Streit um Ex­per­t*in­nen­kom­mis­si­on: Enteignung des Wählerwillens

Kurz vor ihrer ersten inhaltlichen Sitzung gerät die Enteignungskommission in die Kritik. Die Vorsitzende will die politischen Vorgaben unterlaufen.

Ein Transparent mit der Aufschrift «Ja zu 59,1%, Wie ist dein Demokratieverständnis, Franziska?» hält ein Teilnehmer einer Protestkundgebung von «Deutsche Wohnen und Co. enteignen» vor dem Roten Rathaus.

Die Geschäftsordnung der Enteignungskommission sorgt für Unmut Foto: Jörg Carstensen/dpa

BERLIN taz | Es ist so eine Sache mit der direkten Demokratie: Fragt man die Bür­ge­r*in­nen nach ihrer Meinung, kommen dabei manchmal auch Sachen raus, die Po­li­ti­ke­r*in­nen nicht in den Kram passen. Wie beim Berliner Volksentscheid über die Vergesellschaftung von Unternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen. Vor dem Hintergrund explodierender Mieten hatte im September vergangenen Jahres mit gut 59 Prozent eine breite Mehrheit der Ber­li­ne­r*in­nen für den Gesetzesvorschlag der lnitiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ gestimmt.

Der rot-grün-rote Senat ist sich in dieser Frage weniger einig: Während die Linke das Vergesellschaftungsvorhaben voll und ganz unterstützt, sehen die Grünen darin lediglich ein letztes Mittel, die SPD lehnt das Ziel des Volksentscheids gänzlich ab.

Nun sollte man meinen, dass eine Metropole wie Berlin, die sich Bür­ge­r*in­nen­be­tei­li­gung groß auf die Fahne schreibt, diesen Wäh­le­r*in­nen­wil­len nicht einfach ignoriert oder gar sabotiert. Genau dieser Vorwurf steht jedoch im Raum. Bereits bei der Besetzung der Expert*innenkommission, die die Umsetzung des Enteignungs-Volksentscheids prüfen soll, hagelte es Kritik, weil die SPD vor allem ausgewiesene Ent­eig­nungs­geg­ne­r*in­nen benannt hat.

Kurz vor ihrer ersten inhaltlichen Sitzung am 9. Juni befindet sich die Kommission erneut in einer Legitimationskrise: Linke, Grüne und die Initiative „DW & Co enteignen“ werfen Kommissionschefin Herta Däubler-Gmelin (SPD) vor, die mühsam ausgehandelten politischen Vorgaben zur Arbeitsweise des Gremiums zu unterlaufen.

Öffentlichkeit wird ausgeschlossen

So soll laut einem von der ehemaligen SPD-Justizministerin vorgelegten Entwurf der Geschäftsordnung das Gremium seine monatlichen Sitzungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit abhalten. Dabei hatte der Senat genau das Gegenteil beschlossen: „Die Kommission gestaltet ihre Arbeit im Grundsatz öffentlich, damit die Prozesse transparent sind und die Ergebnisse hohe öffentliche Akzeptanz finden können“, heißt es im Einsetzungsbeschluss.

Auf Unmut stößt auch das Vorhaben Däubler-Gmelins, selbst an Abstimmungen teilzunehmen. Auch hier war die politische Verabredung eine andere: Die zwölfköpfige Kommission wurde zwischen den Parteien und der Initiative viertelparitätisch besetzt. Sollte die Vorsitzende nun mit abstimmen, drohen die Mehrheitsverhältnisse zugunsten der Ent­eig­nungs­kri­ti­ke­r*in­nen zu kippen.

Für die Grünen ganz klar ein „Foulspiel der SPD“, die Linke spricht gar von einer „Missachtung des Senatsbeschlusses“ und fordert die Einhaltung der „politisch verabredeten Rahmenbedingungen“.

Dazu gehört auch, dass die Kommission innerhalb eines Jahres „Möglichkeiten, Wege und Voraussetzungen der Umsetzung des Volksentscheids“ prüfen soll – und nicht, wie von der Kommissionschefin beabsichtigt, auch über Alternativen zur Vergesellschaftung diskutiert.

Immerhin haben sich die Ber­li­ne­r*in­nen klar für Enteignungen, und nicht für eine andere Mietenpolitik ausgesprochen. Diesen Wäh­le­r*in­nen­wil­len zu respektieren, gehört zu einer Demokratie dazu – egal, ob er einem passt oder nicht.

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Leiterin taz Berlin und Redakteurin für soziale Bewegungen, Migration und soziale Gerechtigkeit. Schreibt in ihrer Kolumne "Pöbelmanie" über Klassenkampf aus der Perspektive eines Kindes der Arbeiter*innenklasse. Hat politische Theorie studiert, ist aber mehr an der Praxis interessiert.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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