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Verbot queerer Symbole im ParlamentKein Regenbogen am Bundestag

Mehrere Abgeordnete mussten auf Anweisung der Bundestagsverwaltung Regenbogenflaggen abnehmen. Kritik gibt es von Grünen, Linken und auch aus der SPD.

Die Regenbogenflagge als Zeichen für Solidarität mit queeren Menschen Foto: Wolfgang Kumm/dpa

Berlin taz | Am Samstag findet im Berliner Regierungsviertel der diesjährige Christopher Street Day statt. Die Vorfreude trübt jedoch, dass queere Menschen weltweit in einen Kulturkampf von rechts geraten und auch in Deutschland wieder um die mühsam erstrittene Sichtbarkeit kämpfen müssen. Die Diskussionen darüber machen auch vor dem Bundestag nicht Halt.

Anfang des Monats hatten Vorgänge im Parlament für Schlagzeilen gesorgt. Nachdem die Abgeordnete Stella Merendino (Linke) eine Regenbogenfahne aus ihrem Büro hängte und an ihrer Tür einen Aufkleber anbrachte, erhielt sie eine Mail der Bundestagsverwaltung: Sie solle die Gegenstände wieder abnehmen. Dieser Aufforderung sei sie nachgekommen, erklärte Merendino bei ZDF Frontal. Später sei die Polizei des Bundestages vorbeigekommen, um dies zu überprüfen.

Lina Seitzl von der SPD erlebte ähnliches, sie sprach im Tagesspiegel von einer „Jagd auf Regenbogenfahnen“. Insgesamt sieben Mal seien Abgeordnetenbüros wegen Zurschaustellung von Regenbogensymbolen ermahnt worden, gab die Verwaltung an.

Die Maßnahme sende „das fatale Signal, dass queere Sichtbarkeit im parlamentarischen Raum unerwünscht sei – und das ausgerechnet in einer Zeit, in der queeres Leben in Deutschland und weltweit zunehmend unter Druck gerät“, moniert die Grünen-Abgeordnete Ulle Schauws gegenüber der taz.

Der Vorfall passt scheinbar ins Bild

Auch aus der Regierungsfraktion SPD gibt es Kritik. Es sei grundsätzlich bedenklich, „dass Abgeordnete aufgefordert werden, Regenbogenfahnen aus ihren Büros zu entfernen“, so Rasha Nasr. „Die Aufgabe der Bundestagspolizei sollte es aus meiner Sicht nicht sein, ein sichtbares Bekenntnis zu Vielfalt und Akzeptanz zu ahnden.“

Dass der Vorfall überhaupt öffentlich diskutiert wurde, liegt auch daran, dass er ins Bild passt, das die Union zuletzt abgegeben hat. Schließlich verärgerte die neue Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) die LGBT-Community kurz nach Beginn ihrer Amtszeit im März mit einigen Entscheidungen: Die Hausleitung untersagte der queeren Gruppe der Bundestagsverwaltung die Teilnahme am Berliner CSD – unter Verweis auf die Neutralitätspflicht.

Klöckner entschied außerdem, die Regenbogenflagge nur noch am 17. Mai, dem Internationalen Tag gegen Homophobie, auf dem Reichstagsgebäude hissen zu lassen, und nicht mehr am CSD, der von Klöckners Stell­ver­tre­te­r*in­nen Omid Nouripour (Grüne) und Josephine Ortleb (SPD) eröffnet wird. Für Empörung sorgte auch Bundeskanzler Friedrich Merz, der die Entscheidung seiner Parteifreundin mit den Worten unterstützte, der Bundestag sei „ja nun kein Zirkuszelt“.

Die Verwaltung beruft sich in der Begründung der Maßnahme auf die Hausordnung des Bundestages. Dort steht in §4 („Verhalten in Gebäuden“), Absatz 2: „Es ist nicht gestattet, Spruchbänder oder Transparente zu entfalten, Informationsmaterial zu zeigen oder zu verteilen, es sei denn, es ist zur Verteilung zugelassen.“

Und weiter: „Das Anbringen von Aushängen, insbesondere von Plakaten, Postern, Schildern und Aufklebern an Türen, Wänden oder Fenstern in den allgemein zugänglichen Gebäuden des Deutschen Bundestages sowie an Fenstern und Fassaden dieser Gebäude, die von außen sichtbar sind, ist ausnahmslos nicht gestattet.“

Hausordnung wurde von Schäuble angepasst

Insbesondere die äußere Sichtbarkeit, zum Beispiel über das Reichstagsufer oder der Paul-Löbe-Allee, scheint dabei relevant. Mehrere Abgeordnete berichten der taz, dass ihre nicht von außerhalb einsehbaren Büros jedenfalls bislang nicht beanstandet worden seien – obwohl dort Regenbogenflaggen hängen würden.

