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Video der Techniker KrankenkasseKrebsvorsorge, aber als Porno

Eine Frau erklärt in einem Lehrvideo der TK die Vorsorge von Hodenkrebs. Das Video offenbart, wie wenig wir Männern zutrauen.

Anny Aurora erklärt anhand eines Silikon-Hoden das korrekte Abtasten Foto: Screenshot taz/TK

“Ich komme!“ Eine Frau steigt aus der Dusche, wickelt sich ein Handtuch um und öffnet die Tür. “Hi, ich bin der neue Nachbar,“ sagt der Mann vor der Tür. “Sehr cool. Möchtest du reinkommen, für ein paar Drinks?“

Die beiden setzen sich auf eine Couch und fangen sofort an, miteinander herumzuknutschen. Dazu hören wir einen billig produzierten Soundtrack. Die Frau flüstert “Steh auf“, öffnet die Hose des Mannes und dann – ein Ladesymbol, wie ärgerlich! Wer kennt’s nicht?

Aber Moment mal, was steht da auf dem Bildschirm? “Die Techniker Krankenkasse präsentiert: Der life-saving Handjob“. Während man sich noch fragt, wann der Porno denn jetzt weitergeht, hält die Sexfilmdarstellerin Anny Aurora mit Silikon-Hoden in die Kamera. An dem erklärt sie, wie man den Hoden nach Schwellungen und Verhärtungen abtastet. Aus dem Porno ist ein Lehrfilm zur Krebsvorsorge geworden. Produziert von einer großen deutschen Krankenkasse.

Die Frage ist nicht so sehr, ob das eine geschmackvolle Idee ist. Oder was sich die Verantwortlichen dabei gedacht haben. Wahrscheinlich: Humor und Sex sind gute Verkaufsargumente. Stimmt ja auch. Interessanter ist, dass das Video zeigt, was unsere Gesellschaft über Männer denkt. Was sie Männern zutraut – und was nicht. Und da wird es beunruhigend.

Es ist kein „Frauenjob“

Nein, an Sexfilmen ist grundsätzlich nichts falsch. Und auch Anny Aurora hat für ihren Auftritt in der Kampagne keine Kritik verdient – obwohl sie die bestimmt in unzähligen Varianten in den sozialen Medien empfängt. Das Problem ist, dass wahrscheinlich deutlich zu viele kichernde Thomase und Franks in dem Team der Werbeagentur saßen, die sich “Der life-saving Handjob“ ausgedacht hat. Das Problem ist, wie sich in dem Video deren Gedankenwelt offenbart.

Der Film suggeriert, dass es ein “Frauenjob“ ist, die Hodenkrebsvorsorge durchzuführen. Das macht die Frau in dem Video nämlich geduldig und mit einem Lächeln. Und nicht nur das. Bei dieser Care-Arbeit, wie sie Frauen traditionell zu erledigen haben, soll sie auch noch erotisch sein, damit die Untersuchung für den Hodenträger zusätzlich zum Lustgewinn führt. In einem Narrativ, älter als die Zeit, versorgt die Frau als Mutter-Hure-2-in-1-Kombination alle Bedürfnisse des Mannes gleichzeitig.

In derselben Gedankenwelt ist der heteronormative Mann abgestoßen vom männlichen Körper – also von sich selbst. Wie soll man ihn nur davon überzeugen – grübelt eine Werbeagentur mit Bildungsauftrag –, dass er sich genau mit dem vielleicht “abstoßensten“ Teil seiner selbst beschäftigt? Wäre das nicht – Gott bewahre – irgendwie schwul? Man tut also eine attraktive Frau und eine angedeutete Fellatio mit in die Story. Voilà: Die Gesundheit tausender männlicher TK-Kunden ist gerettet.

Das Traurigste aber ist, dass “Der life-saving Handjob“ nämlich eines zeigt: Die Kampagne hält Männer für absolute Schwachmaten. Schwachmaten, die das Video sehen und dann sabbernd zu ihrer Freundin gehen, um der ihre Testikel ins Gesicht zu halten. Für Kleinkinder, die sich erst dann für die eigene Gesundheit interessieren, wenn man die Botschaft Vorsorge mit quietschbunten, blinkenden Lichtern versieht. Sollten sich Männer nicht langsam selbst beleidigt zeigen, dass sie dermaßen unterschätzt werden?

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24 Kommentare

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  • Das die TK einen Video produzieren lässt wo es um Hodenkrebs geht kann ich ja noch verstehen. Allerdings würde man bei der Diagnose und einem Heilungserfolg davon ausgehen den Hodensack operativ zu entfernen.

