piwik no script img

VW-Blockade vor GerichtAutobauer sieht sich genötigt

24 Stunden lang hat er einen Zug voller Neuwagen aufgehalten: Dafür soll sich ein Aktivist in Braunschweig verantworten.

Am Gleis angekettet: Protestaktion gegen neue Vokswagen im August 2019 Foto: Bodo Marks/dpa

Hamburg taz | Die Protestaktion dauerte 24 Stunden: Am 13. August 2019 blockierten Klima-Aktivist*innen am Wolfsburger VW-Werk einen Zug mit knapp 200 Neuwagen. Sechs junge Leute ketteten sich an die Gleise an, vier weitere seilten sich von einer Eisenbahnbrücke ab und hingen über dem Mittellandkanal.

Gegen einen der vermeintlich beteiligten Männer verhandelt am Dienstag das Wolfsburger Amtsgericht. Im ersten Strafprozess in dieser Causa geht es um den Vorwurf der Nötigung.

Unterstützer*innen halten dagegen: Zum einen liefere die Anklageschrift keine Anhaltspunkte dafür, wann und wie der Beschuldigte sich an der Blockade beteiligt haben soll. Zweitens sehen sie den Protest vom August durch den Paragrafen 34 des Strafgesetzbuchs gedeckt.

Darin heißt es: „Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig“, wenn „das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt“.

Für die Unterstützer*innen ist es keine Frage: Autos bedrohen das Klima, rauben Flächen und Lebensqualität, verpesten die Luft durch Abgase und Reifenabrieb, verbrauchten in Herstellung und Betrieb riesige Rohstoffmengen und stehen einer Verkehrswende im Weg. „Direkte Aktion ist nicht alles, aber ohne sie ist alles nichts – die Aktion bei VW war nötig!“, heißt es in der Erklärung.

Direkte Aktion ist nicht alles, aber ohne sie ist alles nichts – die Aktion bei VW war nötig!

Erklärung der Prozessgruppe

„Wir werden nachweisen, dass das Land Niedersachsen, die Bundesregierung und die Autokonzerne jahrelang rücksichtslos auf Gewinn gewirtschaftet haben“, kündigt die Prozessgruppe an. Dazu wollen sie über die Verteidigung auch die Verantwortlichen aus Politik und Wirtschaft vorladen lassen: „Unser Ziel ist ein Freispruch, weil auf andere Art der Klimakollaps und der weitere Tod der Innenstädte nicht verhindert werden kann.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • Mensch könnte mal alle Wartezeiten an Ampeln zusammenrechnen, die die Nichtmotorisierten warten müssen.



    ich solidarisiere mich mit den Blockierer_:innen

  • Ich nehmen mal an es handelt sich bei den Gleisen um einen Privatanschluss von VW? Den noetigen kann man auf Schienenwegen ja eigentlich nur den Betreiber, nicht den Kunden des Betreibers?

    Interessant ist auch dass im anderen Artikel steht das laut VW-Sprecher die Aktion "keine Auswirkungen auf Produktion und Auslieferungen von Fahrzeugen gehabt" haette. Wobei sich dann die Frage stellt wieso es denn eigentlich eine Noetigung ist und nicht einfach nur eine unangemeldete aber trotzdem absolut legimtime Demonstration.

    Ich hoffe also dass es nur die Aktivisten sind die von Paragraph 34 quatschen, und deren Anwaelte einfach nur Stueck fuer Stueck die Anklage auseinander nehmen.

  • Ich weiss ja nicht, wie das juristisch ausgehen wird. Aber moralisch -- moralisch steht Ihr auf der falschen Seite, VW.

    Wie könnt Ihr es wagen, nachdem Ihr mit Eurer Katalysator-Abschalteinrichtung die ganze Welt verarscht habt, überhaupt noch vor Gericht zu ziehen?

    Ihr solltet in die Ecke und Euch was schämen. Das solltet Ihr.

    • @tomás zerolo:

      Es ist ein Strafprozess. Da hat VW genau gar nichts mit zu tun.

      • @DerSchlaumeier:

        Formaljuristisch korrekt. In der schmutzigen Realität jedoch...

        Und moralisch erst.

        VW abwracken!

  • Sicher wäre Paragraph 34 anwendbar,da ja nachweislich Auto fahren immense Umweltschäden verursacht.



    Zeit umzudenken,neue Verkehrskonzepte müssen her und nicht wieder eine Abwrack oder Kaufprämie auf Kosten der Umwelt und unser aller Zukunft.



    Zeit aufzuwachen und zu handeln.

  • Falls da wer nicht weiß, was mit Direkter Aktion gemeint ist und was für ein ideepolitischer Hintergrund dahintersteckt:



    Es ist der Ansatz, Ungerechtigkeit/aus der Sicht der Aktivist*innen Negatives mit Aktionen direkt zu verhindern, Alternativen zu schaffen bzw. in zweiter Ebene auf diese aufmerksam zu machen. Hier ist es die Blockade eines Zuges mit Neuwagen. Bezüglich Gorleben ist es ein regelmäßiges Mittel gewesen, CASTOR-Transporte zu blockieren. In einem anderen Kontext wie des Arbeitskampfes kann die direkte Aktion aber auch der Streik sein oder auch eine Hausbesetzung um Wohnraum zu schaffen. Im Zitat des Artikels wird die Notwendigkeit für direkten Widerstand genannt, gleichberechtigte Protestform neben Demonstrationen bspw.. Die Aktionen stehen im Zeichen der Selbstermächtigung und ist eine grundlegende Aktionsform des Anarchismus.



    de.wikipedia.org/wiki/Direkte_Aktion

  • Ich spiele mal Richter.



    Die in Anspruchnahme des Paragraphen 34 wegen einer fernen Möglichkeit der Katastrophe des Klimawandels in Abwägung gegen die durch den Protest verursachten Verluste, Schäden und Gefahren ist nicht verhältnismäßig. Daher kann Paragraph 34 nicht angewendet werden.

    • @danny schneider:

      Warum ist das nicht verhältnismässig? Haben Sie da Zahlen?



      Darf der Gewinn eines Unternehmens gegen die Gesundheit und das Leben von Millionen Menschen aufgerechnet werden? Und gegen volkswirtschaftliche Schäden durch Klimaverschlechterung für Landwirtschaft und Starkwetterkatastophen bis hin zu Flüchtlingsbewegungen auch in unser Land hinein?



      Oder wollen Sie entgegen tausender Wissenschaftler und renommierter Institute behaupten, "das kommt bestimmt alles nicht, das ist nur Hysterie"?

      Ich bin mir sicher, wenn man alle Kosten halbwegs realistisch auf die Waage legt, was da herauskommt.