Der zweite Passus war erst im Dezember 2018 unter dem damaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble angefügt worden. Der Linken-Abgeordnete Michel Brandt hatte zuvor anlässlich eines Staatsbesuchs des türkischen Präsidenten Erdoğan auf DINA4-Papier gedruckte Abbildungen von Zeichen der kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG an die zur Straße gerichteten Fenster seiner Abgeordnetenräume geklebt.

Brandt befand sich zum Zeitpunkt nicht in seinem Büro. Die Bundestagspolizei verschaffte sich Zugang zu den Räumlichkeiten und nahm die Plakatierungen ab. Der Fall ging bis vor das Bundesverfassungsgericht, weil Brandt seine Rechte als Abgeordneter verletzt sah. Das Gericht stellte 2020 fest: Schäuble, dem die Bundestagspolizei untersteht, handelte rechtswidrig – auch weil die Beamten nicht versucht hatten, Rücksprache mit Brandt zu halten. Abgeordnete hätten das Recht, so Karlsruhe, ihre Büros „ohne Beeinträchtigungen durch Dritte“ zu nutzen.

Das Recht auf Öffentlichkeitsarbeit der Parteien werde nicht eingeschränkt, heißt es Schäubles Neuformulierung von 2018, „soweit eine Anbringung unmittelbar an der Bausubstanz, beispielsweise an Türen, Wänden oder Fenstern“, unterbleibe.

Verwaltung spricht von „üblichem Verfahren“

Laut Bundestagsverwaltung seien die aktuellen Vorfälle Routine. „Es handelt sich um ein übliches, seit Einführung im Jahr 2018 praktiziertes Verfahren zur Umsetzung der Regelung der Hausordnung“, teilte ein Sprecher auf taz-Anfrage mit. Einen Zusammenhang mit der neuen Hausleitung unter Präsidentin Klöckner gebe es nicht, ebenso wenig habe es neue Anweisungen gegeben.

Manche Abgeordnete nehmen im Bundestag dennoch ein verändertes Klima wahr. „Ich merke persönlich, wie sich der Wind im Parlament gedreht hat“, sagte die queerpolitische Sprecherin der Grünen, Nyke Slawik.

Auch die Linksfraktion sieht queere Vielfalt im aktuellen Klima grundsätzlich gefährdet. „Es geht um mehr als eine Flagge“, sagte die Linken-Fraktionschefin Heidi Reichinnek der taz. „Es geht um Sichtbarkeit von und Solidarität mit queeren Menschen.“ Die Gewalt gegen LGBT-Personen sei zuletzt „explosionsartig gestiegen.“ Sie fordert von der Bundesregierung mehr Engagement für queere Menschen – etwa im Bereich der Jugendarbeit.

Auch Slawik appelliert an die Union: CDU und CSU müssten „Farbe bekennen“, konkret durch Zustimmung zweier Vorlagen, die aktuell im Bundesrat liegen würden: einer Erweiterung des Diskriminierungsverbots in Artikel 3 des Grundgesetzes um die „sexuelle Identität“ und einer Reform des Familienrechts. Die Union solle aufhören, queerfeindlichen Ressentiments nachzueifern, so die Grünen-Abgeordnete weiter: „Es ist ein gefährliches Spiel mit dem Feuer und es spaltet die Gesellschaft.“

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2 Kommentare

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  • Gerade vor dem Hintergrund der Störungen von und Übergriffe auf Teilnehmer:innen CSD-Umzügen oder auch alltägliche Anfeindungen und Angriffen auf queere Menschen, halte ich das Verbot für völlig falsch.



    Es scheint sich um ein ähnliches Vorgehen wie das der Trump-Administration in den USA. Alles was nicht dem rechten Weltbild entspricht, soll gefälligst wieder unsichtbar werden.

  • "don't say gay"