Varoufakis in der Berliner Volksbühne: „Wir“ für Demokratie
Der große Varoufakis-Abend in der Berliner Volksbühne ist vorbei. Was bleibt, ist ein fragiles linkes Bündnis mit vielen Fragen.
Hunderte sind in die Berliner Volksbühne gekommen, um den Start der neuen europäischen Bewegung mitzuerleben, die der ehemalige griechische Finanzminister am Dienstagabend ins Leben rufen will. Auf der Bühne steht vor einem schwarzen Vorhang ein Redepult, an der Rückwand hängt ein großer Monitor, auf rotem Grund ist das Logo DiEM zu lesen. Es steht für „Democracy in Europe Movement 2025“, das ist der Name der neuen paneuropäischen Bewegung.
Im Saal wird es schon unruhig, da wird es dunkel. Ein ein dreieinhalbminütiger Videoclip beginnt. Flüchtlinge in einem Schlauchboot sind zu sehen, Trauernde nach den Anschlägen von Paris, Aufnahmen von Eurogruppen-Treffen während der Griechenland-Krise.
Zwischen die Bilder der ersten Garde der europäischen Politik von Angela Merkel und Wolfgang Schäuble bis zu EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und EZB-Chef Mario Draghi ist eine Spinne in ihrem Netz geschnitten. Dazu die Botschaft: „Nichts fürchten sie so sehr wie Demokratie.“
Die EU demokratisieren
Der Film ist zu Ende. Gianis Varoufakis betritt die Bühne. Applaus brandet auf. Griechenlands Kurzzeitfinanzminister trägt ein schwarzes Hemd, keine Krawatte und eine elegante Jacke. Er ist heute Hauptredner, Moderator, Regisseur. Das hier heute Abend ist sein Baby, daran lässt er keinen Moment einen Zweifel – auch wenn er noch ein paar Freundinnen und Freunde mitgebracht hat und oft von „wir“ redet.
„Wir richten uns an die, die nicht mehr an Politik glauben“, sagt er. „Wir wollen eine echte Demokratie“ und „Wir sind allergisch gegen den Mangel an Transparenz.“ Er hat eine Menge Leute eingeladen, die an diesem Abend auch oft „Wir“ sagen. Und trotzdem: Die vielen Einzelnen ergeben kein Ganzes.
Gianis Varoufakis
Zum Einstieg doziert Varoufakis gewohnt eloquent über die Voraussetzungen der neuen Bewegung – es ist eine Paraphrasierung des „Manifestes für die Demokratisierung Europas“, angereichert um ein paar Bonmots und Anekdoten. Und auch ein passendes Rosa-Luxemburg-Zitat darf nicht fehlen. Schließlich liegt die Volksbühne ja am Rosa-Luxemburg-Platz.
Seine Kernbotschaft: „Die EU muss demokratisiert werden, oder sie wird zerfallen!“ Varoufakis geißelt die tiefe Krise der EU, die fatalen Folgen der vorherrschenden Austeritätspolitik, das Versagen in der Flüchtlingskrise und den drohenden Rückfall in den Nationalismus, der Europa in den Dreißigerjahren schon einmal in den Abgrund geführt hat.
Osteuropa fehlt
Dagegen will der 54-Jährige eine „breite Koalition“ zur Rettung Europas schmieden. Eine Auswahl Gleichgesinnter hat er mitgebracht, eine ziemlich große. Ein schier endloser Redereigen spult sich in der Volksbühne ab. Zumindest von Veranstaltungsökonomie versteht Varoufakis offenkundig wenig. Angekündigt ist das Event für zwei Stunden. Doch er hätte wissen müssen, dass das nie und nimmer hinkommen kann.
Den Anfang macht Linkspartei-Chefin Katja Kipping: „Wir brauchen mehr Europa, nicht weniger, um die Fragen der Humanität zu lösen.“ Es folgen diverse Abgeordnete vom dänischen bis zum Europäischen Parlament. Der kroatische Philosoph Srećko Horvat ist ebenso mit dabei wie der britische Musiker Brian Eno, von dem auch die bedeutungsschwere Musik für den Videoclip stammt.
Dazu gibt es noch eine Reihe von Videobotschaften, angefangen vom US-amerikanischen Wirtschaftsprofessor James K. Galbraith über die grüne Ex-Ministerin Cécile Duflot aus Frankreich und Barcelonas Bürgermeisterin Ada Calau bis zum slowenischen Philosophen Slavoj Žižek. Der Digital-Rebell Julian Assange flimmert ebenfalls über die Leinwand. „Europa war ein Traum, den Europa verloren hat“, richtet der WikiLeaks-Gründer aus seinem Exil in der ecuadorianischen Botschaft in London aus.
