Verurteilung von Brasiliens Expräsidenten: Wurde Lula Opfer eines Komplotts?
Im Prozess gegen Brasiliens Expräsident Lula da Silva sollen sich Richter und Staatsanwalt abgesprochen haben. Das enthüllt The Intercept.
Sie reagierten damit auf Veröffentlichungen, die mutmaßliche Absprachen zwischen dem damals zuständigen Bundesrichter und der Staatsanwaltschaft belegen sollen. Am Sonntag hatte die Enthüllungsplattform The Intercept Mitschnitte aus Chats, E-Mails sowie Videos und Fotos ins Netz gestellt, die belegen sollen, dass es zwischen dem Bundesrichter Sérgio Moro und dem ermittelnden Staatsanwalt Deltan Dallagnol Absprachen gegeben habe. Moro und Dallagnol hätten zielstrebig dabei auf eine Verurteilung Lulas hingearbeitet, um dessen Kandidatur bei der Präsidentschaftswahl 2018 zu verhindern.
Im Klartext ging es demnach nie um ernsthafte Korruptionsermittlungen, sondern einzig und allein darum, den noch immer populären Expräsidenten politisch kaltzustellen.
Laut The Intercept habe Moro nicht nur Ermittlungsergebnisse vorgegeben, sondern auch Entscheidungen darüber getroffen, in welche Richtungen ermittelt werden solle. Die Plattform beruft sich dabei auf gleich mit veröffentlichte Dokumente, die Konversationen zwischen Moro und Dallagnol sowie Gespräche unter den Dallagnol zuarbeitenden StaatsanwältInnen beinhalten.
Ein „normaler Vorgang“?
So ging es auch darum, dass die Ermittlungen gegen Lula nicht an die Justiz in São Paulo übergeben werden, sondern in Curitiba bleiben und somit in der Zuständigkeit von Bundesrichter Sérgio Moro. Moro selbst, seit Oktober 2018 Brasiliens Justizminister, gibt sich bisher noch gelassen. „Der Richter spricht mit den Staatsanwälten, der Richter spricht mit den Anwälten, der Richter spricht mit der Polizei, das ist normal“, sagte er der brasilianischen Tageszeitung Folha de São Paulo.
Prompt nannte auch Deltan Dallagnol Gespräche zwischen Richtern und Anwälten einen „normalen Vorgang“ und sprach von einer „Verschwörungstheorie ohne jede Grundlage“.
Ganz anders dagegen Lulas Anwalt Cristiano Zanin. Für Zanin enthülle der von The Intercept veröffentlichte Bericht die Einzelheiten genau jener politischen Verschwörung, die man immer angeprangert habe. Der Anwalt verwies auf Artikel 254 des Strafgesetzbuchs, wonach der Richter im vorliegenden Fall „eine der Parteien unterrichtet“ hat, die in den Prozess involviert sind.
Moro hatte Lula 2017 zu einer mehr als neunjährigen Haftstrafe verurteilt. Vorausgegangenen war ein Gerichtsverfahren, in dem die Staatsanwaltschaft ihre Anklage lediglich auf Indizien stützten konnte. Diese sollten beweisen, dass Lula dem brasilianischen Baukonzern OSA überteuerte Aufträge des halbstaatlichen Ölkonzerns Petrobras zugeschanzt hatte. Als Gegenleistung dafür soll Lula eine Luxuswohnung erhalten haben.
Erst der Anfang der Enthüllungen
Lula hatte die Vorwürfe stets bestritten und sprach schon damals von einer politischen Verfolgung, mit der seine Kandidatur bei der Präsidentschaftswahl verhindert werden sollte. Lula hatte in allen Umfragen als aussichtsreichster Kandidat vorn gelegen. Nach der Bestätigung des Urteils in mehreren Instanzen musste er auf eine Kandidatur verzichten.
Die Wahl gewann schließlich der rechtsextreme Jair Bolsonaro. Der hatte während des Wahlkampfes die Hoffnung geäußert, Lula werde „im Gefängnis verrotten“. Nach Bolsonaros Wahlsieg hatte Moro überraschend das Amt des Justizministers übernommen. Lulas Anhänger hatten den Bundesrichter stets wegen einseitig gegen die Arbeiterpartei PT gerichteter Ermittlungen kritisiert. Anderen galt er hingegen als konsequenter Verfolger von Korruptionsdelikten.
Die jetzigen Veröffentlichungen zu den Ermittlungen gegen Lula seien erst der „Anfang dessen, was wir anhand des enormen Materials über ihn [Moro] und die Ermittler, mit denen er unethisch zusammenarbeitete, aufdecken werden“, twitterte Intercept-Gründer Glenn Greenwald am Sonntag. Die Unterlagen stammen aus den Jahren 2015 bis 2017. Darüber, wie sie in den Besitz von The Intercept gelangten, machte die Enthüllungsplattform keine Angaben.
Greenwald lebt in Brasilien, dem Heimatland seines Lebensgefährten. Er war 2013 bekannt geworden, als er, damals noch für den britischen Guardian, gemeinsam mit anderen Journalisten Berichte des ehemaligen Mitarbeiters des US-Geheimdienstes NSA, Edward Snowden, veröffentlichte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr