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Vier Bilanzen des Popjahrs 2025Weltumarmung geht auch ohne Mondpreise

Girlpower versus Misogynie, CD-Revival statt KI-Songs auf Streamingplattformen, Haltung gegen Nazis. Vier persönliche Bilanzen des Popjahrs 2025.

Musik ist sein Trostpflaster für uns: DJ Koze Foto: Gepa Hinrichsen

Rundumschlag der Rebel Queens

Die 90er-Jahre-Nostalgie will musikalisch kein Ende finden. So ist es wenig verwunderlich, dass ein zentraler Begriff des Popjahrzehnts 2025 heiß diskutiert wurde: Girlpower. Ursprünglich geprägt von den Riot-Grrrl-Pionierinnen Bikini Kill (1991), massenkompatibel zurechtgestutzt wenig später von den Spice Girls, die vor genau 30 Jahren an ihrem Debütalbum arbeiteten.

Atlantic-Redakteurin Sophie Gilbert untersuchte im Buch „Girl vs. Girl“, wie die Popkultur der 90er und frühen 00er Jahre Frauen gegeneinander aufbrachte. Sonja Eismann holte in „Candy Girls“ zum Rundumschlag gegen die Misogynie der Musikbranche aus. Die Autorinnen Paula Fürstenberg, Alisha Gamisch und Raphaëlle Red gründeten die erste literarische Girlgroup No Scribes, blickten liebevoll auf die Bands, die sie in jungen Jahren begleiteten, mit der nötigen kritischen Härte aber auf die Kontexte, in denen sich diese bewegten. Die Schwestern Sandra Grether und Kersty Grether widmeten nicht nur, aber auch den „Rebel Queens“ der 1990er einen umfangreichen Band über weibliche Stimmen in der Rockmusik.

Ihre Power längst entdeckt haben die Musikerinnen, deren globaler Erfolg mitunter als Anzeichen eines kommenden Pop-Matriarchats gewertet wird. Taylor Swift hatte natürlich wieder ein Topjahr, Lady Gaga katapultierte sich mit „Mayhem“ ganz nach oben in die Charts, und Rosalía schuf mit der Vorabsingle „Berghain“ ihres Albums „Lux“ einen der Hypes des Jahres.

Dass einzelne Musikerinnen sich an die Spitze absetzen, beseitigt jedoch leider nicht die Sexismen in der Breite. An den Herrscherinnen des Popolymps ist auch nicht alles empowernd, die Mondpreise, die sie für Konzerttickets verlangen, sind es zum Beispiel nicht. Schnell ist man da mehrere hundert Euro los, wenn man überhaupt welche bekommt. Beate Scheder

Die Rückkehr der Silberlinge

Unsere Prognose vom Anfang Jahr hat sich bewahrheitet: Das CD-Revival ist in voller Blüte. Die Silberlinge blinken vermehrt wieder im Netz oder von Merchtischen bei Konzerten. Überall sah man 2025 CDs liegen, hängen und spielen. Ins selbe Horn stieß das tolle Archivlabel Numero Group aus Chicago. „Die Nachfrage nach CDs wird größer!“, meldete es bei Insta. Noch aber wehrt sich das Label gegen das neumodische – Zwinkersmiley – Format. Weswegen es die Retrospektive der Jazz-Post-Hardcoreband Karate vorerst nur auf Vinyl herausbringt. Interessantes erschien aber unserer Ausgangsthese entsprechend immer häufiger auf CD.

Wobei sich in einigen Sparten allein aus Kostengründen nie ein anderes Medium, abgesehen von Digitalverkauf, durchgesetzt hat – in der Improvisations- und Jazzecke zum Beispiel. Folgerichtig, dass man das ätherische Drone-Mysterium „For Violin, Snare & Kacapi“ des Trios Bennardo, Svensson, Nillesen allein auf CD erstehen kann. Randständige Bereiche von Jazz erleben gerade in Berlin und Köln eine Hausse. Sie erforschen Rhythmusstrukturen, innovative mikrotonale Stimmungen, Hybridisierungen und technisch aufwendige Fusionen und sind selten konform mit den engen Formatvorgaben von Vinyl.

