piwik no script img

Verschärfte AsylpolitikEine Show an der Grenze

Die Union will ihre Wahlkampfversprechen wahr machen und Asylsuchende in großem Stil zurückweisen. Rechtsbrüche sind eingepreist.

Kontrollen an der deutsch-polnischen Grenze im Kreis Vorpommern-Greifswald Foto: Stefan Sauer/dpa

Berlin taz | So sieht also die sogenannte Asylwende aus. In der Woche nach dem Amtsantritt von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) baten 51 Flüchtlinge an der deutschen Grenze um Asyl, 31 von ihnen wurden zurückgewiesen. In der Woche davor waren 44 Asylsuchende an die Grenze gekommen, damals durften alle einreisen. Die Aufnahme von Asylsuchenden wurde also deutlich gesenkt – aber auf extrem niedrigem Niveau. Zur Erinnerung: Im Jahr 2015, als die Diskussion über eine Zurückweisung an der Grenze begann, kamen 890.000 Asylsuchende nach Deutschland.

Aber Merz hat geliefert. Er versprach im Wahlkampf, es werde an seinem ersten Tag im Amt Zurückweisungen von Asylsuchenden geben. Und so hat es vor einer Woche nun auch der neue Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) angeordnet. Nur besonders vulnerable Asylsuchende – insbesondere Frauen und Kinder – dürfen noch einreisen.

Diese Zurückweisungen sind vor allem Show, nicht nur wegen der niedrigen Zahlen. Denn wer als Flüchtling ins Nachbarland, etwa nach Österreich, zurückgewiesen wird, probiert es bald erneut, insbesondere an den kaum bewachten grünen Grenzen. Auf die Frage, wie viele Zurückgewiesene später doch noch nach Deutschland einreisen und Asyl beantragen, geben Innenministerium und Bundespolizei seit Tagen keine Auskunft. Das spricht für sich.

Experten einig, dass gegen EU-Recht verstoßen wird

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Aus dem gleichen Grund ist es auch schwierig, zurückgewiesene Flüchtlinge zu finden, die gegen die Verweigerung der Einreise klagen wollen. Warum soll jemand in Polen oder Österreich auf eine deutsche Gerichtsentscheidung warten, wenn er auch über die grüne Grenze einreisen kann? Kläger kann wohl nur jemand sein, dem dieser Weg zu beschwerlich ist, etwa eine Person mit Fußverletzung.

Inzwischen hat Pro Asyl tatsächlich einen Kläger gefunden: „Es gibt bereits ein Eilverfahren, das wir unterstützen“, sagte ein Sprecher der Organisation der taz. Näheres zur Person und zur Klage werde man aber erst mitteilen, wenn der Kläger sicher in Deutschland sei. Das kann noch einige Wochen dauern. Die Eilverfahren an deutschen Verwaltungsgerichten sind schwerfällig.

Grüne, Linke und viele Asylexperten sind sich einig, dass die Zurückweisungen gegen EU-Recht verstoßen. ­Dobrindt und Merz halten die Maßnahmen jedoch für rechtlich unbedenklich. Die neue SPD-Justizministerin Stefanie Hubig wartet erst einmal ab. Da hier kein Gesetz geändert werden muss, hat sie keinen Hebel für ein Veto.

Juristisch beruft sich Innenminister Dobrindt auf Paragraf 18 des deutschen Asylgesetzes, der Zurückweisungen bei der Einreise aus einem sicheren Drittstaat ausdrücklich vorsieht.

Bizarrer Streit um Rechtsauslegung

Diese deutsche Norm wird allerdings schon lange durch EU-Recht überlagert, das Vorrang hat. In der Dublin-III-Verordnung ist geregelt, welcher Staat für Asylverfahren in der EU zuständig ist. Meist ist es der Staat in der Europäischen Union, den der Flüchtling zuerst betreten hat. Um den zuständigen EU-Staat herauszufinden, dürfen Flüchtlinge erst einmal nach Deutschland einreisen. Oft scheitert später jedoch die Überstellung an den zuständigen Staat. Dann findet das Asylverfahren in Deutschland statt.

Nach Auffassung Dobrindts kann er jedoch auf diese EU-rechtlich vorgesehene Zuständigkeitsfeststellung verzichten, wenn er sich auf Artikel 72 des EU-Rechts beruft. Nach dieser Klausel kann von EU-Recht abgewichen werden, sofern es die öffentliche Sicherheit erfordert.

Genau über diese Anwendung von Artikel 72 gab es im Vorfeld einen bizarren Streit zwischen konservativen Medien wie der Welt und der Bundesregierung. So schrieb der Vizechefredakteur der Welt, Robin Alexander, einen Text mit dem Titel „Merz lässt ‚nationale Notlage‘ bei Migration ausrufen“. Kanzler Merz ließ das sofort dementieren: „Der Bundeskanzler wird keinen nationalen Notstand ausrufen.“

Recht hatten allerdings beide. Artikel 72 wird gemeinhin „Notlagenklausel“ genannt, auch wenn das Wort Notlage in der Norm gar nicht vorkommt. Allerdings muss eine solche Notlage nicht „ausgerufen“, sondern nur einfach vor Gericht nachgewiesen werden. Weil diesen feinen semantischen Unterschied aber kaum jemand verstand, wirkte die Regierung plötzlich ziemlich konfus.

Wartet Dobrindt auf Intervention der Gerichte?

Viel wichtiger ist aber die Frage, ob die Berufung auf Artikel 72 denn tatsächlich trägt. Das letzte Wort hat hier der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. Bisher hat er alle Versuche, sich auf die „Notlagenklausel“ zu berufen, abgelehnt. Insbesondere Ungarn hatte dies im Asylrecht bereits mehrfach versucht.

