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Vor der BundestagswahlWie wir den Rechtsextremen Prozente nehmen

„Migrant“ und „Messerattacke“: Das rechte Framing trägt längst faule Früchte. Doch die verdrehte Wahrnehmung lässt sich wieder mit der Realität vereinen.

„Remigriert euch ins Knie!“: Die Demos im Januar 2024 haben rechten Erzählungen etwas entgegengesetzt Foto: picture alliance/dpa/Friso Gentsch

U nser Nachbarland Österreich zeigt, wie schnell die Pulverisierung von Brandmauern möglich ist und dass es mal wieder demokratische Parteien sind, die zu Wegbereitern und Speichelleckern ihrer eigenen Feinde werden.

Nur am Rande sei an die von Union bis Grüne hilflos dargebotenen rechtspopulistischen Parodien der vergangenen Wochen erinnert. (Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft, nützliche und weniger nützliche Syrer …) Wider besseren Wissens helfen sie, dass der rechtsextreme Schnodder in alle Teile der Gesellschaft sickert, sich festsetzt wie eine chronische Sinusitis und dabei den rechten Rand nicht mal schwächt.

Wehrlos sind wir dagegen nicht. Am Beispiel des Themas „Migration“ lassen sich sowohl Sinusitis als auch mögliche Gegenmaßnahmen gut illustrieren: Bilden Sie aus den Wörtern „Migrant“, „Angst“ und „Messerattacke“ einen vollständigen Satz.

Jede Wette, dass der Satz bei den meisten nicht folgendermaßen lautet: „Migranten haben Angst vor Messerattacken.“ Warum sollten sie auch keine haben? Oft genug zählen sie zu den Opfern, was freilich selten in den Vordergrund gerückt wird.

Das penetrante Framing

Rund ein Viertel aller Erwachsenen in Deutschland hat einen Migrationshintergrund, mehr als 20 Millionen Menschen. Darunter fünf bis sechs Millionen muslimisch gelesene, also jene Gruppe, der viele der Straftäter zugeordnet werden. Jede einzelne Tat ist eine Katastrophe und die Täter gehören vor Gericht. Stimmte die Propaganda neu-rechter Kreise, müsste es bei diesen Zahlen täglich Hunderte Massaker geben.

Das penetrante Framing vieler Jahre trägt längst pralle Früchte. Wahrnehmung und Wahrheit klaffen auseinander. 2024 ergab eine repräsentative Ipsos-Umfrage, dass der Anteil muslimisch gelesener Personen in Almanya auf 24 Prozent geschätzt wird. Tatsächlich liegt er bei maximal 7 Prozent, eher darunter.

Am Beispiel der Brandenburger Landtagswahl im vergangenen September fand infratest dimap heraus, dass 52 Prozent aller AfD-Wähler:innen die Partei aus Überzeugung gewählt hätten. 42 Prozent aus Enttäuschung von den anderen Parteien.

Hier muss man ansetzen. Bei denen, deren Weltbild kein geschlossen rechtsextremes ist. Laut einer Allensbach-Umfrage von 2021 hat rund die Hälfte der West- und ein gutes Fünftel der Ostdeutschen muslimisch gelesene Freunde oder Bekannte. Sicher befinden sich darunter auch AfDler. Ihnen muss man die Auswirkungen der AfD-Politik auf ihre Freunde, Bekannten, Ärzte, Handwerker und Gastronomen vor Augen führen, sie so persönlich wie nur möglich konfrontieren.

Was wir brauchen, ist ein Deframing!

In meiner eigenen Bubble gibt es etliche, die unbemerkt mit Menschenfeindlichkeit sympathisieren, ohne die Tragweite zu sehen. Erkläre ich ihnen, dass auch ich weg wäre – entweder zwangsweise remigriert oder rassistisch weggemobbt – müssen sie schlucken. Was wir brauchen, ist ein ständiges Deframing!

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Und dann auch noch das: Von den rund 60 Millionen Wahlberechtigten haben knapp neun Millionen eine Migrationsgeschichte. Die Migrationsforscherin Naika Foroutan schrieb 2024: „Würden sie alle für eine einzige Partei stimmen (und läge die Wahlbeteiligung gleich hoch wie im Rest der Bevölkerung), käme diese allein dank der migrantischen Wahlstimmen auf ca. 15 Prozent.“

Unter ihnen Millionen muslimisch Gelesener. Diese Gruppe lässt man jedoch weitgehend unberücksichtigt. Stattdessen laufen etablierte Parteien rechtsradikalen Positionen hinterher. Mit dem Nichtwähleranteil von bis zu 30 Prozent ist das Potential enorm, das mit Erzählungen frei von menschenverachtenden Positionen wohl grundsätzlich mobilisierbar wäre.

Die eher reaktionär Denkenden unter beiden Gruppen greift eine Partei bereits erfolgreich ab – die AfD.