Der im Vergleich zum hochexperimentellen Trio konventionellere, aber nicht weniger betörende Vocal-Jazz der in München ansässigen Mongolin Enji klingt auf CD übrigens vor allem auch wegen der glasklaren Digitaltechnik unfassbar gut. Enkhjargal Erkhembayar machte auf „Sonor“ einen Riesensatz, was meines Erachtens fast untergegangen ist. In aller Munde ist hingegen das neue Album von DJ Koze – seine Musik sendet von Hamburg in die ganze Welt. Lustigerweise bewies sein Album „Music Can Hear Us“, was vinylbewusste Elektroniker ungern hören: CDs sind durch ihre technische Variabilität viel geeigneter, um Werke abzubilden, als das umständliche Vinyl. Und wer von der CD immer noch nicht überzeugt ist, dem sei die Lektüre der brachial guten Biografie von US-Rapper MF DOOM nahegelegt. Seine CDs sind spottbillig. Lars Fleischmann

Streaming trifft künstliche Intelligenz

KI und Musik: Die Diskrepanz zwischen mancher Perspektive aus dem Kunstbetrieb und den kalten Fakten, die von Tech-Unternehmen geschaffen werden, könnte kaum größer sein. Aktuell lässt sich das in den Berliner Kunstwerken (KW) beobachten. Dort kann die Öffentlichkeit im Rahmen der Ausstellung „Starmirror“ am Training einer KI mitwirken. Unter Anleitung wird sakral im Chor gesungen – woraus ein öffentlicher Datensatz werden soll. Aber wozu das Ganze?

Verschwommen ist das neue Klar: Joanne Robertson Foto: Nis Bystead

Der Brite Mat Dryhurst und die techaffine US-Produzentin Holly Herndon erklären: „Wir versuchen, KI als monumentale kollektive Errungenschaft und Koordinationstechnologie zu positionieren.“ Grundsätzlich ja nicht falsch, dass sich der Kunstbetrieb mit KI befasst, aber bitte mit weniger Affirmation und mehr Subversion!

Die meisten Mu­si­ke­r:in­nen können sich davon nichts kaufen. Bis zu 30 Prozent aller Tracks, die neu bei Streamingdiensten hochgeladen werden, sind inzwischen KI-generiert. Angelernt werden diese Programme natürlich mit den kreativen Leistungen echter Menschen – was mittlerweile 50.000 Kunstschaffende eine Intervention unterschreiben ließ. Zwischenzeitlich haben die Major Labels Warner und Universal Lizenzabkommen mit einigen KI-Musikdiensten abgeschlossen. Doch wer schützt das geistige Eigentum von Künstler:innen, an deren Seite kein Anwalt eines Großkonzerns steht?

Musikfreund:innen, denen solche Konsequenzen nicht egal ist, können zumindest dem Ohrwurm auf ihrer Playlist hinterher recherchieren. Ob dahinter ein Mensch steckt – und sich am besten gleich ein Konzertticket kaufen. Das sorgt für große Gefühle, die künstliche Intelligenz definitiv nicht liefert.

Beste Alben, Bücher und Konzerte

Beate Scheder: Beste Alben: James K: „Friend“ (AD 93); Joanne Robertson: „Blurrr“ (AD 93); Erika de Casier: „Lifetime“ (Independent Jeep Music); Water From Your Eyes: „It’s a Beautiful Place“ (Matador); bestes Konzert: Riki im Berghain/Berlin.