Angesichts der aktuell nur noch geringen Asylzugangszahlen ist ein deutscher Erfolg beim EuGH so gut wie ausgeschlossen. Vielleicht wartet ­Dobrindt auch schon klammheimlich darauf, dass die Gerichte endlich intervenieren. Denn für die Bun­des­po­li­zis­t:in­nen ist Dobrindts Grenzshow ein aufwendiges Manöver. Zusätzlich zu den 11.000 bereits an den deutschen Grenzen eingesetzten Be­am­t:in­nen kamen noch einmal 3.000 Po­li­zis­t:in­nen hinzu. Gearbeitet wird nun in Zwölfstundenschichten.

Auch die außenpolitische Belastung ist größer als gedacht. Die Nachbarstaaten folgten nämlich nicht dem deutschen Beispiel, wie manche in der Union erwarteten, sondern protes­tierten dagegen, insbesondere Polen und Österreich. Das beunruhigt auch die SPD, die ja im Koalitionsvertrag ­da­rauf bestanden hatte, dass die Zurückweisungen nur „in Abstimmung mit unseren ­europäischen Nachbarn“ erfolgen. Zwar ist keine Zustimmung der Nachbarn erforderlich, aber dass man Proteste einfach ignoriert, dürfte auch nicht gemeint gewesen sein.

Was Merz im Eifer des Wahlkampfs wohl übersehen hat: Am ersten Tag seiner Amtszeit kann er nicht nur Spektakel für die Wählerschaft veranstalten, sondern repräsentiert Deutschland auf europäischer Bühne. Es war wenig hilfreich, dass Berlin als erste Amtshandlung erklärt, man wolle sich nicht mehr an EU-Recht halten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Wenn es tatsächlich so ist, dass man nach einer Zurückweisung es einfach an gleicher oder anderer Stelle erneut versuchen kann, dann ist das Ganze nichts anderes als ein großes und teures Schauspiel. Und dass es so ist, liegt eigentlich in der Definition der Sache bzw. einer Zuückweisung sprich Nicht-Aufnahme in das deutsche Rechtssystem selbst. Wen ich nicht Aufnehme, den kann ich bei einem wiederholten Versuch auch nicht bestrafen. Sonst müsste ich ja den Anspruch auf Asyl ja prüfen. Eine Dublin Disziplin lässt sich so aber auch nicht erzwingen.

  • Ganz Europa bricht EU-Recht, indem Migranten nach Mitteleuropa (v.a. Deutschland) durchgewunken werden. Warum sollen wir nach einem Jahrzehnt Chaos immernoch die einzigen Deppen sein, die sich an‘s „Recht“ halten??

  • Illegale Push Backs gehören mittlerweile zum Standardrepertoir vieler EU Länder. Die Zeiten liegen noch nicht allzulange zurück, als Polen die Flüchtlinge einfach durchgewunken hat. Die Beschwerden Polens können daher mit gutem Recht ignoriert werden.

    Diese Diskussion zielt aber ohnehin in die falsche Richtung. Da das Dublin Abkommen bereits seit längerer Zeit brüchig ist und dieses hauptsächlich zu Lasten Deutschlands geschah, geht es jetzt auch darum auf ein funktionales Asylsystem hinzuarbeiten, um das Individualrecht auf Asyl zu erhalten. Kontingente nach australischen Vorbild wurden schon von einer Reihe von EU Staaten ins Gespräch gebracht und wären wohl die Konsequenz bei einem Scheitern der deutschen Initiative. Denn um nichts anderes handelt es sich dabei, als Druck auf die EU-Partner auszuüben.

    Um dieses zu erreichen hat die Union bewußt den Rechtsrahmen der EU verlassen und mit der Aktivierung von § 18 AsylG nationales Recht angewendet.

    Der Ex-Verfassungsrichter Udo di Fabio lag bereits 2016 nicht grundsätzlich falsch mit seiner Behauptung, dass ein dysfunktionaler Solidaritätsmechanismus im Schengen/Dublin-System zu Selbsthilfe und Gegenmaßnahmen berechtigt.

  • So wie es sich nicht erheben lässt, wie viele Migranten es später über die grüne Grenze probieren oder gar schaffen, so lässt es sich auch nicht erheben, wie viele Migranten wegen der Verschärfungen sich ein anderes Zielland erwählen oder gar ganz von ihrem Migrationsvorhaben ablassen.



    Einreisen verhindern kann man eh kaum mehr optimieren - Europa ist von Finnland bis Spanien an neuralgischen Punkten seit Jahren bereits hermetisch mit Zäunen gesichert. Insofern ist hinter Merz' Ankündigung tatsächlich wenig messbarer Erfolg zu erwarten.



    Die Umsetzung der Zurückweisungen verfolgt eher einen anderen Kurs, nämlich den der seit Jahren verfolgt wird: Abschreckung.



    Durch immer neue besonders hohe Hürden soll die Flucht gen Europa dermaßen unattraktiv gemacht und erschwert werden, dass potentielle Migranten ihr Vorhaben gänzlich aufgeben.



    Auf EU-Ebene wurde das unter der Ampel mit dem Tunesiendeal zuletzt durchgewunken - zusätzlich zu unseren Deals mit der Türkei, Lybien, Marokko, ja selbst Mauretanien fängt für Geld von der EU bereits Flüchtlinge auf der Durchreise ab und karrt sie weit ins Landesinnere an die Grenze zu Mali - 'gehe zurück auf Los' sozusagen...