piwik no script img

Veränderte Körper nach der GeburtYour Body is a Horrorland

Würden wir in einer besseren Welt leben, dann gäbe es für mindestens die ersten zwei Jahre nach der Geburt eine speziell bezahlte Nachsorge.

„Neun Monate kommt’s, neun Monate geht’s“ ist eine dreiste Lüge Foto: Panthermedia/imago

V or einigen Tagen habe ich gelesen, dass eine Momfluencerin auf Instagram dafür kritisiert wurde, dass sie jetzt „auch ständig“ Sport mache mit ihrer neuen Personal Trainerin. Dass andere – vermeintlich Mütter – darauf säuerlich reagierten, sich gar verraten fühlten, hat mich nachdenklich gemacht.

Denn ja, generell ist die online oft gepredigte „Body Positivity“ eine üble Sache und „Body Neutrality“, also die neutrale Einstellung dem Körper gegenüber, der realistischere Anspruch. Aber beides hat für mich nichts – aber auch gar nichts – mit dem zu tun, was Gebärende durchmachen.

Denn wer versucht, seinen postpartalen Körper in Form zu bringen, eifert meist gar keinem Schönheitsideal von einem Laufsteg hinterher, sondern dem eigenen Körper, der irgendwo nach einer oder mehreren Geburten verloren gegangen ist. Denn auch wenn sich eine Schwangerschaft über Monate zieht, verliert man seinen Körper gefühlt über Nacht. Während schwangere Körper meist bewundert werden, ist der verachtete „After-Baby-Body“ ein schlaffes, aufgedunsenes, geplagtes Etwas, mit einer Menge undichter Körperöffnungen.

Mehr als nur Dehnungsstreifen

Gesellschaftlich wird dieses Thema gern diskutiert, als ginge es nur um ein paar Dehnungsstreifen, die man putzig „Tigerstreifen“ nennen und bitte mit Stolz tragen solle. Doch viele Gebärende beschäftigt Monate und Jahre nach der Geburt noch ganz anderes: Rektusdiastase, also ein Spalt an der Bauchwand, Blasensenkung oder Gebärmuttersenkung. Harn-, Stuhl- oder Luftinkontinenz. Hormonstörungen, Krampfadern, Nährstoffmangel, Depression oder Angstzustände.

Kilos, die sich gar nicht mehr abschütteln lassen, schlaffe Brüste, Bauchhaut, wie ein benutzter Luftballon. Gelenkschmerzen, Haarausfall, trockene Haut. Für viele ist es ein plötzlicher, absoluter und oft andauernder Kontrollverlust über den Körper – der zu allen anderen Anstrengungen noch dazukommt.

Es hilft nicht, Leuten ein flapsiges „Neun Monate kommt’s, neun Monate geht’s“ an den Kopf zu werfen. Denn für viele ist es danach nicht vorbei, sie haben jahrelang, manche ein Leben lang, Schmerzen oder andere Beeinträchtigungen. Die meisten Ärz­t*in­nen sind dabei mehr Hürde als Hilfe. Dem Vorurteil, das sei alles normal und Mütter ließen sich oft einfach „zu sehr gehen“, ist in Arztpraxen nur mit Geld und Geduld zu entkommen. Sehr oft fehlt es offensichtlich an Ausbildung.

In einer besseren Welt gäbe es für mindestens die ersten zwei Jahre nach der Geburt eine spezielle bezahlte Nachsorge. Zentrale Teams einfühlsamer Ex­per­t*in­nen aus Gynäkologie, Urologie, Proktologie, Endokrinologie, Psychotherapie, Ernährungsberatung und Orthopädie. Und Krafttraining. Denn alles, was hier verschleppt wird, wird sich im Alter doppelt rächen. Seit ich vor sechs Jahren zum ersten Mal Mutter wurde, denke ich über diese Fahrlässigkeit nach, und ein Gedanke, der stets bleibt, ist: Wenn cis Männer gebären würden, gäbe es das alles längst.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Saskia Hödl
Autorin
Jahrgang 1985, ist freie Autorin in Wien und schreibt über Politik, Medien und Gesellschaft. Ehemalige taz panter Volontärin, taz eins Redakteurin und taz2&Medien Ressortleiterin.
Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Stimme - was bei ehna ja selten ist - grundsätzlich zum Vorschlag zu. But.

