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Volksentscheid und WahlterminTotengräber der direkten Demokratie

Erik Peter
Kommentar von Erik Peter

Den Klima-Volksentscheid nicht auf den Wahltag zu legen, ist ein Skandal. Für das politische Kalkül wird die direkte Demokratie beschädigt.

Einig in der Missachtung der Bürger:innen: Andreas Geisel, Franziskla Giffey und Iris Spranger Foto: dpa

E s wäre der ultimative Offenbarungseid für die Demokratie in Berlin. Als würden die notwendig gewordene Wahlwiederholung von Abgeordnetenhaus- und Bezirkswahlen sowie die spätere teilweise Wiederholung der Bundestagswahl nicht schon genug Vertrauen in die Demokratie beschädigen, droht nun ein irreparabler Schaden.

Ganz ungeniert hat die SPD-geführte Innenverwaltung angekündigt, dass der Volksentscheid über das aller Voraussicht nach erfolgreiche Volksbegehren Berlin 2030 Klimaneutral wohl nicht am 12. Februar, dem Tag der Wahlwiederholung stattfinden soll. Stattdessen würden die Ber­li­ne­r:in­nen nur wenige Wochen später erneut zum Wahllokal gerufen werden.

Begründet wird dies mit der „enormen organisatorischen Herausforderung“, die schon die Vorbereitung eines Wahlgangs erfordere. Übersetzt heißt das: Berlins Verwaltung fühlt sich unfähig innerhalb von fast drei Monaten den Druck der Wahlzettel für das Volksbegehren zu organisieren. Allein diese Handlungsunfähigkeit wäre Grund genug, die zuständige Innensenatorin Iris Spranger ihrer Aufgaben zu entbinden – und selbstverständlich auch den für das Wahlchaos im vergangenen Jahr verantwortlichen Senator Andreas Geisel (ebenfalls SPD).

Tatsächlich aber ist die Situation schlimmer. Spranger und dem Senat, von dem bisher kein Widerspruch zu hören ist, mangelt es am Respekt vor den Bür­ge­r:in­nen und der demokratischen Institution der direkten Demokratie. Ihre Pflicht wäre es, alles zu tun und das auch zu kommunizieren, um dem Volksentscheid die bestmöglichen Bedingungen zu schaffen. Den Entscheid also dann stattfinden zu lassen, wenn das Beteiligungsquorum von mindestens 25 Prozent sicher erfüllt werden wird. Dass sie diese Anstrengung und auch jedes Bedauern vermissen lassen, zeigt, was eigentlich dahinter steckt: Kaltschnäuzige Ignoranz und politisches Kalkül.

Hoffen aufs Scheitern

Die SPD und auch die Koalitionspartner lehnen den Volksentscheid ab und hoffen darauf, dass ihnen der Druck, viel mehr in den Klimaschutz zu investieren, erspart bleibt. Also spekulieren sie nun offensichtlich darauf, dass sich an einem eigenständigen Wahltermin nicht genügend Menschen zur Abstimmung motivieren lassen. Nicht zu Unrecht: Noch ist es jedem Volksentscheid, der nicht parallel zu einer Wahl stattgefunden hat, schwergefallen, ein Viertel der Ber­li­ne­r:in­nen an die Urnen zu bewegen.

Für die Sabotage am Bürgerwillen werden dann auch keine Kosten und Mühen gescheut. 39 Millionen Euro kostet allein die Wahlwiederholung, eine ähnliche Summe wäre zusätzlich nötig bei einem eigenen Volksentscheid-Termin. Gerade erst musste die Aufwandsentschädigung für Wahl­hel­fe­r:in­nen auf 240 Euro vervierfacht werden, weil sich anders kaum 38.000 Freiwillige für einen Wahltermin finden lassen, die laut Landeswahlleitung wohl benötigt werden.

Das Schlimmste daran: Das alles ist kein Ausrutscher. Vor allem die SPD betrachtet Volksentscheide seit jeher als lästig. Das Tempelhofer Feld will sie hartnäckig bebauen lassen, Deutsche Wohnen Enteignen hat sie auflaufen lassen, so gut es ging. Die Mündigkeit der Bür­ge­r:in­nen und das Demokratievertrauen hat sie damit massiv beschädigt. Wie viele Ber­li­ne­r:in­nen winken inzwischen bei der Unterschriftensammlung für Volksbegehen ab und sagen: „Das wird doch eh nicht umgesetzt.“

Noch kann der Senat Sprangers Empfehlung ablehnen. Für die Wäh­le­r:in­nen bleiben in jedem Fall zwei gute Nachrichten: Der Volksentscheid wird so oder so kommen, und man kann ihn zum Erfolg verhelfen. Und: Niemand muss die Totengräber der direkten Demokratie wiederwählen.

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Erik Peter
Politik | Berlin
Redakteur für parlamentarische und außerparlamentarische Politik in Berlin, für Krawall und Remmidemmi. Schreibt über soziale Bewegungen, Innenpolitik, Stadtentwicklung und alles, was sonst polarisiert. War zu hören im Podcast "Lokalrunde".
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9 Kommentare

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  • Ich bin mir nicht sicher, ob Herrn Peter bewusst ist, was sein Artikel implizit aussagt:



    "Den Leuten ist das Thema Klima nicht so wichtig, um dafür zu einem eigenen Volksentscheid-Termin in (genügend?) großer Zahl hinzugehen."

    • @rero:

      Er sagt es, weil er weiß, dass es so ist. Aber vielleicht hätte er es lieber nicht gesagt.

  • Dieser Entscheidung liegen zwei bittere Wahrheiten zugrunde.

    Berlins Verwaltung ist unfähig, innerhalb von fast drei Monaten den Druck der Wahlzettel für das Volksbegehren zu organisieren.



    Sie hat gezeigt, dass sie in allen Bereichen, von allen Anforderungen, überfordert ist.



    Hier wäre die Frage, was die Berliner Verwaltung überhaupt kann?

    Die SPD betrachtet Volksentscheide nicht als lästig. Seit 1919 ist es in der SPD Tradition, jegliche mögliche Beteiligung des Volkes an der Gestaltung von Politik zu unterlaufen und zu verhindern. Direkte Demokratie kann es mit der SPD nicht geben.

    Aus der Sicht der SPD ist die Blockade des "Deutsche Wohnen & Co enteignen" Volksentscheides ein zweifacher Erfolg. Einmal das Ende dieses Entscheides und dann die Entmutigung für zukünftige Volksentscheide. Die SPD kann, wenn sie will.

    Berlin ist ein gutes Beispiel für einen Ort, der sozialdemokratische, linke, Politik für die Menschen brauchen könnte.



    Es gibt nur keine Parteien dafür.

    • @Octarine:

      Linker als in Berlin sind die Grünen nirgends. Linker als in Berlin ist auch keine andere "Landesregierung" (hier Senat genannt).

      ...und die "Unfähigkeit" der Berliner Verwaltung könnte auch organisatorische Gründe haben. Wenn die Chefs sich lieber in der Weltpolitik oder bundesdeutschen Gesetzen tummeln, für die sie nicht zuständig sind, daher von Gerichten zurückgepfiffen werden müssen, ist das wohl einer der Gründe. Die erste Aufgabe eines Senators ist es, den eigenen Geschäftsbereich so zu organisieren, dass er möglichst fehlerfrei arbeitet.

  • Ich teile der Aussage!



    Nur schade, dass die Linke offensichtlich da mitmacht.



    Das Wählen bei der Auswahl fällt immer schwerer....

    • @KielerSprotte:

      Frau hängt eben auch als Linke an ihrem Posten.

      Gilt für Herrn Lederer wohl auch.

  • Politiker sollten nur kritisiert werden, wenn sie sich kritikwürdig verhalten.



    Gerade die Politik in Berlin gibt immer wieder genug Anlaß dazu.



    Aber in diesem Fall geht die Kritik ins Leere. Erstaunlicherweise scheinen die verantwortlichen Politiker lernfähig.



    Nach dem Wahlfiasko wollen sie offensichtlich vermeiden, daß zuviele Wahlgänge die Organisation überfordern.

    PS: Bei uns bekommen die Wahlhelfer ganz 40 Euro. Vielleicht sollten wir mal eine Wahl komplett an die Wand fahren, um in Zukunft Berliner Dimensionen in der Aufwandsentschädigung zu erhalten.

  • Wenn die große Mehrheit Volksabstimmungen statt Parlamentsentscheidungen wollte, dann wäre die Beteiligung an solchen Abstimmungen genau so groß oder größer, als bei en Parlamentswahlen. Dass man krampfhaft Volksabstimmungen zusammen mit Parlamentswahlen abhalten möchte, um eine Beteiligung zu bekommen, die diese halbwegs demokratisch legitimiert, ist ein Eingeständnis, dass die direkte Demokratie gar nicht gewollt ist, dass die Wähler aus gutem Grund die parlamentarische Demokratie bevorzugen

  • Mehrere Wahlen und Volksentscheide in Berlin auf einen Tag zu legen endet, wie sich im September 2021 gezeigt hat, im Chaos, also lasst es lieber.