  • "Der Film suggeriert, dass es ein “Frauenjob“ ist, die Hodenkrebsvorsorge durchzuführen. Das macht die Frau in dem Video nämlich geduldig und mit einem Lächeln. Und nicht nur das. Bei dieser Care-Arbeit, wie sie Frauen traditionell zu erledigen haben, soll sie auch noch erotisch sein, damit die Untersuchung für den Hodenträger zusätzlich zum Lustgewinn führt. In einem Narrativ, älter als die Zeit, versorgt die Frau als Mutter-Hure-2-in-1-Kombination alle Bedürfnisse des Mannes gleichzeitig."

    Tja, man kann auch alles überinterpretieren. Die TK wollte Aufmerksamkeit. Hat sie bekommen. Ziel erreicht. Klar man hätte auch ein pdf auf die Homepage stellen können. Das hätte nur keiner gelesen.

    Die Idee gab es übrigens mal als ganzen Spielfilm. The girl next door. Da ging es auch um Sexualaufklärung und dass die Informationen stinklangweilig vermittelt werden.

  • Ach herrja, muss man denn Alles immer so stocksteif und bierernst betrachten? Es geht schlicht drum, auf das Thema aufmerksam zu machen.

    Der Spot parodiert halt einfach augenzwinkernd ein paar Klischees. Na und? Kaum jemand wird versuchen da irgendwelche problematischen Rollenbilder hineinzuinterpretieren.

    Es wird niemand beleidigt oder verächtlich gemacht, Aufmerksamkeit ist erreicht und das mit ein wenig Humor. Könnte man auch einfach mal als gelungen betrachten, anstatt das vermeintliche Körnchen Unkorrektheit unter die Lupe zu nehmen.

  • Also was Vorsorgeuntersuchungen anbelangt, habe ich mir bisher eher die Eier schaukeln lassen.

    Nach dem Video sehe ich das jetzt anders.

    Für die Karriere von Anny Aurora dürfte die Sache auch förderlich sein.

    Also haben wir hier eine Win-win-Situation.

  • "Das Traurigste aber ist, dass “Der life-saving Handjob“ nämlich eines zeigt: Die Kampagne hält Männer für absolute Schwachmaten."

    Wieso? Stimmt doch!

  • Danke taz. Werde schnell mal das Video runterladen und mich mal selbst verarzten 🤪

  • Und ihr glaubt jetzt, dass ich als Mann nicht in der Lage bin mich selbst ab zu tasten? Dass ich durch dieses Video vielleicht dazu angeregt werde dies zu tun? Wie humorlos kann man denn eigentlich sein? Muss heute wirklich alles zerlegt werden? Das Ziel ist doch erreicht! Alle reden darüber, und das war der Plan denke ich.

  • Nicht mein Humor, aber was soll's. Abgesehen davon: Seid wann ist Männer-Bashing anrüchig?

  • Meine Güte, was für eine Aufregung allerorten…Ziel wurde jedenfalls erreicht, maximale Aufmerksamkeit fürs Thema. Chapeau, TK!

  • Sex sells. Da es hier nicht darum geht politisch am korrektesten zu sein, sondern darum, dass Männer eine Gesundheitsvorsorge annehmen, ist die Kampagne mehr als ok.

    Der Startknopf war schon grün, als die Schwarzen noch an der Macht waren.

  • Das Video spielt mit einer Skandalisierungsstrategie (Sexualisierung, Pornographisierung) um größtmögliche mediale Aufmerksamkeit zu generieren. Es bedient sich dabei einer ähnlichen Strategie, wie seinerzeit die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung im Rahmen ihrer Aids-Kampagne mit dem legendären Video mit Hella von Sinnen als Kassiererin ("Tina, wat kost'n die Kondome?). Der o.a. Artikel von Emeli Glaser zeigt doch, dass das diese Strategie durchaus aufgegangen ist.

  • Mir wurde das Abtasten bei der Musterung auch von einer Frau, Ärztin, beigebracht. Trotz dem ich ein Mann bin, war ich klug genug zu wissen, dass das in Zukunft meine Aufgabe sein wird.

    • @Nussknacker:

      Der berühmte EKG beim KWEA.



      Hoffe Ihr nick hat nichts damit zu tun 😬

      • 9G
        95820 (Profil gelöscht)
        @sachmah:

        Der EKG beim KWEA ist ein „Ammenmärchen“. Den gibt es bei der Musterung nicht. Es wird/wurde mit „Husten Sie mal“ die Festigkeit der Leisten geprüft. (Wird nach Aussetzung der Wehrpflicht noch gemustert?)

        • @95820 (Profil gelöscht):

          Stimmt definitiv nicht! Ich habe den EKG bekommen. Ich glaube nicht dass es dem Lustgewinn diente (falls doch, Ziel verfehlt, zumindest meinerseits) sondern vorgeschrieben war.

        • @95820 (Profil gelöscht):

          Ist es nicht! Mir wurde dringend empfohlen, dass ich einen Urologen aufsuchen möge, der mal nach den Varikozelen schauen solle.



          Ich empfand das als sehr nützlich und auch fürsorglich.

