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Verfassungsänderung geplantKiel stellt mal wieder die Gretchenfrage

Schleswig-Holsteins Landtag plant Verfassungsänderungen, die das Land moderner machen sollen. Ein Bündnis fordert, einen Gottesbezug aufzunehmen.

Der Landtag plant ein Geschenk für die Kirchen: Lübecker Dom mit Schleife, hier allerdings zum 850jährigen Jubiläum Foto: Daniel Reinhardt/dpa

Kiel taz | Klimaschutz, mehr Rechte für Kinder und pflegende Angehörige, Schutz vor Rassismus sowie Schutz der jüdischen Kultur und der Kulturen der nationalen Minderheiten – ein breites Parteienbündnis im Kieler Parlament will die Landesverfassung verändern.

Doch vor der heutigen ersten Beratung des Gesetzentwurfs tauchte ein alter Bekannter wieder auf: Gott. Ein Bündnis von Kirchen und Religionsgemeinschaften will den Glauben an ein höheres Wesen in die Präambel schreiben. Die CDU signalisiert Zustimmung.

„Gemeinsam machen wir Schleswig-Holstein moderner, sicherer, klimafreundlicher und zuversichtlicher“, sagte Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) am Mittwoch. In seiner Regierungserklärung ging es um den Umgang mit dem Sondervermögen des Bundes.

Aber auch die geplanten Verfassungsänderungen sollen das Land „moderner, sicherer, klimafreundlicher“ machen. An einem Dutzend Stellen wollen die Regierungsparteien CDU und Grüne gemeinsam mit FDP und SSW die aktuelle Fassung der Verfassung ändern. Festgeschrieben wird der Schutz der Artenvielfalt, den Schleswig-Holstein als erstes Bundesland als Staatsziel verankern will, sowie ein Diskriminierungsverbot von Angehörigen sexueller Minderheiten.

Als Orientierungshilfe gedacht

Es sind Themen, die von Rechtsaußen-Parteien wie der AfD kritisch gesehen oder in Zweifel gezogen werden. Zurzeit gehört die AfD – über deren Verfassungsmäßigkeit und eine mögliche gerichtliche Überprüfung derselben das Parlament am Mittwoch diskutierte – dem Kieler Landtag nicht an. Aber die Kommunalwahl-Ergebnisse der vergangenen Monate zeigen auch in Schleswig-Holstein wachsende Zustimmung.

Ohne auf einzelne Parteien einzugehen, begründet der Gesetzesentwurf die geplante Verfassungsänderung damit, dass die Präambel eine „moralische und politische Orientierungshilfe“ darstellen soll. Dazu zählt das Parteienbündnis die „Verpflichtung des Staates zum nachhaltigen Handeln“, den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen sowie den Kampf gegen „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“, die „fast immer eine antidemokratische Stoßrichtung hat und einer Weltanschauung entspringt, die eng Verschwörungsmythen verbunden ist“.

CDU und Grüne verfügen über eine ausreichend breite Mehrheit im Landtag, hatten diesen Gesetzesentwurf aber mit der Opposition abgestimmt. Die FDP will als eigenen Punkt noch eine verbindliche Investitionsquote einfügen, trägt aber die übrigen Änderungen gemeinsam mit dem SSW mit.

Einzig die SPD ist nicht Teil des Bündnisses. Die größte Oppositionspartei hatte zwar lange mitverhandelt, stieg aber am Ende aus. Sie kritisiert unter anderem, dass der Verfassungsentwurf von einer digitalen Erreichbarkeit der Gerichte spricht – die SPD will Gerichtsstandorte und Verhandlungen in der analogen Welt erhalten.

Zuletzt geändert wurde die Verfassung im Jahr 2014, damals regierte die SPD mit den Grünen und dem SSW. Lange gestritten wurde damals über die Frage, ob ein Bezug auf Glauben und Religion in die Präambel aufgenommen werden sollte. Sogar eine Volksinitiative gründete sich. Mehrere Formulierungsvorschläge lagen auf dem Tisch. Doch bei der entscheidenden Sitzung 2016 unterlag Gott im Parlament knapp mit einer Stimme.

Nun ist die Forderung nach einem Gottesbezug zurück. Beide christlichen Kirchen, die liberalen wie orthodoxen jüdischen Gemeinden sowie drei muslimische Vereinigungen möchten eine „Werteformel“ in die Verfassung aufnehmen.

Ein Gottesbezug ist ein Ausdruck dafür, dass der Mensch fehlbar und nicht das Maß aller Dinge ist

Kirchen, muslimische, jüdische Gemeinden Schleswig-Holsteins

Diese solle keineswegs Athe­is­t:in­nen ausgrenzen, sondern „religiöse und nicht religiöse Menschen zusammenbringen“, heißt es in einer Stellungnahme des Bündnisses. „Denn: Ein Gottesbezug ist kein Glaubensbekenntnis, sondern im Sinne einer Demutsformel Ausdruck dafür, dass der Mensch fehlbar und nicht das Maß aller Dinge ist.“

Einzig die CDU findet diese Erklärung plausibel: „Ein Gottesbezug dient dem gesellschaftlichen Zusammenhalt“, sagt Anette Röttger, kirchenpolitische Sprecherin der Landtagsfraktion. „Werte und Grundhaltungen, das gesellschaftliche Miteinander, Wertschätzung und der Respekt leiten sich daraus ab.“ Der Bezug auf ein höheres Wesen diene der „Selbstvergewisserung“ und sei „eine wertvolle Demutsformel, denn es liegt nicht alles allein in unserer Hand“.

Andere Fraktionen teilen diese Haltung nicht. Wobei Einigkeit darüber herrscht, dass eine erneute Abstimmung ohne Fraktionszwang erfolgen sollte. Doch Martin Habersaat (SPD), damals Mit-Autor eines Kompromissvorschlags, hält es nicht für sinnvoll, überhaupt wieder über den Gottesbezug zu sprechen.

„Das Thema ist keines, das bei jeder Verfassungsänderung auf die Tagesordnung kommen sollte“, sagte er dem SHZ-Verlag. „Ich glaube, das hätten die Kirchen genauso gesehen, wenn der Kompromissvorschlag eine Mehrheit gefunden hätte.“

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