Vorbereitungen zur Klimakonferenz: Wir haben noch nicht verloren
Die Fakten sehen schlecht aus. Aber im Kampf für eine bessere Klimapolitik brauchen wir neben Wut auch Zuversicht, findet unser Autor.
Bonn taz | Der junge Mann sitzt gleich hinter dem Eingang des Kongresszentrums in Bonn in einem Sessel. Er blickt auf sein Smartphone, aber die wirkliche Nachricht steht auf seiner Brust: „We have not yet been defeated“ – „Wir haben noch nicht verloren!“
Das ist ja mal die richtige Einstellung für eine Klimakonferenz, sage ich zu ihm. „Ja“, meint er und lacht. „Aber eigentlich ist das der Titel eines Buchs von Alla Abd El-Fattah. Der sitzt immer noch im Gefängnis.“
Noch ein Grund mehr, das T-Shirt hier in Bonn zu tragen. El-Fattah ist vielleicht der bekannteste politische Gefangene in Ägypten. Seit sieben Jahren sitzt der Blogger immer wieder in Haft, weil er sich im autoritär regierten Pyramidenstaat nicht unterkriegen lässt.
Bei der COP27 in Scharm al-Scheich war er in einen Hungerstreik getreten, die deutsche und die EU-Delegation hatten sich um den Fall prominent gekümmert.
1,5 Grad nicht höflich zu stoppen
Seine Schwester wurde von den Deutschen eingeladen und auf einem Podium von ägyptischen „Sicherheitsleuten“ bedrängt, die Ägypter waren sauer, dass die Deutschen sich in ihre „inneren Angelegenheiten“ einmischten. Alle hatten Angst, dass El-Fattah sterben würde, aber er beendete den Hungerstreik.
Und dann zog die Klimakarawane weiter und vergaß El-Fattah. Ich auch. Aber seinen Slogan sollte man in Marmor meißeln und als offizielles Motto der Klimakonferenzen auf Kaffeebecher drucken: Ein trotziges und rotziges „Wir haben noch nicht verloren!“ – auch wenn die Realität ganz anders aussieht.
Denn klar, die Fakten sehen schlecht aus. Und man haut sie uns bei jeder Konferenz um die Ohren: neue CO2-Rekorde, wo die Emissionen weltweit in sechseinhalb Jahren halbiert werden müssten; Waldbrände, Dürren, Überschwemmungen, bald schon eisfreie Arktis im Sommer. Und die Öl- und Gasländer versprechen den Ausstieg, stecken ihr Geld aber weiter in die dreckigen Energien. Da kannste schon mal meckern. Und kalkulieren, dass die Erwärmung bei 1,5 Grad nicht höflich stoppen wird.
Aber die Welt geht eben auch nicht an dem Morgen unter, wo offiziell und weltweit die 1,5 Grad überschritten sind. Ja, es wird dann noch gefährlicher, ja, es drohen Kipppunkte, ja, wir sollten alles tun, um das zu vermeiden und ja, wir alle sind die letzten Generationen, die das verhindern können.
Wut und Zuversicht
Aber auch bei 1,6 Grad müssen wir weiter dafür kämpfen, die Fossilen auszubremsen und den Wald zu retten. Wir müssen den Armen gegen die Klimaschäden helfen und das verdammte CO2 möglichst schnell wieder aus der Luft holen. Noch haben wir die Wahl.
Da ist es das Beste, einmal tief Luft zu holen und sich zu sagen: „Wir haben noch nicht verloren!“. Denn wenn wir denken, dass es aus ist, dann ist es wirklich aus. Nicht umsonst hat die ehemalige Chefin des UN-Klimasekretariats Christiana Figueres, die „Klimaqueen“, die das Pariser Abkommen mitverhandelt hat, ihrem Podcast einen schönen Namen gegeben: Outrage and Optimism. Wut und Zuversicht. Ein T-Shirt mit diesem Slogan würde ich sofort kaufen.
Leser*innenkommentare
Horst Flugfeld
War nicht bei der Bremen-Wahl "Wut" noch irgendwie bääh und infantil? Wie auch immer: Die nächste gigantische Klimakonferenz findet doch hoffentlich CO2-sparend digital statt.
Klabauta
Klingt nach Pfeifen im Wald. Aber wenn man wie der Autor Kinder oder wie ich Kinder und Enkel hat, dann ist aufgeben einfach keine Option.
Wut und Zuversicht? Ich gestehe, dass bei mir derzeit die Wut überwiegt.
tomás zerolo
"Die De-Carbonisierung der Energiewirtschaft wird erst einmal noch viel mehr CO2 verursachen. Denn Windräder oder PV-Module fallen nicht mit vom Himmel."
Dazu:
"Der Bau von Windkraftanlagen verbraucht viel Energie, vor allem die Herstellung der Stahltürme und der Betonfundamente. Laut Umweltbundesamt (UBA) erzeugen Windräder in 2,5 bis 11 Monaten Betrieb die Energiemenge, die zu ihrer Herstellung erforderlich war. Im Schnitt laufen Windräder etwa 25 Jahre, in der Zeit wird 40 Mal mehr Energie erzeugt als für Herstellung, Nutzung und Entsorgung der Anlage nötig sind." [1]
Wer also *jetzt* nicht massiv in Windkraft investiert ist schlicht und ergreifend doof.