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Bobby Rafiq
Jahrgang 1976, Südhang Hindukusch. Berliner Junge. Schon als Kind im Widerstand gegen Exoten-Bonus und Kanaken-Malus. Heute als Autor und Producer zu unterschiedlichen Themenfeldern journalistisch tätig. Für TV, Print, Online und Bühne. Und fast immer politisch.
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14 Kommentare

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  • "Muslimisch gelesene Menschen" sind keine homogene Gruppe. Warum sollten sie alle für "eine Partei" stimmen?



    Und eine nicht unbedeutende Gruppe "muslimisch gelesene Menschen" möchte alles Mögliche sein - bloß nicht "muslimisch gelesen" Manche wollen sogar mit dem Islam nichts (mehr) zu tun haben!

  • „Würden sie alle für eine einzige Partei stimmen (und läge die Wahlbeteiligung gleich hoch wie im Rest der Bevölkerung), käme diese allein dank der migrantischen Wahlstimmen auf ca. 15 Prozent.“ - Wo würde diese Partei verortet sein? Rechts oder links der AfD?

    • @Chris McZott:

      Ganz einfach, sie würde keinen Hass auf Migranten säen. Es geht hier ja schlicht und ergreifend um ein Wählerpotential, mehr nicht.

  • Der Artikel geht davon aus, dass die Einstellung von CDU/CSU, von FDP und auch Teilen der SPD "gegen Migranten" das Problem ist. Liest man allerdings in den Parteiprogrammen und hört man den gewählten Vertretern der Parteien einfach mal zu, so erfährt man, dass es den Parteien um illegale Migration geht. Das ist nicht dasselbe. Tatsächlich findet sich diese Formulierung sogar in Aussagen der AfD.

    Der Artikel wirft Stellungnahmen "gegen illegale Migration" mit Stellungnahmen "gegen Migranten" fröhlich durcheinander. Letzters, also Stellungnahmen gegen Menschengruppen, sind aus guten Gründen im politischen Diskurs nicht legitim. Ob ersteres legitim ist, wird zwar bestritten ("Kein Migrant ist illegal"), ist aber zumindest eine gesellschaftliche Diskussion wert, und diese wird ja auch geführt.

    Der Artikel sagt nun, dass die AfD so stark ist, weil es ein Framing gibt, also eine Kommunikation, die einen bestimmten Begriff vor allem negativ konnotiert. Dem würde ich zustimmen. Allerdings trifft das auch auf dem Artikel zu. Er versucht, eine gesellschaftlich breit geführte Diskussion negativ zu konnotieren. Ich meine, genau das macht erst die AfD wirklich stark.

  • Betonung von muslimisch gelesenen Menschen leuchtet mir im Rahmen dieses Artikels nicht ein. Der Autor sagt, muslimisch, gelesene Menschen sollten eine bestimmte Partei wählen. Warum sollten muslimisch, gelesene Menschen eine bestimmte Partei wählen? Das ist doch eine Fremdzuschreibung. Muslime könnten ihr Wahlrecht so ausüben, dass sie eine pro islamische Partei wählen. Dafür gibt’s Wahlen. Aber nur weil einer fremdgelesen einer bestimmten Religion zugehört. Warum sollte er nur weil einer meint, er ist muslimisch gelesen eine bestimmte Partei wählen?

    • @Miriam:

      In welchem Teil des Artikels sagt der Autor, dass muslimisch gelesene Menschen eine bestimmte Partei wählen sollen?



      Ich sehe im drittletzten Absatz lediglich ein Gedankenexperiment (als Zitat der Migrationsforscherin Naika Foroutan von 2024) : „Würden sie alle für eine einzige Partei stimmen (und läge die Wahlbeteiligung gleich hoch wie im Rest der Bevölkerung), käme diese allein dank der migrantischen Wahlstimmen auf ca. 15 Prozent.“ ... Und "Würden" ist was völlig anderes als "Sollen", und außerdem spielte die Religion im Zitat keinerlei Rolle.

  • Die Brandmauer ist ein gedankliches Gebäude, dass in der Praxis von der CDU alleine aufrecht erhalten wird. Es ist und war nie das die AfD eine Koalition mit der SPD oder den Grünen anstreben, von daher ist die Verweigerung einer solchen Koalition nichts außer heiße Luft und war auch nie etwas anderes.

    Die CDU hatte eine Interesse an der Brandmauer, solange man realistisch davon ausgehen konnte, dass die AfD wieder verschwindet, wenn man sie nur lange genug ausgrenzt. Dieser Fall ist offenkundig nicht eingetreten. Im Resultat ist die CDU nun durch die Brandmauer dazu verdammt Koalitionen mit linken Parteien einzugehen, während die Wählerschaft immer weiter nach rechts abdriftet. Das wird diesmal noch gut gehen. Ob das 2029 auch wieder so ist darf man bezweifeln und das weiß die AfD auch ganz genau.



    Tatsächlich profitiert die AfD von der Brandmauer, weil diese zuverlässig dafür sorgt, dass die Maßnahmen wegen der Menschen AfD wählen, nicht von einer anderen Regierung umgesetzt werden.

    • @Julius Anderson:

      Auf einer analytischen Ebene liegen Sie sicher richtig, was die Beschreibung der Funktion dieser Brandmauer (aus konservativer Perspektive) betrifft - es macht nur Sinn, wann man davon ausgeht, dass die AfD wieder verschwindet (was sie leider jedoch nicht macht).