  • Gerade mal den Clip angeschaut, danke für den Tipp liebe Taz :)!



    Der Clip ist etwas inkonsequent, da die Handlung abrupt abbricht/wechselt und kein Übergang zwischen der gespielten Szene und der Erläuterung stattfindet. Aber das Männer in den Film für unfähig gehalten werden, kann ich nicht erkennen. Ich denke, Männer sind durchaus in der Lage zu erkennen, dass der Clip dazu ermuntern möchte, sich selbst bewusst abzutasten. Das ist die Message und die auch nicht wirklich subtil vermittelt. Oder hält der Autor Männer für zu doof, den Clip zu verstehen und die Message zu dekontextualisieren und auf sich selbst zu beziehen?



    Bei einer solchen Argumentation zeigt sich eine interessante Betrachtungsweise von Literatur. Ein wichtiges und etabliertes Stilmittel von Literatur ist die Benutzung von Bildern, Metaphern und Andeutungen. Wenn man nun meint, alles wörtlich nehmen zu müssen, dann können wir uns Literatur auch sparen und nur noch spröde Bedienungsanleitungen schreiben. Damit ginge aber auch das Salz in unserer Kommunikation verloren. Und ob dann die Menschen besser erreicht würden als mit einem Clip, der evtl missverstanden werden kann, ist auch fraglich.

  • leider ist es nun mal aber auch so, dass viele männer nicht gerne über probleme sprechen, auch nicht beim arzt geschweige denn zum arzt gehen, wenn etwas nicht in ordnung erscheint. da spielt das klischee, dass männer nicht jammern und schon gar keine probleme öffenbaren sollen mit rein. sicher ist das nicht gut und gehört dringend geändert, muß aber auch als realität wahrgenommen werden. ob man dazu solch eine kampagne braucht, weiß ich nicht, vermutlich eher nicht, aber zumindest würde ich noch eine andere erklärungsmöglichkeit für die entstehung dieses filmchens in betracht ziehen.

    • @nutzer:

      Dann wäre es doch gerade an der Zeit, Männer, und nicht ihre Frauen, im Spot über ihre Probleme reden zu lassen. Es geht ja schließlich um Hodenkrebs, und nicht um den besten BJ ever.

  • Dann warten wir doch mal ganz entspannt den entsprechenden Part der Brustkrebsvorsorge ab. Die TK wird insoweit sicher bestimmt bald liefern.

    • @DiMa:

      Ich denke, bei so einem Film wäre dann das abtasten wieder als rein den männlichen Trieb dienend in der Kritik.

  • Der Text erinnert mich an die Diskussion, ob die Covidimpfungen auf Türkisch beworben werden sollen, Tenor: wir sind in Deutschland, da lernt man gefälligst Deutsch (und wer es nicht kann, der soll hat krepieren).

    Wir sind im 22. Jahrhundert, da lernt der Mann gefälligst ein positives Körpergefühl und betastet seine Hoden und wer es nicht kann, der krepiere halt.

    Gesundheitsaufklärung holt Leute ab, wo sie sind. Nicht, wo sie sie sollen. Wissen wir seit HIV. Eigentlich.

  • Ja wie? Is doch 1000 Jahre plus mainstream:

    Frauen sind die besseren Männer!



    So doch seit alters her - ihr Penner:



    Hett de Jung - Phimose? - Sie 👁 ihm.



    Das! Das klärt Mutters Griff - in die Hüse!



    Hüse? - ach so - Hose! Echt nicht schwer.



    &



    F. K. Waechter setzt flugs im vollen Lauf!



    Knochentrocken - noch ein drauf! - 🍗-



    www.re-actio.com/a...schmerzen-FKWa.jpg



    “ Denk immer daran - (jetzt kommts alter Knabe!)



    Daß ich dich unter Schmerzen geboren habe!“ - 😿 -



    & tonn End=>



    (ps & hier hett dat Alice - vllt aussensweis mal rech!



    Por No! - Dess männerfeindlich Teil - KANN WECH •



    So soll‘s mal haben - Sein Bewend.

  • Wir hängen viel zu entspannt in der selbstgestrickten Mütze rum um beleidigt zu sein...

    www.youtube.com/watch?v=4S-BdZO1-s0

    Aufklärung ist erstmal gut, auch peinliche. Ich hab das erste Mal mit ca 28 davon gehört, dass ich mich um die Gesundheit meines Hoden kümmern soll. Da gibts schon Nachholbedarf. Und sie spricht explizit von Selbstuntersuchung, auch danach direkt an den Mann gewandt ("Schweregefühl oder Ziehen im Hoden"...), ich verstehe gar nicht, wo Sie da eine Aufforderung an Frauen erkennen? Alles nach "Der Film suggeriert, dass es ein “Frauenjob“ ist, die Hodenkrebsvorsorge durchzuführen" sind Strohmannargumente, denn das tut er nicht.