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Verfahren eingestellt gegen Neonazis1000 Euro fürs Prügeln

Fünf Jahre nach dem Angriff von Rechtsextremen in Chemnitz wird das Verfahren gegen drei Angeklagte unter Auflage eingestellt. Betroffene sind empört.

Einer der Angeklagten im Gerichtssaal in Chemnitz im Dezember 2023. Das Verfahren wurde nun eingestellt Foto: Jan Woitas/dpa

Berlin taz | Eigentlich waren noch drei weitere Prozesstage angesetzt. Doch das Chemnitzer Landgericht stellte am Freitag das Verfahren gegen drei Männer ein, die sich am Rande rechter Ausschreitungen im September 2018 in Chemnitz an Angriffen auf elf linke De­mons­tran­t*in­nen beteiligten. Die drei waren wegen Körperverletzung und Landfriedensbruch angeklagt. Nun müssen sie innerhalb von sechs Monaten jeweils 1.000 Euro an soziale Einrichtungen zahlen. Die Betroffenen reagierten mit Unverständnis, die Nebenklage nannte es einen Skandal.

Durch den Prozess habe er gelernt, kommentierte ein Betroffener, der anonym bleiben möchte, nach der Entscheidung, „dass Nazis in Deutschland nichts zu befürchten haben, wenn sie auf politische Gegner losgehen“. Anna Schramm, die damals Angegriffene im Projekt „Support“ in Chemnitz berät, sagte der taz: „Die Betroffenen waren schon vor dieser Entscheidung vom schleppenden Verfahren desillusioniert. Die Justiz hat die Dimension der Straftaten nicht erkannt.“

Die Täter räumten im Prozess ein, dass sie mit einer größeren Gruppe nach der Demo durch Chemnitz zogen. Als es aus der Gruppe zu Übergriffen und Beleidigungen kam, hätten sie sich nicht beteiligt, aber auch nicht distanziert. Im Prozess hieß es, die Angreifer hätten „Adolf Hitler unser Führer“ und „Scheiß Zecken“ gerufen. Die Verteidiger haben für die Angeklagten gesagt, dass dieses Verhalten falsch war.

Am Montag äußerte sich das Landgericht Chemnitz gegenüber der taz nicht dazu, aus welchem Grund es das Verfahren nach Paragraf 153a Strafprozessordnung eingestellt hat. Demnach müssen die Auflagen oder Weisungen geeignet sein, „das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen“.

Freifahrtsschein für Neonazis?

Das Landgericht verwies auf die Generalstaatsanwaltschaft, die dazu angeregt hatte, das Verfahren einzustellen. Die antwortete, „unter Berücksichtigung der maßgebenden Umstände“, sei die Auflage geeignet, um das Interesse zu beseitigen. Die Entscheidung des Gerichts ist nicht anfechtbar. Ein weiterer Angeklagter hatte zu Beginn gestanden, gegen ihn wurde das Verfahren auch eingestellt.

Kati Lang, Anwältin der Nebenklage, findet, bei solch einer Entscheidung müsse das Gericht auch die Wirkung im Blick haben. „Für Neonazis ist das ein Freifahrtschein. Erst wurde schlampig ermittelt, dann der Prozess verschleppt und am Ende gibt es keine Strafe.“ Die Geldauflage von 1.000 Euro, die das Gericht den Angeklagten auferlegt hat, ist rechtlich keine Strafe.

Ursprünglich waren vor der 4. Kammer des Landgerichts neun Männer angeklagt. Gegen zwei wurde das Verfahren eingestellt, weil sie in anderen Prozessen zu höheren Strafen verurteilt wurden. Drei Verfahren wurden aufgeschoben: Zum einen das Verfahren des bundesweit bekannte Neonazis Steven Feldmann aus Dortmund, der schon vor dem Prozess untergetaucht war. Ein weiteres Verfahren, bei dem die Ladung dem Angeklagten nicht zugestellt werden konnte und das eines Angeklagten, der derzeit nicht prozessfähig ist.

Die Proteste im September 2018 gelten als der öffentliche Schulterschluss zwischen AfD und Neonazis. Sie entbrannten nach der Tötung eines Deutschkubaners, für die ein Jahr später ein Syrer verurteilt wurde. Auf den Demonstrationen wurde mehrfach der Hitlergruß gezeigt. Schramm sagt, auf die „migrantische Community hatte dieses Jahr eine erschütternde Wirkung. Zu merken, wie verbreitet Rassismus in Deutschland ist, hat zu viel Misstrauen geführt.“

Doch noch sind nicht alle Verfahren zum Fall eingestellt. Gegen mehr als ein Dutzend Angeklagte stehen die Verhandlungen noch aus. Seit Herbst 2021 ist dafür das Landgericht Chemnitz zuständig. „Das ist dann wohl das ‚konsequente Vorgehen‘ gegen rechte Straftaten“, sagt Kati Lang. Sie klingt frustriert.

