Verstehen Sie die Linksfraktion?: Pazifistin gegen Pazifist
Die Fraktion lieferte sich letzte Woche während ihrer Klausur ein Machtspiel. Am Montag folgt die Verlängerung – in einem bizarren Duell.
1. Was steht an?
In ihrer Fraktionssitzung wählen die Abgeordneten der Linkspartei den neuen Sprecher des Arbeitskreises Außenpolitik. Einen ersten Versuch gab es schon während der Fraktionsklausur in der vergangenen Woche. Da endete die Wahl aber ohne eindeutiges Ergebnis.
2. Warum ist diese Wahl wichtig?
Die Außenpolitik ist ein kontroverses Thema innerhalb der Linkspartei, da im Hinterkopf immer auch die Überlegung eine Rolle spielt, wie regierungsfähig die Linke ist. Beispiel Auslandseinsätze: Ist man prinzipiell gegen jeden Bundeswehreinsatz oder stimmt man etwa der Entsendung von Kampfschiffen zur Vernichtung von Chemiewaffen unter UN-Mandat zu? Da Frieden ein Kernthema der Linken ist, das wie ein Schatz gehütet wird, versammeln sich im Arbeitskreis Außenpolitik traditionell die Fundamentalisten, die Gralshüter der Partei.
3. Wer steht zur Wahl?
Für den Posten hat die Fraktionsspitze Heike Hänsel nominiert, außerdem hat sich Tobias Pflüger beworben. Pflüger gilt als Favorit der beiden Parteivorsitzenden. Bei der Abstimmung in der vergangenen Woche bekam keiner von beiden die erforderliche Mehrheit, für Hänsel stimmten 33, für Pflüger 30 der Abgeordneten. Der oder die Arbeitskreisvorsitzende wird zugleich Mitglied im Fraktionsvorstand.
4. Ist das der alte Streit zwischen regierungsbejahenden Reformern einerseits und den skeptischen Linken andererseits?
Nein. Dieser Machtkampf geht mitten durch die Flügel. Heike Hänsel und Tobias Pflüger gehören beide zum linken Parteiflügel. Beide kommen aus der Friedensbewegung, beide lehnen Auslandseinsätze generell ab und plädieren für ein eher nachsichtiges Verhältnis gegenüber Russland. Sie sind außerdem Mitglieder im selben Landesverband Baden-Württemberg, gebürtige Stuttgarter und auch noch fast gleich alt. Parteivorsitzende Katja Kipping gehört wiederum zum Reformerflügel der Partei, genau wie Fraktionschef Dietmar Bartsch. Der aber bildet ein Team mit der Parteilinken Sahra Wagenknecht. Kippings Kampfgefährte ist der einst vom linken Flügel nominierte Parteivorsitzende Bernd Riexinger.
5. Wenn nicht über Inhalte, worüber zankt man sich dann?
Die Reformer, repräsentiert durch Bartsch, und die Ultra-Linken um Wagenknecht haben sich in der Fraktion zusammengetan. „Leben und leben lassen“ lautet das Motto, und getreu diesem werden Posten und Rederechte unter den Fraktionsmitgliedern zugeteilt. Unter dieser Hufeisenkonstellation leidet die Mitte der Fraktion. Von Top-down-Führung ist die Rede und davon, dass jede Kritik als Majestätsbeleidigung aufgefasst werde.
Unter dem Hufeisen leidet aber auch die Parteivorsitzende. Katja Kipping, die in der vergangenen Legislatur noch ohne Riexinger im Plenum saß, musste sich bei Bundestagsreden immer brav hinten anstellen. Nun wagt sie den Aufstand und will sich und der Partei innerhalb der Fraktion mehr Geltung verschaffen. Dabei schwimmt sie auf der Unmutswelle derjenigen mit, die weder Wagenknechte noch Bartschianer sein wollen, sondern sich selbst als Mittelerde bezeichnen. Die 30 Prozent für Pflüger waren also kein Ausdruck der außenpolitischen Radikalität der Fraktion, sondern Beleg für ihre Unzufriedenheit mit der Hufeisenkonstellation.
6. Und was macht eigentlich Stefan Liebich?
Der hält sich zurück und wartet. Der Reformer, der sich unter anderem zum Bundeswehreinsatz unter UN-Mandat im Mittelmeer bekannte, vertritt im Arbeitskreis Außenpolitik eine klare Minderheitenposition. Gleichzeitig kann er als Obmann der Linken im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags den Kurs seiner Fraktion entscheidend mitbestimmen. Und er steht loyal zu Dietmar Bartsch. Da geht noch was.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“