Verhafteter Menschenrechtsaktivist: Mein Freund Gasser
Journalistische Distanz? Manchmal geht das nicht. Ein guter Freund unseres Ägypten-Korrespondenten wurde verhaftet. Die Geschichte einer Freundschaft.
Stundenlang starre ich auf meinen Computerbildschirm. Wie berichtet man objektiv und mit journalistischer Distanz darüber, dass einer der besten Freunde verhaftet wurde? In einem Land, in dem manchen Kollegen der Journalismus selbst schon zum Verhängnis wurde? Gasser Abdel Razek zählt seit vielen Jahren zu meinen besten Freunden in Ägypten.
Letztes Jahr hatte ich ihn gebeten, mein Trauzeuge zu sein. Als ich 2004 wochenlang im Irak war und dort aus dem Krieg berichtete, half Gasser zu Hause in Kairo mit meinen damals kleinen Kindern aus. Inzwischen sind sie erwachsen, aber Gasser ist für sie ein „Onkel“ geblieben.
Befürchtet haben wir schon lange, dass er verhaftet werden könnte. Zu sehr ist seine Arbeit den Herrschenden ein Dorn im Auge. Als Chef einer der letzten im Land verbliebenen Menschenrechtsorganisationen kannte Gasser das Risiko.
Er wusste, Berichte über willkürliche Verhaftungen, Folter, unfaire Gerichtsprozesse, Todesstrafen und die Beschneidung von Versammlungsrecht und Pressefreiheit zu veröffentlichen, barg immer die Gefahr, eines Tages selbst an der Reihe zu sein.
Muhammad Bascheer und Karim Ennarah, zwei Mitarbeiter der von ihm geleiteten Egyptian Initiative for Personal Rights (EIPR), waren in diesem Monat schon verhaftet worden. Die Festnahmen folgten auf ein Treffen im Büro der Organisation mit 13 Botschaftern und Botschaftsvertretern, die meisten aus der EU, auch der deutsche Botschafter war dabei.
Er packte seine Tasche und wartete
Die Diplomaten waren über die Menschenrechtslage im Land unterrichtet worden. Das, davon war Gasser überzeugt, war der Auslöser, warum seine Kollegen festgenommen wurden. Er ahnte, was als Nächstes passieren würde. Er schickte seine Frau und seine beiden Söhne in die Oase Fayoum, eineinhalb Stunden von Kairo entfernt. Dann packte er seine Tasche und wartete zu Hause darauf, selbst abgeholt zu werden. Am 19. November war es so weit.
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In der Nacht seiner Verhaftung wurde er von der Staatsanwaltschaft verhört und am nächsten Morgen offiziell angeklagt. Er soll Mitglied einer terroristischen Vereinigung sein. Außerdem wird ihm vorgeworfen, mit Falschmeldungen die Sicherheit des Staates gefährdet zu haben.
Ich erinnere mich an viele Fahrten mit Gasser durch die ägyptische Wüste. Wenn wir tagelang die Autos über die Sanddünen gleiten ließen, wenn wir sie aus dem Sand buddelten, weil sie stecken geblieben waren, und nachts dann am Lagerfeuer saßen – im schönsten 5-Millionen-Sterne-Hotel der Welt. Oft sprachen wir über die Menschenrechtslage, während Gasser, ein ambitionierter Koch, mitten in der Wüste am Spirituskocher eine seiner Gourmet-Mahlzeiten zubereitete.
So passioniert er beim Kochen ist, so ist er es auch in seiner Arbeit. Er macht keinen Unterschied, wessen Menschenrechte es zu verteidigen gilt. Egal, ob unter dem 2011 gestürzten Hosni Mubarak, dem Muslimbruder-Präsidenten Muhammad Mursi oder dem ehemaligen Militär- und heutigen Staatschef Abdel Fatah al-Sisi, Gasser verteidigte 25 Jahre lang alle, deren Menschenrechte in Ägypten verletzt wurden.
Er kämpft für gleiche Rechte für alle
Er machte nie einen Unterschied, ob diese Menschen säkular, islamistisch, kommunistisch, liberal oder verschleiert waren. Ob sie einen Salafisten- oder Che-Bart trugen, es sich um diskriminierte Christen oder Homosexuelle handelte – für Gasser haben sie alle die gleichen Rechte. Ich kenne kaum jemanden, der so klare Prinzipien hat wie er.
Wie schreibt man nun über seinen verhafteten Freund – objektiv? Letzten Montag wurde Gasser erneut der Staatsanwaltschaft vorgeführt. Seinen Kopf hatte man kahl geschoren. Seinen anwesenden Anwälten erzählte er, dass er im berüchtigten Tora-Gefängnis in Kairo in einer Isolationszelle sitze mit einem Metallbett ohne Matratze und Bettzeug.