    Mit sidekick bei vier Geburten mit zwei Frauen einschl. Eileiterschwangerschaft & Totgeburt & 2x bei meiner ältesten - sag ich: Much all weesen. Aber.



    Welche Unterschiede - vor&nasciturus - dabei & achteran.

    kurz - Geburt ist der Balanceakt Leben oder Tod. Und regelmäßig mit körperlichen & psychischen Anstrengungen verbunden.



    Von außen kaum faßbar. Respekt.



    &



    Die Startkonstitution ist die halbe Miete - mindestens •



    Mal Zufälle - nicht rechtzeitig erkannte Risiken beiseite: Ein unklares Verhältnis zum eigenen Körper begünstigt nachhängende Folgen.

    kurz - Wer schon Schwierigkeiten hat Reistage einzuhalten - ist vllt auch eher nicht geneigt sich mit den unabwendbaren - aber höchst unterschiedlichen Geburtsfolgen auseinanderzusetzen.



    & nochens btw



    Ihre nicht enden wollenden Aufzählungen erinnern an den bekannten Witz “Mein Gott - wo hamse denn all die Krankheiten her?“



    “Aus dem Lexikon!“



    (entre nous but not only: meine bäuerliche Urgroßmutter verlor ihre vier Kinder an Diphterie. Sie bekam nochmal vier. Gewiß ein Eisenfuß.



    Meine Mutter*04 - nach TBC - vier Lungenschnitten & 1 Liter Luft & trotz Verbots - bei etlichen Fehlgeburten - *39/*45 zwei Kids. Ok “vorbeigelungener Junge“! - in den 20ern versierte Hockey-Spielerin. Ihre Enkelin von ähnlichem Kaliber.)

    Soweit mal - als cis-mann! Woll.



    Was immer mir das sagen soll. Gelle.

  • Hihi,



    "Wenn cis Männer gebären würden, gäbe es das alles längst"



    Man schaue sich den Körperbau, - pflege, -funktionen von cis- Männer an und man weiss, nee, die würden auch mit Gebärfunktion nichts ändern.

    Ansonsten bliebe noch alles Gute zu wünschen und zu fragen wieviel viele es denn betrifft "Denn für viele ist es danach nicht vorbei".



    Viele scheinen keine größeren Beschwerden zu haben und nennen ihren Stand nach der Geburt: "zur Zeit Mutter".

  • "Die meisten Ärz­t*in­nen sind dabei mehr Hürde als Hilfe. Dem Vorurteil, das sei alles normal und Mütter ließen sich oft einfach „zu sehr gehen“, ist in Arztpraxen nur mit Geld und Geduld zu entkommen."

    Leider ein gängiges Argumentationsmuster, wenn Ärzte keine Lösung haben oder sich nicht in Patientinnen oder auch Patienten hineinversetzen wollen. Leider..

  • Die Natur hat es nicht gut eingerichtet für Frauen diesbezüglich.



    All diese Nebenwirkungen werden lieber verschwiegen, sonst überlegt es sich manche vielleicht doch lieber nochmal...

  • Wenn cis Männer gebären würden, gäbe es das alles längst. Sicher???



    Die Lebenserwartung von Männern liegt knapp 5 Jahre unter der von Frauen, weil Männer gerade solche Angebote niemals annehmen würden.



    Und weil Männer das nie annehmen würden, halten sie es offensichtlich für Kokolores, und genau deswegen gibt es die Angebote auch nicht. Oder zumindest nicht selbstverständlich, sondern nur für diejenigen, die es sich leisten können.

    • @Herma Huhn:

      Doch doch, die Angebote gäbe es. Die Nachfrage wäre vielleicht nicht so groß, von wegen "starke Jungs weinen nicht!" (oder nur verschämt), aber die Medizin gäb's. Ähnlich wie mit Herz- und Psycho-Zeuchs - auf Männer zugeschnitten, wird nur nicht unbedingt wahrgenommen.

      • @Tetra Mint:

        Warum sollte ein Angebot gemacht werden, wenn alle Beteiligten wissen, dass niemand es annehmen wird?