Völkermord-Verfahren gegen Israel: Die Botschaft aus Den Haag
Der Internationale Gerichtshof hat Israel zur Beendigung der Blockade Gazas aufgefordert. Der Genozid-Vorwurf kann nicht einfach abgetan werden.
A lle 15 Minuten stirbt im Gazastreifen ein Kind, und das schon seit Wochen. Mehr als 25.000 Menschen hat die israelische Armee in den vergangenen drei Monaten dort getötet, darunter 10.000 Kinder. Hunderte Kinder haben ihre komplette Familie verloren. Es fehlt an Essen, sauberem Wasser und Medizin. Hunderttausende sind akut vom Hungertod bedroht. In der Umgebung der letzten Krankenhäuser wird gekämpft, drinnen wird oft ohne Narkose operiert. Es ist die Hölle auf Erden.
Der Internationale Gerichtshof in Den Haag hat Israel am Freitag deshalb angewiesen, die humanitäre Blockade zu beenden, die Bevölkerung zu schonen und dafür zu sorgen, dass seine Truppen im Gazastreifen keinen Völkermord begehen. Auch die Hetze müsse gestoppt und bestraft werden. Ob Israel im Gazastreifen tatsächlich einen Völkermord begeht, wie Südafrika behauptet, darüber wird das Gericht noch entscheiden. Aber es hält den Vorwurf für plausibel. Das ist eine Ohrfeige für alle, die das leugnen oder, wie Robert Habeck, schon den bloßen Verdacht für abwegig halten.
Einen Waffenstillstand verlangten die Richterinnen und Richter nicht – auch wenn das der beste Weg wäre, die Katastrophe in Gaza zu beenden und die Geiseln der Hamas durch Verhandlungen zu befreien. Für alle, denen die Menschen in Gaza nicht egal sind, ist dieser Tag ein Erfolg. Viele Länder, insbesondere in Lateinamerika und Afrika, haben Südafrikas Klage deshalb unterstützt.
Israels Premier Netanjahu hat schon vor dem Urteil erklärt, er werde sich nicht daran halten. Doch die USA, Deutschland und andere Verbündete müssen nun den Druck auf ihn erhöhen, dass er damit nicht durchkommt. Das ist auch im eigenen Interesse. Denn Joe Biden könnte die Wahl in den USA verlieren, wenn er nichts gegen das massenhafte Sterben in Gaza unternimmt. Der Krieg spaltet seine Partei.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Auch Deutschland hat sich mit seiner Haltung zu Israel isoliert. Justizminister Buschmann wurde in Polen ausgebuht, als er an der Universität Warschau einen Vortrag hielt. Intellektuelle wie die Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux, die Philosophin Judith Butler und die Kuratorin Catherine David haben angekündigt, Deutschland deswegen boykottieren zu wollen. Das ist nur ein Vorgeschmack.
Es ist schön, dass Hunderttausende hierzulande auf die Straße gehen, um gegen eine in Teilen rechtsradikale Partei zu protestieren, in der einige offen zu ihren Vertreibungsfantasien stehen. Seltsam nur, dass die Bundesregierung derweil auf internationaler Ebene eine in Teilen rechtsradikale Regierung unterstützt, in der manche aus ihren Vertreibungsplänen keinen Hehl machen. Es ist an der Zeit, den Realitäten ins Auge zu sehen und daraus Konsequenzen zu ziehen. Das ist die Botschaft aus Den Haag.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos