ohne triftigen Anlass diese Sicherungen auftauen sollte, aber ich kann mir auch nicht vorstellen dass die früher nach Belieben die Vorräte auswerten durften. Oder konnten. Und strittig war gerade das Speichern an sich. Ob das also wirklich'n Fortschritt ist oder nicht selbst eher'n cleverer Trick gegen das Urteil, womöglich unbeabsichtigt, bliebe zu sehen. Aber besser als die Variante Faeser ist es auf jeden Fall.

  • Ich finde den vorgeschlagenen Straftatenkatalog interessant und bin wirklich froh, dass nicht bereits die nächtliche Ruhestörung zum Quick Freeze führen würde. Aber das lässt sich sicher auch später noch beheben!

  • Finde ich gut. Und warum sollte sich die Ampel nicht einigen? Es steht schließlich ziemlich genau so im Koalitionsvertrag. Wenn Faeser damit ein Problem hat, sollte sie nicht Teil dieser Regierung sein.

  • Quick Freeze, die bisher akzeptabelste aller Vorschläge.