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13 Kommentare

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  • Schon vor 80 Jahren und bis in die 1970-er hinein waren Altnazis an den Gerichten tätig.



    Eingestellt wurden diese nach dem Krieg, da es keine "kompetentere" Personen gab.



    Eine Entnazifizierung innerhalb der Justiz gab es nie durchgreifend.



    Nach den Schilderungen des Artikel scheint es als ob hier noch Reste wirken.

    • @Sonnenhaus:

      "Eine Entnazifizierung innerhalb der Justiz gab es nie durchgreifend"

      Da sagen se was. Chemnitz lag in der sozialistischen DDR. Und das die DDR bis in die 70er Altnazis an Gerichten beschäftigte ist ja auch bezeichnend.

      Wolln mer ihnen mal glauben 🤓

  • Bei den vielen Stimmen in Ostdeutschland für die Blaubraunen werden auch ein paar Juristen dabei sein. Warum nicht auch jemand aus diesem Verfahren? Es besteht wohl der Wunsch, diese Taten nicht in den Medien hochzuspülen, wenn es an die Wahlurne geht. Also lieber schnell einstellen.

    • @Hefra1957:

      Können Sie ihre Meinung begründen, oder ist das mehr so gefühlt.

      Der Artikel gibt da ja in diese Richtung nicht viel her.

      Es liest sich eher so, als könnte man den Leuten nichts beweisen.

  • Um was fuer Gewalttaten ging es? Konnte den Angeklagten Gewalttaten nachgewiesen werden oder waren sie unbeteiligte Mitlaeufer?

    Erinnert an die Verfahren zum G20 in Hamburg. Dort wurde eine etwaige Kollektivhaftung zu Recht, auch in der TAZ, wehement kritisiert.



    Hier scheint man sie zu fordern - ich dachte immer Justizia sei blind?

    • @elektrozwerg:

      Es hilft, Artikel zu lesen, die man kommentiert.

    • @elektrozwerg:

      "Um was fuer Gewalttaten ging es? "

      Danach habe auch ich im Artikel gesucht. Wohl keine. Die 1.000 Euro sind dann wohl grundsätzlich dafür, Teil einer Gruppe gewesen zu sein, von der Gewalt ausging. Distanzieren hat da ach nicht geklappt.

      Das wird sicher demnächst auch auf Demonstrationen ausgeweitet aus denen Gewalt mit linksextremen Hintergrund erfolgt. Man sollte sch also zweimal überlegen, welche Rechtspraxis man hier einfordert.

    • @elektrozwerg:

      Ist sie doch, auf dem rechten Auge.

  • Cannabispatienten, die zum Eigenbedarf selbst anbauen, werden härter bestraft.

  • Vgl. Lina E.

    Was geht mensch gegen Nazis auf die Strasse, wenn ihre Sympathisanten, wie es scheint, in der Staatsanwaltschaft sitzen?

  • Wir haben keine Justiz die auf dem rechten oder auch linken Auge blind ist, sondern eine vollkommen überlastete Justiz, die kaum noch hinterher kommt ihr übertragene Fälle zeitnah abzuarbeiten. Wenn nach Jahren der Prozeß Verzögerung dann auch noch zuständige Ermittlungsbehörden "schlampig" ermittelt haben, kann und darf das Landgericht nur sehr schwer zu einer härteren Strafe kommen. Schließlich muss eine Schuld bewiesen sein. Wir haben grundsätzliche Fehler im System. Jedoch zum Glück keine seitenorientierte, fehlerhafte Justiz.

    • @Mike Lehmann:

      Och. Ich erinnere mich gar nicht an unverhältnismäßig milde Strafen gegen Linke. Nennen Sie mal ein paar Fälle.

    • @Mike Lehmann:

      Der Glaube versetzt Berge, aber an der Realität an Sachsens Gerichten kann er auch nichts ändern.

      Bei 30% AfD-Anhängern an der Wahlurne ist für Polizei und Justiz eher so von 45% auszugehen. (Naja gut, auch dort "nur" 35%, denn die "35% AfD" beziehen sich ja nur auf die gültigen Stimmen; real sind das eher so um die 27%.)