Volksentscheid und Wahltermin: Totengräber der direkten Demokratie
Den Klima-Volksentscheid nicht auf den Wahltag zu legen, ist ein Skandal. Für das politische Kalkül wird die direkte Demokratie beschädigt.
E s wäre der ultimative Offenbarungseid für die Demokratie in Berlin. Als würden die notwendig gewordene Wahlwiederholung von Abgeordnetenhaus- und Bezirkswahlen sowie die spätere teilweise Wiederholung der Bundestagswahl nicht schon genug Vertrauen in die Demokratie beschädigen, droht nun ein irreparabler Schaden.
Ganz ungeniert hat die SPD-geführte Innenverwaltung angekündigt, dass der Volksentscheid über das aller Voraussicht nach erfolgreiche Volksbegehren Berlin 2030 Klimaneutral wohl nicht am 12. Februar, dem Tag der Wahlwiederholung stattfinden soll. Stattdessen würden die Berliner:innen nur wenige Wochen später erneut zum Wahllokal gerufen werden.
Begründet wird dies mit der „enormen organisatorischen Herausforderung“, die schon die Vorbereitung eines Wahlgangs erfordere. Übersetzt heißt das: Berlins Verwaltung fühlt sich unfähig innerhalb von fast drei Monaten den Druck der Wahlzettel für das Volksbegehren zu organisieren. Allein diese Handlungsunfähigkeit wäre Grund genug, die zuständige Innensenatorin Iris Spranger ihrer Aufgaben zu entbinden – und selbstverständlich auch den für das Wahlchaos im vergangenen Jahr verantwortlichen Senator Andreas Geisel (ebenfalls SPD).
Tatsächlich aber ist die Situation schlimmer. Spranger und dem Senat, von dem bisher kein Widerspruch zu hören ist, mangelt es am Respekt vor den Bürger:innen und der demokratischen Institution der direkten Demokratie. Ihre Pflicht wäre es, alles zu tun und das auch zu kommunizieren, um dem Volksentscheid die bestmöglichen Bedingungen zu schaffen. Den Entscheid also dann stattfinden zu lassen, wenn das Beteiligungsquorum von mindestens 25 Prozent sicher erfüllt werden wird. Dass sie diese Anstrengung und auch jedes Bedauern vermissen lassen, zeigt, was eigentlich dahinter steckt: Kaltschnäuzige Ignoranz und politisches Kalkül.
Hoffen aufs Scheitern
Die SPD und auch die Koalitionspartner lehnen den Volksentscheid ab und hoffen darauf, dass ihnen der Druck, viel mehr in den Klimaschutz zu investieren, erspart bleibt. Also spekulieren sie nun offensichtlich darauf, dass sich an einem eigenständigen Wahltermin nicht genügend Menschen zur Abstimmung motivieren lassen. Nicht zu Unrecht: Noch ist es jedem Volksentscheid, der nicht parallel zu einer Wahl stattgefunden hat, schwergefallen, ein Viertel der Berliner:innen an die Urnen zu bewegen.
Für die Sabotage am Bürgerwillen werden dann auch keine Kosten und Mühen gescheut. 39 Millionen Euro kostet allein die Wahlwiederholung, eine ähnliche Summe wäre zusätzlich nötig bei einem eigenen Volksentscheid-Termin. Gerade erst musste die Aufwandsentschädigung für Wahlhelfer:innen auf 240 Euro vervierfacht werden, weil sich anders kaum 38.000 Freiwillige für einen Wahltermin finden lassen, die laut Landeswahlleitung wohl benötigt werden.
Das Schlimmste daran: Das alles ist kein Ausrutscher. Vor allem die SPD betrachtet Volksentscheide seit jeher als lästig. Das Tempelhofer Feld will sie hartnäckig bebauen lassen, Deutsche Wohnen Enteignen hat sie auflaufen lassen, so gut es ging. Die Mündigkeit der Bürger:innen und das Demokratievertrauen hat sie damit massiv beschädigt. Wie viele Berliner:innen winken inzwischen bei der Unterschriftensammlung für Volksbegehen ab und sagen: „Das wird doch eh nicht umgesetzt.“
Noch kann der Senat Sprangers Empfehlung ablehnen. Für die Wähler:innen bleiben in jedem Fall zwei gute Nachrichten: Der Volksentscheid wird so oder so kommen, und man kann ihn zum Erfolg verhelfen. Und: Niemand muss die Totengräber der direkten Demokratie wiederwählen.
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