Aus dem Süden, dem Norden, dem Westen und der Mitte Europas hat Varoufakis MitstreiterInnen um sich scharen können. Nur der Osten ist arg dünn besetzt. Hat sich in nationalistisch aufgeheizten Ländern wie Ungarn und Polen niemand finden lassen, der von links um das europäische Projekt kämpft?
Es dauert und dauert
Fast alle Reden werden auf Englisch gehalten, was nicht immer gut ist. Nicht nur Katja Kipping klingt hölzern. Wirkliche Begeisterung kommt nicht auf. Einzig der Europaabgeordnete Miguel Urbán Crespo von Podemos spricht lieber in seiner Muttersprache. „Es gibt das Europa der Institutionen und das von unten, das sich erhebt, um solidarisch mit Flüchtlingen und Bedürftigen zu sein“, ruft der etwas pummelige Mann mit dem Vollbart und der Nerdbrille auf Spanisch in den Saal.
Kontroversen werden heute Abend nicht ausgetragen. So findet die auch innerhalb der Linken umstrittene Eurofrage mit keinem Wort Erwähnung. Spannend wäre auch, was der IG-Metall-Vorständler Hans-Jürgen Urban von einem bedingungslosen Grundeinkommen in Europa hält, das sowohl Linkspartei-Chefin Kipping als auch Caroline Lucas, die einzige grüne Abgeordnete im britischen Unterhaus, fordern.
Stattdessen lobt der Gewerkschafter die „vielen Gemeinsamkeiten zwischen unseren Aktivitäten und dem Manifest von DiEM“. Das Publikum spendet artig Applaus. „Wie können wir heterogen sein, aber nicht zersplittert?“, fragt die deutsche Blockupy-Aktivistin Anna Stiede. Eine überzeugende Antwort bekommt sie nicht. Die RednerInnen beziehen sich kaum aufeinander, jedeR spult mal mehr, mal weniger kämpferisch das vorbereitete Statement ab. Es dauert und dauert.
Um 23.30 Uhr wird es doch noch einmal spannend. Der Saal hat sich bereits zur Hälfte geleert, da bittet Varoufakis Gesine Schwan von der ersten Sitzreihe herauf auf die Bühne. Es ist kein geplanter Auftritt, denn die zweimalige SPD-Kandidatin für das BundespräsidentInnenamt gehört nicht zu den UnterstützerInnen seiner neuen Bewegung.
Überraschender Auftritt von Gesine Schwan
Aber die beiden sind seit der Griechenlandkrise freundschaftlich verbunden. Denn Schwan war die einzige vernehmbare sozialdemokratische Stimme, die öffentlich den Kurs der Syriza-Regierung und von Varoufakis unterstützt hatte. „Wir haben wirklich gemeinsam gekämpft im Sommer“, sagt sie. Gerne hätte Varoufakis sie auch jetzt wieder dabei gehabt. Doch sie will nicht. Ihre Ziele seien zwar durchaus gleich. Aber bei aller berechtigten Kritik an undemokratischen Prozessen halte sie es für falsch, die EU-Bürokratie zur Wurzel allen Übels zu erklären, sagt Schwan.
„Demokratie wurde von Bürokratie ersetzt, aber als Prozess politischer Entscheidungsfindung“, sagt die Politikwissenschaftlerin. Nicht die EU-Institutionen seien es, die den Neoliberalismus hervorgebracht hätten, sondern die politische Mehrheit in den EU-Ländern. „Die muss geändert werden.“
Gleichwohl lobt die Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission den Enthusiasmus und die Energie, „die sich hier gerade entfaltet“. Sie sei eine zwar eine eingefleischte Reformerin, aber sie wisse auch: „Die Reformer alleine werden überhaupt nichts erreichen.“ Sie bräuchten „eine radikale Bewegung“ im Rücken. Das sei ihre „Erfahrung mit Politik“.
Es ist spät geworden. Varoufakis hat noch ein letztes Bonmot: Er erinnere sich an einen Ausspruch Oskar Wildes, nachdem der Sozialismus daran scheitere, dass die Sitzungen zu lange dauerten. Um zehn Minuten nach Mitternacht wünscht er den noch Verbliebenen eine gute Nacht. Von Gesine Schwan verabschiedet er sich mit einer herzlichen Umarmung.
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