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„Vermummungsverbot“ in Online-ForenWeniger Anonymität, weniger Hass?

Österreichs Bundesregierung will, dass User sich zu erkennen geben – mit ihrer Handynummer beim Provider. Netzexperten sind skeptisch.

Ist gegen die vollständige Verhüllung der eigenen Identität im Internet: Österreichs Kanzler Kurz Foto: dpa

Wien taz | Ein „digitales Vermummungsverbot“ will Österreichs Bundesregierung am Mittwoch im Ministerrat beschließen. Die Einschränkung der Anonymität von Kommentatoren soll dem Hass im Netz Einhalt gebieten, so der Plan. Dies wurde bereits im vergangenen November bei einer Expertenanhörung im Parlament von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) angekündigt. Der Wortlaut des Entwurfs, der noch vor dem Sommer dem Parlament vorgelegt werden soll, ist noch nicht bekannt.

Kolportiert wird, dass alle Nutzer von sozialen Medien beim Provider ihre Handynummer hinterlegen müssen. Die Verwendung von Pseudonymen soll aber weiterhin zulässig sein. „Was macht jemand, der kein Handy hat?“, fragt die Journalistin Ingrid Brodnig, die 2016 ein Buch über Hass im Netz geschrieben hat. Den Vermarktungsbegriff „Vermummungsverbot“, den die Regierung in die Welt gesetzt hat, hält Brodnig für eine geniale Bezeichnung: „Das klingt gut, nur was das konkret für die Bürger bedeutet, ist eine Identifikationspflicht im Internet – auch für all jene, die vollkommen sachlich und fair posten.“

Sie zeigt sich gegenüber der taz skeptisch, dass die Einschränkung der Anonymität im Netz die gewünschten Erfolge bringt, und verweist auf das Beispiel Südkorea, wo 2007 ein ähnliches Gesetz beschlossen wurde: „Jeder südkoreanische Bürger hat eine 13-stellige Einwohnernummer. Und wer auf großen Webseiten posten wollte, musste diese Nummer angeben. Man durfte zwar weiterhin Pseudonyme verwenden, aber bei Beschwerden war die Person sofort ausforschbar.“

Die Folgen seien „kreativere Beleidigungen“ gewesen. Und Hacker hätten die privaten Daten von 35 Millionen Südkoreanern erbeutet. 2012 habe der Verfassungsgerichtshof das Gesetz aufgehoben. Eine massive Abnahme illegaler Postings habe sich nicht gezeigt, so Brodig. Über Details gab sich Österreichs Medienminister Gernot Blümel (ÖVP) noch zugeknöpft. Man werde noch über „finale Ergebnisse informieren“, hieß es aus seinem Büro. Betroffen wären vermutlich auch die Online-Foren mehrerer Medien.

Darunter Der Standard, ein Pionier auf dem Sektor, der eines der lebendigsten Foren Österreichs betreibt. „Weniger Anonymität hilft nicht gegen Hasspostings“, meint man bei den liberalen NEOS. Die ehemalige Grünen-Abgeordnete Sigi Maurer wurde vergangenes Jahr mit unter Klarnamen geschriebenen sexistischen Postings belästigt. Ingrid Brodnig meint, es gebe auch mildere Mittel. Denn schon jetzt habe die Polizei die Möglichkeit, die IP-Adressen von Postern zu ermitteln.

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7 Kommentare

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  • Die Kombination dieser Daten ermöglicht politische Verfolgung. Es spielt dabei überhaupt keine Rolle, ob dies letztlich wirklich erfolgt. Entscheidend ist allein die Möglichkeit.

  • 8G
    88181 (Profil gelöscht)

    Das kapiere ich wieder mal nicht, mein Provider hat meine Telefonnummer, weil ich meine Telefonummer von meinem Provider habe.

    Und außerdem, müssen die Provider nicht im Verdachtsfall die IP den Ermittlungsbehörden geben?

    Also ist man ja sowieso nicht wirklich anonym.

    Hauptsache ich kann hier weiter als Jim Hawkins schreiben und muss mich nicht als Karl Häberle outen.

    • @88181 (Profil gelöscht):

      Es geht wohl nicht um den Internet-Provider, der hat ja nicht nur Telefonnr., sondern auch die Adresse, sondern um einen möglichen Plattformbetreiber (also facebook, instagram, aber auch das liebste Motorradforum). Das ist hier im Artikel ganz schön missverständlich geschrieben...

      • 8G
        88181 (Profil gelöscht)
        @Hauke:

        Danke für die Info. Das würde dann also auch für das taz-Forum gelten. Na schön, meine Handynummer ist die 4.

  • Es ist bemerkenswert, wie die Politik glaubt, mit immer primitiveren Mitteln auf eine immer komplexere Welt reagieren zu müssen.

    Und beim Thema Hasspostings völlig ohne Not: Eine Bilanz des NetzDG in Deutschland hat gezeigt, dass von knapp 1000 Beschwerden gerade mal 60 eine genauere Betrachtung rechtfertigen. 60. In ganz Deutschland. In einem Jahr. 5 pro Monat.

    Und dafür brauchen wir Gesetze?

  • 9G
    99140 (Profil gelöscht)

    Bildung, Bildung und nochmals Bildung.



    Das hilft gegen Hass und Hetze.



    Und noch etwas...wer sich mit den bizarrsten "Argumenten" gegen eine persönliche Kennzeichnung von vermummten, für Krieg ausgerüsteten Polizeibeamten ausspricht, die bei Demonstrationen ihrem Souverän gegenübergestellt werden, der sollte doch bitte dort beginnen, die Gesellschaftlichen Verwerfungen zu bekämpfen...die man selbst geschaffen hat.



    Und dann....Bildung, Bildung und nochmals Bildung.



    Dann bekommen wir auch irgendwann wieder eine von sozialer und fachlicher Kompetenz getragene Regierung.

  • Es ist erwiesen, dass dadurch das Verhalten in Online-Foren nicht besser sondern im Gegensatz schlimmer wird: journals.plos.org/...urnal.pone.0155923