[1] www.dw.com/de/wie-...hitzung/a-60170247
679115 (Profil gelöscht)
Gast
Wo ist denn da die Zuversicht? Und was hat der arme ägyptische Aktivist mit unserer Klimapolitik zu schaffen? Er sitzt im Gefängnis und wird gefoltert, die Klimaziele werden allesamt verfehlt, Besserung ist nicht in Sicht, hunderte Millionen Menschen, wenn nicht Milliarden, werden bedroht sein.
Kaffeebecher, T-Shirts und ein Gute-Laune-Onkel auf der Klimakonferenz ohne Ergebnisse, mich bringt diese Art der Berichterstattung echt zum Kotzen.
Sonnenhaus
@679115 (Profil gelöscht) Da kann ich Ihnen nur zustimmen.
Zebulon
@679115 (Profil gelöscht) Ich mag Ihre konkrete knackig Art.
31841 (Profil gelöscht)
Gast
Kann jemand bitte sagen, wie weit die Entfernung auf dem Weg bis zur Niederlage noch ist?
Mopsfidel
Nach dem 1,5 Grad Ziel kommt das 2,0 Grad Ziel. Alles reine Definitionssache. Und nein, persönlich glaube ich überhaupt nicht an die Einhaltung dieses Temperaturzieles. Denn aus dem Träumen bin ich leider schon lange raus.
Vor ein paar Tagen wurde der Rekord von 200.000 Flugbewegungen an einem einzigen Tag gemeldet. Tendenz? Stark steigend!
Die Anzahl der Rinder ist in den letzten 10 Jahren gleich hoch geblieben und damit auch der Methan-Ausstoß.
Der weltweite CO2-Ausstoß jagt von einem Rekordhoch zum nächsten. Ob zb. Deutschland da große Anstrengungen unternimmt oder nicht.
Wie soll die "Vollbremsung" denn aussehen? Auf die Schnelle würde dies nur mit Konsumverzicht gehen; dann wäre allerdings auch die weltweite Wirtschaft im Blindflug.
Die De-Carbonisierung der Energiewirtschaft wird erst einmal noch viel mehr CO2 verursachen. Denn Windräder oder PV-Module fallen nicht mit vom Himmel. Ebenso profitieren erst einmal nur die Hersteller und Handwerker von Wärmepumpen sowie die Stromanbieter.
Irgendwie hat der Autor in einem Satz sogar Recht: "Aber die Welt geht eben auch nicht an dem Morgen unter ..."
Stimmt. Die Welt (ansich) geht weder bei -100 Grad noch bei +100 Grad unter. Notfalls hat sie ein paar viele lästige Erdenbewohner weniger.
Zebulon
@Mopsfidel Dann irre ich nicht, wenn ich Ihre lange Aussage folgend zusammenfasse : "Ist alles egal und deshalb hat das Thema keine Konsequenzen für mein handeln"?
Und daß Sie vermutlich nicht zu den "vielen lästigen Erdenbewohnern" gehören werden, die Sie "notfalls" mit einem Achselzucken zu opfern bereit sind, ist auch klar.
Null Substanz
@Zebulon Sie verwechseln MOPSFIDEL mit der Evolution.
Zebulon
@Null Substanz Das ist mir ganz neu und war keinesfalls beabsichtigt. Woran machen Sie es fest ?
Null Substanz
@Zebulon Meine Antwort ist vermutlich wegkuratiert worden.
Zebulon
@Null Substanz Das kenne ich. Schade
Philippo1000
Wut und Zuversicht!
Ich bin dabei!
Danke für diesen belebenden Artikel.
Stimmt so ziemlich Alles!
Dran bleiben!
Als Bonn noch Bundeshauptstadt war, habe ich begonnen mit dem Fliegen aufzuhören.
Das war viel einfacher,als die Sache mit dem Rauchen.
Nun sind große Demos in Bonn ja auch schon länger Geschichte.
Gestern standen Drei letzte GenerationärInnen in Bonn vor der Reuterbrücke.
Süß!
Da braucht es also keine Hunderttausende mehr?
Praktisch!
So gesehen fangen die ja gerade erst an.
Da geht noch was und ich geh vorbei, freu mich heimlich und mach einfach weiter, hin zu Weniger, besser durch Recycling,
Für mich und die einsamen, mutigen DemonstrantInnen.
Denn das Ziel ist das Gleiche und wenn auch die, die nächsten Jahrzehnte bei der Sache bleiben, dann
haben wir wirklich noch nicht verloren.
Zebulon
@Philippo1000 Man kann es aber auch mit dem Optimismus übertreiben. Aktiv sein und/oder werden ist moralische Pflicht, da haben Sie schon recht, aber für Optimismus sehe ich leider wenig Anlaß.