Er habe nur die dünnen Klamotten, die er anhabe. Die wärmeren Sachen habe man ihm, wie alle anderen persönlichen Gegenstände, die er mitgebracht hatte, abgenommen. Ihm sei kalt, sagte er den Anwälten. Vergangene Nacht lag ich wach in meinem warmen Bett in Kairo und dachte an meinen Freund in der kalten Zelle. Wie kann ich objektiv darüber berichten?
Man könnte über die weltweiten Reaktionen auf Gassers Verhaftungen schreiben. Das Büro des UN-Hochkommissars für Menschenrechte hat Gassers sofortige Freilassung gefordert, unterstützt von UN-Generalsekretär Antonio Guterres. Die EU und Mitglieder des EU-Parlaments haben seine Festnahme verurteilt. Zahlreiche Regierungen von Ländern, deren Botschafter bei dem Treffen mit Gasser in Kairo zugegen waren, legten Protest ein, auch die deutsche Menschenrechtsbeauftragte Bärbel Kofler.
Eine Mahnung vom designierten US-Außenminister
Internationale Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty und Human Rights Watch stellen sich in Erklärungen hinter Gasser, dessen Organisation sie all die Jahre mit Informationen versorgt hat. Vielleicht für das Regime in Kairo besonders gravierend: Auch der von Joe Biden als zukünftiger US-Außenminister nominierte Anthony Blinken hat die Verhaftung in einem Tweet verurteilt. „Sich mit ausländischen Diplomaten zu treffen ist genauso kein Verbrechen, wie friedlich für Menschenrechte einzustehen“, schrieb er.
Man könnte aber auch die Frage stellen, was all diese internationalen Proteste wirklich wert sind, wenn sie nicht einmal dazu führen, dass Gasser eine Matratze auf sein Zellenbett bekommt. Zumindest nach außen gibt sich das Regime in Kairo nämlich bisher trotzig. Das ägyptische Außenministerium verwehrt sich gegen alle Einmischungen in die inneren Angelegenheiten und wirft EIPR vor, gegen bestehende Gesetze verstoßen zu haben.
Wie ernst sind diese vielen Protestnoten denn tatsächlich gemeint? Schließlich werden in vielen westlichen Hauptstädten arabische Autokraten wie al-Sisi als Garant der Stabilität in der Region gesehen, als Bollwerk im Antiterrorkampf und als Partner, wenn es darum geht, Flüchtende davon abzuhalten, über das Mittelmeer zu kommen.
Der drittgrößte Waffenimporteur der Welt
Und man will weiter Geld mit Waffenverkäufen nach Ägypten verdienen. Das Land am Nil ist inzwischen der drittgrößte Waffenimporteur der Welt. Die USA und Frankreich gehören zu den wichtigsten Lieferanten. Ein Drittel des Wertes der nach Ägypten importierten Waffen zwischen 2015 und 2019 entstammt französischer Produktion. Ägypten hält dieses Jahr auch den ersten Rang bei den deutschen Waffenexporten mit bisher 585,9 Millionen Euro. Thyssenkrupp hat das Land mit vier U-Booten beliefert. Im Gespräch sind auch weitere Waffenverkäufe aus Italien im Wert von 9,8 Milliarden Dollar.
Dagegen wirkt mein Freund Gasser in seiner kalten Zelle in Kairo sehr klein, obwohl er eigentlich viel größer ist. Als Gasser am Montag von der Staatsanwaltschaft wieder zurück ins Gefängnis transportiert wurde, konnte seine Frau Mariam einen kurzen Blick auf ihn durch das vergitterte Fenster des Gefangenentransporters erhaschen.
Das Einzige, das Gasser kurz nach draußen rufen konnte, war: „Mariam, grüße unsere Kinder von mir. Ich liebe dich.“ Das erste Mal wird Mariam ihn nach 30 Tagen im Gefängnis besuchen dürfen.
Ich habe immer wieder argumentiert, dass guter Journalismus für mich bedeutet, ganz nah dran zu sein, die Objekte der Berichterstattung zu Subjekten zu machen, die ihre Geschichten erzählen, über die sich die Leserinnen und Leser dann eine Meinung bilden können.
Morgen werde ich Mariam und die beiden Söhne, den zehnjährigen Khalil und den siebenjährigen Murad, besuchen. Ich werde an dem Küchentisch sitzen, an dem ich oft stundenlang mit ihnen gelacht, gespielt und debattiert habe. Wir werden über Gasser reden, meinen Freund und Trauzeugen, der nur wenige hundert Meter entfernt als „angeklagter Terrorist“ im Gefängnis sitzt. Und es wird zu nah sein, um darüber zu berichten.
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