Von wegen „Gendersprache“: Wider die „Grammatikarianer“

Deutsch war nie ungegenderte Sprache: Überall finden sich gegenderte Artikel, Pronomen und Wortendungen – genau das ist ja das Problem.

Wir segeln über die Meere der Sprachen – Welche Schätze ließen sich heben! Foto: imago

In den Angriffen auf gendergerechte Sprache hat sich ein Neologismus eingeschliffen, der durchaus eine Denkpause wert ist: „Gendersprache“.

Diese Konstruktion suggeriert, dass Gender erst dann ein linguistisches Thema sei, wenn es um die sprachliche Repräsentation von inter*, trans* oder genderqueeren Menschen geht. Oder dass es eben darum ginge, noch einen Schritt weiter zu gehen und diese Lücke zu markieren, die der deutschen Grammatik eingeschrieben ist. So schlug es Steffen Kitty Herrmann 2003 mit dem Unterstrich im Essay „Performing the Gap – Queere Gestalten und geschlechtliche Aneignung“ vor.

Anders als das Anheften von „Gender“ an „Sprache“ suggeriert, kann allerdings nicht davon die Rede sein, dass Deutsch vor der Einführung des Gender-Gaps je eine ungegenderte Sprache gewesen sei: überall gegenderte Artikel, Pronomen und Wortendungen – und genau das ist ja das Problem.

Auf Nachrichtenportalen stolpere ich immer wieder über Ausdrücke wie „Gendersprache“ und „Genderverbot“ – auch weil dort oft dpa-Meldungen, zum Beispiel zu Sprachregelungen für Verwaltungen oder Schulen, einlaufen und dann per Dachzeile, Überschrift und Teaser gemeldet werden.

Wenn diese Meldungen allerdings die Sprache derer übernehmen, die politische Regelungen treffen sowie gendergerechte Sprache aus dem Sprachbild verbannen – und das ohne zu zitieren –, wird das Vokabular dieser Kampagnen immer ein Stück weiter normalisiert. Dessen sollten wir uns in den Redaktionen der Zeitungen und Nachrichtenportale und auch in den Nachrichtenagenturen bewusst sein, auch wenn es mit einer Meldung mal wieder schnell gehen muss.

Unser Handwerk im Journalismus ist die Sprache. Bei genau diesem Werkzeug lohnt es sich also, genau hinzuschauen und auch ethische Fragen an orthografische Regeln zu stellen. Sei es in der Berichterstattung oder beim Schrei­ben im Allgemeinen.

Ich finde an dieser Stelle die Science-Fiction-Autorin Ursula K. Le Guin unheimlich inspirierend. Sie erfand nicht nur Welten, in denen Gender sich nicht über Sprache herstellt, sondern sie beschäftigte sich in ihren Workshops, Essays und Büchern über das Schreiben mit Stil. Grammatik war für sie dabei immer untrennbar in die Art und Weise eingeflochten, wie wir denken und „Welten machen“.

In ihrem 1998 erschienenen Buch „Steering the Craft: A Twenty-first Century Guide to Sailing the Sea of Story“, sprach sie von „Grammar Bullies“, also „Grammatik-Bullies“. Mit dieser Figur beschrieb sie die Haltung, mit der das genderneutrale „they“ im Englischen immer wieder mit Verweis auf Singular und Plural abgelehnt wurde, ganz egal wie oft selbst Shakespeare es in seinen Theaterstücken verwendet hatte.

Le Guin nannte diese Gatekeeper hier auch „Grammarians“. Allein vom Klang her erinnert das an die Bevölkerung eines dystopischen Planeten, auf dem es jedes Mal Stromschläge setzt, wenn gegen das große Buch der Sprache verstoßen wird und Grammatik-Bullies zu Gender-Bullies werden.

Ich finde sie scary, diese „Grammatikarianer“ – ums es mal ganz tief im generischen Maskulinum versunken auszudrücken.

Welche Schätze könnten wir beim Segeln über die Meere der Sprachen und Erzählungen noch alle heben, wenn es mal nicht um die „Integrität“ einer Sprache ginge, die als gegeben angesehen wird, sondern um eine Sprache, mit der wir es lieben zu arbeiten.

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Redakteur:in für Kunst in Berlin im taz.Plan. Alle 14 Tage Kolumne Subtext für taz2: Gesellschaft & Medien. Studierte Gender Studies und Europäische Ethnologie in Berlin und den USA und promovierte an der Schnittstelle Queer-Theorie, abstrakte Malerei und Materialität. Als Künstler:in arbeitet Molitor mit Raum, Malerei und Comic. Texte über zeitgenössische Kunst, Genderqueerness, Rassismus, Soziale Bewegungen.

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