Verkehrsstreik der Gewerkschaften: Sicher nicht der Letzte
Zwei Gewerkschaften setzen am Montag zusammen die Arbeitgeber mit einem Mobilitätsausstand unter Druck. Vermutlich werden viele Weitere folgen.
A m kommenden Montag werden in weiten Teilen des Landes nur Fußgänger und Radfahrer uneingeschränkt mobil bleiben. Bei allen anderen Verkehrsmitteln wirkt sich mehr oder minder stark ein bisher in dieser Form nicht gewohnter Streik aus. Zwei Gewerkschaften tun sich zusammen und setzen die jeweiligen Arbeitgeber mit einem flächendeckenden Mobilitätsausstand unter Druck, weil es in ihren Tarifverhandlungen stockt.
Mit einer neuen Strategie auf Gewerkschaftsseite hat der gebündelte Warnstreik nichts zu tun. Es ist eher die Terminlage, die ein gemeinsames Vorgehen ermöglicht, eher ein Zufall also. Dass Verdi und die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) aber zum großen Kaliber greifen, hat durchaus gute Gründe.
Viele der zusammengenommen mehr als 2,7 Millionen betroffenen Beschäftigten arbeiten in den unteren Lohngruppen, die unter der Inflation am meisten leiden. Unter ihnen ist der Unmut über die bisherigen Angebote der öffentlichen wie privaten Arbeitgeber groß, mithin auch die Kampfbereitschaft. Und sie erwarten, dass ihre Vertreter spürbare Verbesserungen durchsetzen.
Die Forderungen beider Gewerkschaften sind zudem taktisch klug gesetzt. Sie pochen auf einem Mindestbetrag, der den Leuten mit niedrigem Einkommen überproportional viel bringt, den Spitzenverdienern weniger. Das lässt sich innerhalb der Belegschaften, aber auch in der Öffentlichkeit gut verkaufen. Und die öffentliche Meinung spielt bei Tarifverhandlungen in wichtigen Branchen wie dem öffentlichen Dienst oder der Mobilität eine große Rolle. Hier sind die Arbeitgeber derzeit in die Defensive geraten, denn unter den hohen Preisen stöhnen die Beschäftigten überall und haben daher mehr Verständnis für die Forderungen als bei vergangenen Tarifrunden.
Kein Einlassen auf vorschnelle Kompromisse
Die Krisen rundum sind zudem eine Chance für Gewerkschaften, dem Mitgliederschwund und ihrem Bedeutungsverlust etwas entgegenzusetzen. Dort, wo sie gut organisiert sind, können sie bessere Arbeitsbedingungen aushandeln. Die letzten Abschlüsse, insbesondere bei der Post, haben das gezeigt. So verzeichnen sowohl die EVG als auch Verdi plötzlich wieder Zulauf. Allein schon deshalb werden sie sich in diesem Jahr kaum auf vorschnelle Kompromisse einlassen.
Der Warnstreik kommende Woche schmerzt viele, die auf Mobilität angewiesen sind – ist aber keineswegs maßlos. Da aufseiten der Arbeitgeber bisher keine entscheidende Bewegung in Richtung der Gewerkschaftsforderungen erkennbar ist, muss sich das Land wohl auf weitere Ausstände einstellen, vor allem, wenn es in der kommenden Woche keinen Abschluss im öffentlichen Dienst gibt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles