Verbotene deutsche NGO: Wie gefährdet man Russland?
Die russische Generalstaatsanwaltschaft bestätigt: Die deutsche Organisation EPDE ist unerwünscht. Was die genauen Gründe dafür sind, sagt sie nicht.
Die russische Generalstaatsanwaltschaft hat in einem Schreiben an die taz bestätigt, dass der deutschen Organisation European Platform for Democratic Elections in Russland unerwünscht ist. Aber sie sagt nicht, welche Taten sie der Organisation konkret vorwirft.
In dem dreiseitigen Brief der Behörde heißt es zwar allgemein, nichtstaatliche Organisationen, die eine Gefahr für die Grundlage der verfassungsmäßigen Ordnung der Russischen Föderation, die Verteidigungsfähigkeit des Landes oder die Sicherheit des Staates darstellt“, könnten für unerwünscht erklärt werden. Aber mit welchen Handlungen genau EPDE zum Beispiel die Sicherheit des russischen Staates gefährdet haben soll, geht aus dem dreiseitigen Brief nicht hervor.
„EPDE hat gegen kein Gesetz in Russland verstoßen, daher ist diese Einstufung willkürlich gegen uns und unsere Mitgliedsorganisationen gerichtet, die sich für freie und faire Wahlen in ganz Europa einsetzen“, sagt Stefanie Schiffer, die Vorsitzende von EPDE. „Wir fordern daher weiterhin die unverzügliche Zurücknahme der Listung durch die russischen Behörden.“
Im März war EPDE, die mit Wahlbeobachtern in mehreren postsowjetischen Ländern zusammenarbeitet, auf der Liste der unerwünschten Organisationen des russischen Justizministeriums aufgetaucht. Als erste deutsche NGO überhaupt. Und kurz vor den Präsidentschaftswahlen am 18. März.
Zuvor hatten regierungstreue Fernsehsender heimliche Videoaufnahmen und Telefonmitschnitte der EPDE-Vorsitzenden Stefanie Schiffer und der Gründerin der russischen Wahlbeobachtungsbewegung Golos, Lilia Schibanowa, ausgestrahlt. Diese sollten suggerieren, Schiffer und Schibanowa wurden sich gegen Russland verschwören.
Im Auswärtigen Amt bemühte man sich nach taz-Informationen darum, dass EPDE wieder arbeiten kann, aber bisher war das offenbar erfolglos. Die Mitglieder von EPDE beobachten in Russland selbst keine Wahlen, aber sie machen die Ergebnisse ihrer Partnerorganisationen in Westeuropa bekannt, indem sie diese zum Beispiel auf ihrer Webseite veröffentlichen.
Partner in Russland können verfolgt werden
Lilia Schibanowa, Golos-Gründerin
Schiffer reagierte auf das De-Facto-Verbot, indem sie die Zusammenarbeit mit Golos stark einschränkte. Sie sieht die Schritte gegen ihre Organisation vor allem als Schritte gegen ihre Kooperationspartner. Die angedrohten Strafen für Institutionen und Personen, die mit unerwünschten Organisationen zusammenarbeiten, reichen von hohen Geldstrafen bis zu sechs Jahren Gefängnis.
„Das ist alles nur ein Mittel, der Zweck ist ein ganz anderer“, sagt auch Lilia Schibanowa im Gespräch mit der taz. „Alle russischen Staatsbürger, die jetzt noch mit EPDE zusammenarbeiten, können nun nach dem russischen Gesetzbuch verfolgt werden.“ Schibanowa war selbst Mitglied im Sekretariat von EPDE, hat sich aber zurückgezogen.
EPDE-Chefin Schiffer sitzt auch im Vorstand des Petersburger Dialogs, eine regelmäßige Tagung, die die Gesellschaften Deutschlands und Russlands miteinander ins Gespräch bringen soll. Der Vorsitzende des Petersburgers Dialogs, Ronald Pofalla (CDU), sagte Anfang Mai, bei dem De-Facto-Verbot von EPDE handele sich um einen „Versuch der Einschüchterung“, deshalb müsse es zurückgenommen werden.
Arbeiten kann die Organisation von Stefanie Schiffer faktisch nicht mehr. Alexander Igorewitsch Kurrenoj, der Leiter der Pressestelle der Generalstaatsanwaltschaft, zählt auf, was EPDE in Russland alles nicht mehr darf: Sie darf keine „Unterabteilung“ in Russland gründen, Banken und Kreditinstitute sind verpflichtet, „Operationen mit Geldmitteln und (oder) anderem Eigentum zu verweigern“, sie darf keine Informationsmaterialen verbreiten oder auch nur aufbewahren und Mitglieder von EPDE dürfen keine Firmen oder Vereine gründen.
Beschweren könnte man sich. Aber wie?
Kurrenoj schreibt dann noch, EPDE könne sich beim Generalstaatsanwalt über die Entscheidung beschweren oder vor Gericht ziehen. Nur ist der Klageweg vor Gericht in dem Gesetz über die unerwünschten Organisationen überhaupt nicht vorgesehen. Bei den Lesungen des Gesetzesvorhabens im Parlament wurde das zwar angesprochen, aber geregelt wurde das Verfahren von der Duma dann doch nicht.
„Das Gesetz ist unbeholfen erstellt“, sagte beispielsweise Sergej Nikitin von Amnesty International Russland. “Es ist unklar, wie wir handeln sollen, wenn wir als unerwünscht beschimpft werden.“
Die Venedig-Kommission des Europarates, die osteuropäische Staaten in Rechtsfragen berät, schreibt, das Gesetz widerspreche „grundlegenden Prinzipien der demokratischen Gesellschaft“, weil es Staatsorganen „unbegrenzte Macht in Fragen gewährt wird, die fundamentale Rechte betreffen.“
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Die NGO „Open Russia“ des lange in Russland inhaftierten ehemaligen Oligarchen Michail Chodorkowski, hat 2017 vor einem Bezirks-Verwaltungsgericht in Moskau gegen die Einordnung als unerwünschte Organisation geklagt und scheiterte damit in erster Instanz.
Die EPDE hat im Mai ebenfalls ein Schreiben aus Russland erhalten und zwar vom Außenministerium. Die Gesetze , die festlegen, wer wen in Russland auf die Liste der unerwünschten Organisationen setzen kann, sind schwammig formuliert. Solche Entscheidungen treffen der Generalstaatsanwalt oder sein Stellvertreter in Absprache mit dem Außenministerium; wer da allerdings genau was mit wem wie besprechen muss, weiß niemand wirklich genau.
„taz arbeitet nicht für EPDE“
In diesem Brief, den der Direktor der Abteilung für internationale Organisationen im Ministerium unterzeichnet hat, werden die Gründe etwas konkreter, aus denen die Machthaber in Moskau gegen EPDE vorgehen. Jedenfalls lässt sich die Passage so lesen, in der sich der Autor des Briefes in Schilderungen darüber ergeht, was eine Organisation wie EPDE nicht tun sollte: „Doppelte Standards vermeiden, sich nicht mit Manipulationen und der Verzerrung von Fakten beschäftigen“ und nicht zur „Destabilisierung der gesellschaftlich-politischen Lage“ beitragen.
„Die Anzeichen einer derart destruktiven Arbeit wurden jedoch durch unsere Experten in der Tätigkeit der NGO „Europäische Plattform für Demokratische Wahlen festgestellt“, heißt es in dem Schreiben weiter.
Die taz hatte die russische Generalstaatsanwaltschaft auch gefragt, ob sie sich um die nach russischem Recht wahrscheinlich illegalen heimlichen Video-Aufnahmen und Telefonmitschnitte von Stefanie Schiffer und Lilia Schibanowa kümmert, die russische TV-Sender ausgestrahlt haben. In der Antwort heißt es, natürlich könnten sich „Bürger melden, deren Telefongespräche veröffentlicht wurden.“
Aber Pressesprecher Kurennoj findet, Informationen über das Handeln seiner Behörde stünden Journalisten der taz nicht zu. Der Grund: Sie arbeiten nicht im Auftrag von Schiffer und Schibanowa. Er schreibt: „Dokumente, die bestätigen, dass Sie die Interessen solcher Personen vertreten, liegen nicht vor.“
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