      Die starke Präsenz der AfD (mittlerweile Platz 2) gefährdet allerdings nicht die weiter bestehende politische Dominanz von CDU/CSU in der Bevölkerung, im Gegenteil scheint die AfD eher von der Substanz der links von der Union stehenden Parteien zu zehren. Selbst das „gemäßigtere“ Angebot BSW kann den Aufwärtstrend der AfD nicht brechen - anfangs waren ja durchaus einige Hoffnungen damit verbunden.



      D.h., für Konservative ist der Aufstieg der Rechtsextremisten ein Vabanquespiel: indem sie die linkeren politischen Kräfte schwächen, sichern sie die Dominanz des Konservatismus - bis zu dem Zeitpunkt, wo diese sie überflügeln (wie jetzt in Österreich). Dann bleibt nur noch, sich auf Koalitionen einzulassen, in der Absicht, das Schlimmste noch verhindern zu können.



      Oder andere Lesart: Konservative und Faschisten in der Richtung durchaus überein, unterscheiden sich möglicherweise nur in den Methoden.

  • Ein toller Artikel, der mir leider zu wenig Mut macht: ich bin 57, Regensburg, alles tiefschwarz hier...



    Die Menschen KENNEN kein anderes Thema als daß alle Migranten unseren Staat auslachen. Sie fühlen sich verhöhnt.



    Wenn einer von "Flut von Asylanten" spricht und ich entgegne ihm, daß das ...wenn ich Blödsinn sage, dreht er sich sofort weg...



    wenn ich argumentiere ist das "TROTZDEM..." schon auf dem Mundwinkel des Angesprochenen zu erkennen...



    Sie trauen niemandem und nichts..und einem links-grün-versifften Arbeitsscheuen (bayrisch für erwerbsunfähig) wie ich trauen sie schon gleich dreimal nicht...



    Vielleicht haben Sie noch genauere Hilfen, Herr Rafiq



    (ich bekomme schon auch nur Ablehnung wenn ich nur frage ob es auch ein anderes Thema gäbe....)



    wie genau soll man deframen?

  • Ab wann ist ein muslimisch Gelesener eigentlich ein Moslem?

    Ursache für viel Missverständnisse ist die mangelhafte Vorbildfunktion und Durchsetzung der Rechtsstaates.



    Ich habe viele Freunde und Kollegen mit ausländisch klingenden Namen, die wenig Verständnis dafür aufbringen, dass ein migrantischer Hintergrund für die Rechtfertigung und Entschuldigung für Missbrauch des Sozialsystems, Gewalt, Clankriminalität, Antisemitismus und Frauenverachtung gesehen wird.



    Hier kann ein fairer und konsequenter Staat mehr gegen Rechtspopulismus bewirken als alle Betroffenheitsdemos.

  • „Migranten haben Angst vor Messerattacken.“



    Gut auf den Punkt gebracht!



    "Was wir brauchen, ist ein ständiges Deframing!"



    Kann das helfen?



    I hope so...

  • "Jede Wette, dass der Satz bei den meisten nicht folgendermaßen lautet: „Migranten haben Angst vor Messerattacken.“ Warum sollten sie auch keine haben? Oft genug zählen sie zu den Opfern, was freilich selten in den Vordergrund gerückt wird."

    Seht gute Feststellung! Vielleicht kommen wir der Lösung des Problems näher, wenn wir mal analysieren, warum wir in der Quelle der WählerInnen über alles (!) Wissen über die Welt, nämlich der Presse, diesen Satz genau nie (minus in diesem Artikel) lesen.

    Die Presse lebt davon, die Hetze gegen Migranten und Bürgergeldempfänger zu verstärken und zu bedienen. Das liegt an ihrer Motivation als kapitalistischer profitorientierter Betrieb. Sie schreiben keine Artikel, um die Menschen für die demokratischen Wahlen objektiv und kontextsensitiv zu informieren. Sie schreiben Artikel, um damit möglichst viel Geld zu verdienen. Schlimm genug, dass auch die öffentlich-rechtlichen Medien diesen Anspruch nicht mehr haben, obwohl sie eigentlich dazu verpflichtet wären. Sie verhalten sich wie Privatsender.

    Wenn mich jemand fragt, warum wir überall in der Welt einen schrecklichen Ruck ins Rechtsextreme haben: ich denke, hier sollte man suchen.

  • Die, die es angeht verstehen das verharmlosende "framing" nicht, richtig ist "Hetze".

  • Dazu gab es am 5. Januar auch einen interessanten Beitrag beim Westdeutschen Rundfunk, einem traditionell SPD-nahen Sender. Das Segment ist etwa 5 Minuten lang und läßt Integrations-Aktivisten und Politikwissenschaftler zu Wort kommen. Unter der Suche "Warum Migranten AfD wählen" läßt es sich recht bequem in der ARD-Mediathek finden. Ansonsten WDR "Aktuelle Stunde" vom 5. Januar, 19 Min. 13 Sek.