Lars Fleischmann: Beste Alben: Karate: „If You Can Hold Your Breath“ (The Numero Group); Maya Bennardo, Etienne Nillesen & Kristofer Svensson: „For Violin, Snare & Kacapi“ (Kuyin); Enji: „Sonor“ (Squama Recordings); DJ Koze: „Music Can Hear Us“ (Pampa); bestes Musikbuch: S.H. Fernando Jr.: „MF Doom. Chroniken einer HipHop-Ikone“ (Halvmall-Verlag Bremen 2025)

Stephanie Grimm: Beste Alben: Stereolab: „Instant Holograms on Metal Film“ (UHF/Warp); Barker: „Stochastic Drift“ (Smalltown Supersound); Bella Wakame: „s/T“ (Umor Rex); Tortoise: „Touch“ (International Anthem); bestes Konzert: Arsenal Mikebe bei den Gaswerk Music Days/Berlin

Julian Weber: Beste Alben: DJ Koze: „Music Can Hear Us“ (Pampa); Dirty Projectors: „Song of the Earth“ (Transgressive Music); Steve Lands: „Rearranging the Planets“ (Spitvalve); Joanne Robertson: „Blurrr“ (AD 93); Bestes Konzert: Say She She in der Berliner Columbiahalle

Und endlich Spotify den Rücken kehren. Gründe dafür gibt es zuhauf: etwa, dass Firmengründer Daniel Ek jetzt in KI-Militärtechnologie investiert. Unlängst geriet die Plattform zudem in die Kritik, weil in sogenannten Viral-Charts (neben Streamingzahlen fließt ein, ob ein Stück oft geteilt wird) massenhaft rechtsextreme, von KI erstellte Songs verbreitet wurden. Stephanie Grimm

Begriffliche Unschärfe von Pop

Pop kann hierzulande alles Mögliche bedeuten. Leider. Ob meistgestreamte Songs, neue Phänomene der Alltagskultur, volkstümliche mediale Popularität, eine virale Vermarktungsstrategie oder komplexe ästhetische Zusammenhänge. Die begriffliche Unschärfe wird zunehmend zum Problem, wie man am teils laxen journalistischen Umgang mit der rechtsradikalen Partei AfD sehen kann. 2025 fand bei diesem Thema ein Dammbruch statt. Selbst die Brandmauer wurde infrage gestellt.

„Song of the Earth“ heißt ihr Meisterwerk von 2025: Dirty Projectors Foto: Marcus Maddox

Auch von Claudius Seidl, feuilletonistische Edelfeder und popaffines Gewissen, das über Jahrzehnte in der SZ und FAZ unverdächtige Stücke über Astrud Gilberto, Helmut Dietl oder die Vermüllung Berlins im burschikosen, vom New Journalism abgeleiteten Stil geschrieben hatte. Die bundesdeutsche Alles-ist-Pop-Großspurigkeit brachte es dann mit sich, dass der Münchner Journalist in einem Text vor einigen Wochen angesichts der „demoskopischen Misere“ der CDU nahelegte, mit „gemäßigten“ AfD-Parteimitgliedern zu sprechen, um deren 150-prozentige Nazis bloßzustellen.

Als Kronzeuge rief Seidl den Historiker Andreas Rödder auf, der ihm diktierte, „man könne mit Alexander Gauland zivilisiert streiten, ja sogar zu Abend essen“. Vogelschiss, anyone? Eigentlich braucht es jetzt Horrorfilm-Knowhow, um das Dinner mit Gauland als offene Feldschlacht am Buffet zu orchestrieren: Wenn der Bunsenbrenner die Götterspeise flambiert.

Zum Glück gibt es Musik, die einen feit gegen Unheil. Das Album „Music Can Hear Us“ von DJ Koze, dessen freundlich zugewandte Verknautschheit und Weltumarmung auch jenseits des Dancefloors in Krisenzeiten tröstet. Das Konzert der New Yorker Disco-Band Say She She, bei dem alle auf den Beinen waren und ihren trockenen Kommentar zu Trumps undemokratischen Umtrieben gehört haben: „Anders als Ihr-wisst-schon-wer, haben wir immer noch unsere ethischen Standards und Werte.“ Deswegen vorwärts und nicht vergessen: Nazis sind kein Pop und werden es auch niemals werden. Julian Weber

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