Vor dem Urteil im NSU-Prozess: Die Enttäuschung der Angehörigen
Am Mittwoch soll im NSU-Prozess das Urteil fallen. Die Hinterbliebenen der Opfer fordern die Höchststrafe für Beate Zschäpe.
Zehn Morde hatten die Rechtsterroristen verübt, neun davon an Migranten. Dazu kamen zwei Bombenanschläge und 15 Raubüberfälle. Angeklagt sind Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Helfer des NSU.
„Wir erwarten die Höchststrafe“, sagte Gamze Kubaşık. Wichtiger aber noch sei, die möglichen NSU-Helfer zu ermitteln und anzuklagen. Bis heute habe sie Angst, dass diese noch frei in Dortmund herumlaufen könnten. Von dem Aufklärungsversprechen, das Bundeskanzlerin Angela Merkel nach dem NSU-Auffliegen einst gab, sei nichts geblieben, kritisierte Kubaşık.
Abdulkerim Şimşeks Vater Enver war das erste NSU-Mordopfer, erschossen im September 2000. „Ich frage mich oft, was mein Vater gefühlt und gedacht haben muss, als er schwer verletzt auf dem Boden lag“, sagte Şimşek. „Ich kann nicht abschließen, weil ich das Gefühl habe, dass nicht alles für die Aufklärung getan wurde.“ Der Verfassungsschutz schreddere Akten oder gebe Dokumente nicht heraus. „Da gibt es offenbar etwas zu vertuschen und ich würde gerne wissen, warum.“ Auch Şimşek ist enttäuscht von dem Prozess. „Es kommt mir vor, als wenn alles umsonst gewesen wäre.“
Sebastian Scharmer, Anwalt von Gamze Kubaşık, warf den Geheimdienstlern einen „Gedächtnisschredder“ vor. Mitarbeiter hätten im Prozess eine „partielle Amnesie“ erlitten – immer dann, wenn es bei Befragungen „an die Substanz“ gegangen sei. Scharmer forderte die Innenminister zu einem weiteren Löschmoratorium für Akten mit NSU-Bezug auf. „Die Aufklärung ist mit dem Urteil längst noch nicht beendet.“
Im Prozess hatten die Ankläger, die Bundesanwaltschaft, den NSU als abgeschottetes Trio um Beate Zschäpe und ihre heute toten Mitstreiter Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt bezeichnet. Dazu kämen die vier angeklagten Helfer und neun weitere Unterstützer, gegen die noch ermittelt wird. Einige Angehörige und ihre Anwälte sehen den NSU indes viel größer. „Wir wissen, dass der NSU ein Netzwerk war“, sagte Opferanwalt Axel Hoffmann. Im Prozess waren auch 93 Nebenkläger zugelassen, vertreten durch 59 Anwälte. Auch nach dem Prozess, versicherte Scharmer, würden die Angehörigen ihre offenen Fragen weiter stellen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht räumt Irrtum vor russischem Angriff ein
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren