Verschärfte Asylpolitik: Eine Show an der Grenze
Die Union will ihre Wahlkampfversprechen wahr machen und Asylsuchende in großem Stil zurückweisen. Rechtsbrüche sind eingepreist.
Aber Merz hat geliefert. Er versprach im Wahlkampf, es werde an seinem ersten Tag im Amt Zurückweisungen von Asylsuchenden geben. Und so hat es vor einer Woche nun auch der neue Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) angeordnet. Nur besonders vulnerable Asylsuchende – insbesondere Frauen und Kinder – dürfen noch einreisen.
Diese Zurückweisungen sind vor allem Show, nicht nur wegen der niedrigen Zahlen. Denn wer als Flüchtling ins Nachbarland, etwa nach Österreich, zurückgewiesen wird, probiert es bald erneut, insbesondere an den kaum bewachten grünen Grenzen. Auf die Frage, wie viele Zurückgewiesene später doch noch nach Deutschland einreisen und Asyl beantragen, geben Innenministerium und Bundespolizei seit Tagen keine Auskunft. Das spricht für sich.
Experten einig, dass gegen EU-Recht verstoßen wird
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Aus dem gleichen Grund ist es auch schwierig, zurückgewiesene Flüchtlinge zu finden, die gegen die Verweigerung der Einreise klagen wollen. Warum soll jemand in Polen oder Österreich auf eine deutsche Gerichtsentscheidung warten, wenn er auch über die grüne Grenze einreisen kann? Kläger kann wohl nur jemand sein, dem dieser Weg zu beschwerlich ist, etwa eine Person mit Fußverletzung.
Inzwischen hat Pro Asyl tatsächlich einen Kläger gefunden: „Es gibt bereits ein Eilverfahren, das wir unterstützen“, sagte ein Sprecher der Organisation der taz. Näheres zur Person und zur Klage werde man aber erst mitteilen, wenn der Kläger sicher in Deutschland sei. Das kann noch einige Wochen dauern. Die Eilverfahren an deutschen Verwaltungsgerichten sind schwerfällig.
Grüne, Linke und viele Asylexperten sind sich einig, dass die Zurückweisungen gegen EU-Recht verstoßen. Dobrindt und Merz halten die Maßnahmen jedoch für rechtlich unbedenklich. Die neue SPD-Justizministerin Stefanie Hubig wartet erst einmal ab. Da hier kein Gesetz geändert werden muss, hat sie keinen Hebel für ein Veto.
Juristisch beruft sich Innenminister Dobrindt auf Paragraf 18 des deutschen Asylgesetzes, der Zurückweisungen bei der Einreise aus einem sicheren Drittstaat ausdrücklich vorsieht.
Bizarrer Streit um Rechtsauslegung
Diese deutsche Norm wird allerdings schon lange durch EU-Recht überlagert, das Vorrang hat. In der Dublin-III-Verordnung ist geregelt, welcher Staat für Asylverfahren in der EU zuständig ist. Meist ist es der Staat in der Europäischen Union, den der Flüchtling zuerst betreten hat. Um den zuständigen EU-Staat herauszufinden, dürfen Flüchtlinge erst einmal nach Deutschland einreisen. Oft scheitert später jedoch die Überstellung an den zuständigen Staat. Dann findet das Asylverfahren in Deutschland statt.
Nach Auffassung Dobrindts kann er jedoch auf diese EU-rechtlich vorgesehene Zuständigkeitsfeststellung verzichten, wenn er sich auf Artikel 72 des EU-Rechts beruft. Nach dieser Klausel kann von EU-Recht abgewichen werden, sofern es die öffentliche Sicherheit erfordert.
Genau über diese Anwendung von Artikel 72 gab es im Vorfeld einen bizarren Streit zwischen konservativen Medien wie der Welt und der Bundesregierung. So schrieb der Vizechefredakteur der Welt, Robin Alexander, einen Text mit dem Titel „Merz lässt ‚nationale Notlage‘ bei Migration ausrufen“. Kanzler Merz ließ das sofort dementieren: „Der Bundeskanzler wird keinen nationalen Notstand ausrufen.“
Recht hatten allerdings beide. Artikel 72 wird gemeinhin „Notlagenklausel“ genannt, auch wenn das Wort Notlage in der Norm gar nicht vorkommt. Allerdings muss eine solche Notlage nicht „ausgerufen“, sondern nur einfach vor Gericht nachgewiesen werden. Weil diesen feinen semantischen Unterschied aber kaum jemand verstand, wirkte die Regierung plötzlich ziemlich konfus.
Wartet Dobrindt auf Intervention der Gerichte?
Viel wichtiger ist aber die Frage, ob die Berufung auf Artikel 72 denn tatsächlich trägt. Das letzte Wort hat hier der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. Bisher hat er alle Versuche, sich auf die „Notlagenklausel“ zu berufen, abgelehnt. Insbesondere Ungarn hatte dies im Asylrecht bereits mehrfach versucht.
Angesichts der aktuell nur noch geringen Asylzugangszahlen ist ein deutscher Erfolg beim EuGH so gut wie ausgeschlossen. Vielleicht wartet Dobrindt auch schon klammheimlich darauf, dass die Gerichte endlich intervenieren. Denn für die Bundespolizist:innen ist Dobrindts Grenzshow ein aufwendiges Manöver. Zusätzlich zu den 11.000 bereits an den deutschen Grenzen eingesetzten Beamt:innen kamen noch einmal 3.000 Polizist:innen hinzu. Gearbeitet wird nun in Zwölfstundenschichten.
Auch die außenpolitische Belastung ist größer als gedacht. Die Nachbarstaaten folgten nämlich nicht dem deutschen Beispiel, wie manche in der Union erwarteten, sondern protestierten dagegen, insbesondere Polen und Österreich. Das beunruhigt auch die SPD, die ja im Koalitionsvertrag darauf bestanden hatte, dass die Zurückweisungen nur „in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn“ erfolgen. Zwar ist keine Zustimmung der Nachbarn erforderlich, aber dass man Proteste einfach ignoriert, dürfte auch nicht gemeint gewesen sein.
Was Merz im Eifer des Wahlkampfs wohl übersehen hat: Am ersten Tag seiner Amtszeit kann er nicht nur Spektakel für die Wählerschaft veranstalten, sondern repräsentiert Deutschland auf europäischer Bühne. Es war wenig hilfreich, dass Berlin als erste Amtshandlung erklärt, man wolle sich nicht mehr an EU-Recht halten.
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