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Urteil zu BaumbesetzungKlimaschutz schlägt Eigentum

In Flensburg wurde ein Waldbesetzer vom Vorwurf des Hausfriedensbruchs freigesprochen. Die Richterin beruft sich auf die Verfassung.

„Angemessenes Mittel“: Der erste Besetzer des Bahnhofswaldes wurde freigesprochen Foto: Benjamin Nolte/dpa

Flensburg taz | Klimaschutzziele wiegen schwerer als das Eigentumsrecht: Das Amtsgericht Flensburg sprach einen 41-Jährigen frei, dem Hausfriedensbruch vorgeworfen wurde. Der Flensburger war an der Besetzung des dortigen Bahnhofswaldes beteiligt, der im Februar 2021 entgegen anderen Zusagen und ohne Genehmigung gefällt wurde.

Örtliche Investoren wollen auf dem Grundstück ein Hotel errichten. Die Besetzergruppe berief sich auf die Bedeutung des Mini-Waldes für das Stadtklima. Im Prozess ging es um eine vergleichsweise niedrige Geldstrafe. Den Vorschlag, das Verfahren einzustellen, lehnte die Staatsanwalt jedoch ab: Es bestehe öffentliches Interesse an der Strafverfolgung. Einen Notstand aufgrund des Klimawandels erkannte er nicht. Die Richterin sah das anders.

„Wenn ein Mensch auf einem Baum sitzt, riskiert er sein Leben, um auf etwas hinzuweisen“, sagte der Angeklagte. Es handele sich um ein „letztes Mittel“, nachdem alle anderen Protestformen ausgereizt seien.

Die Besetzung des Bahnhofswäldchens hatte von Oktober 2020 bis Februar 2021 gedauert, einige Ak­ti­vis­t*in­nen hatten wochenlang in selbst gebauten Unterständen in den Bäumen campiert. Im Februar knatterten trotz Corona-Auflagen die Motorsägen: Die Firma Jara Immobilien, hinter der die Flensburger Geschäftsleute Jan Duschkewitz und Ralf Hansen stehen, hatte einen Räumtrupp beauftragt, der ohne behördliche Genehmigung Stämme ansägte. Die beschädigten Bäume mussten wenige Tage später gefällt werden.

Immer noch Baustopp

Bis heute wird auf dem Grundstück nicht gebaut. Aktuell verhindert eine Klage des BUND weitere Maßnahmen. Die Umweltorganisation kämpft für den Erhalt einer Quelle auf dem Gelände. Im Juli hatten die Investoren trotz des schwebenden Verfahrens die Bagger anrollen lassen, das Oberverwaltungsgericht Schleswig stoppte die Arbeiten.

Im jetzigen Flensburger Prozess erklärte der Angeklagte, der sich in der Ratsversammlung in der Fraktion „Bündnis solidarische Stadt“ engagiert, er würde auf keinen Fall eine Geldstrafe zahlen, sondern würde ersatzweise ins Gefängnis gehen. Auf den Vorschlag der Richterin, den Vorwurf fallen zu lassen, ließ sich der Staatsanwalt nicht ein. Der Angeklagte sei auf das „umfriedete Grundstück“ eingedrungen, ohne „ein begründetes Recht, es zu betreten“, nur mit dem Ziel, die Rodung zu verhindern, so der Anklagevertreter.

Ein Polizeivideo, das das Gericht vorführen ließ, zeigte eine Gestalt, die sich am Tag der Rodung von einem Baum zum anderen hangelte, zu hören ist eine Stimme, die dazu auffordert, den Baum zu verlassen. Doch diese Person sei gar nicht der Angeklagte, erklärte dessen Verteidiger Alexander Hoffmann. Er widersprach der Sichtweise, dass es sich um Hausfriedensbruch gehandelt habe. Denn das Grundstück sei vor dem Tag der ungenehmigten Räumung nicht umzäunt gewesen, auch führte ein Trampelpfad hinein.

Auf den Antrag des Staatsanwalts, den Angeklagten mit 15 Tagessätzen à zehn Euro zu bestrafen, griff Hoffmann tief in die Historie: „Der Gedanke, man dürfe nichts außer dem ausdrücklich Erlaubten, ist von Obrigkeitsstaatsdenken geprägt. Auch das Reichsgericht erklärte eine niedrige Mauer zu einer Einfriedung, um einen Gewerkschafter zu verurteilen, der eine Rede in Hörweite zur Fabrik hielt.“ Das sei in den 1920er Jahren gewesen, auch damals ging es um Hausfriedensbruch. „Diese Art von Rechtsprechung wird immer erst in nächster Dekade überprüft und gerügt.“

Früher hätte ich gesagt, dass der Staat das Klimaschutzziel von selbst verfolgt, aber im Jahr 2021 lässt sich das nicht halten

Britta Buchenau, Amtsrichterin in Flensburg

Die Baumbesetzung sei eine „geringfügige Regelüberschreitung gewesen, die eine Debatte in der Stadt ausgelöst hat. Die Demokratie wünscht sich solche Diskussionen, wir müssen sie führen in einer komplizierten Welt“, sagte Hoffmann.

In seinem Schlusswort erinnerte der Angeklagte an den Beginn der Räumung, bei der Bäume angesägt wurden, um die spätere Rodung zu erzwingen: „Das war mehr als fahrlässig – hätte sich eine der Baum­be­set­ze­r*in­nen auf einer der Seilverbindungen aufgehalten, hätte dies schnell tödlich enden können.“ Doch alle Anzeigen gegen die nicht genehmigte Räumung habe die Staatsanwaltschaft abgewiesen. Stattdessen seien die Anzeigen wegen Hausfriedensbruchs aufrechterhalten worden.

„Ich frage mich, was geht im Kopf einer Staatsanwaltschaft vor, wenn Sie Notwehr auf Seiten der Investoren erkennen, aber keinen Notstand beim Klima. Wo ist die Verhältnismäßigkeit?“, fragte der 41-Jährige. „Denken Sie daran, welches Signal Sie damit senden.“

Ein Signal sandte das Gericht mit sehr strengen Sicherheitsauflagen vor dem Prozess. Die rund zwei Dutzend Unterstützer*innen, die den Angeklagten begleiteten, mussten eine Sicherheitsschleuse passieren, ihre Personalausweise wurden kopiert und zahlreiche Gegenstände ihnen abgenommen. „Stift und Papier, das steht jedem zu, mehr nicht“, sagte ein Justizbeamter auf taz-Anfrage.

Gesucht werde nach Transparenten und Trillerpfeifen: „Der Prozess soll ordnungsgemäß ablaufen.“ Die gesammelten Daten würden nach 24 Stunden gelöscht. Die Durchsuchung dauerte so lange, dass das Verfahren mit fast einer Stunde Verspätung begann. Juli, eine der Prozessbeobachter*innen, kommentierte: „Das zeigt, auf welcher Seite der Staatsapparat steht.“

Jubel im Gericht

Um so lautstärker war der Jubel und Beifall im Gerichtssaal, als Richterin Britta Buchenau den Freispruch verkündete. „Ich sehe den Hausfriedensbruch als erwiesen an, und es war klar, dass der Eigentümer nicht wollte, dass man sich dort aufhält“, sagte sie. Ausschlaggebend sei aber das Verfassungsgerichtsurteil, das Klimaschutz den Rang eines Staatsziels gegeben hat.

„Früher hätte ich gesagt, dass der Staat das Klimaschutzziel von selbst verfolgt, aber im Jahr 2021 lässt sich das nicht halten“, sagte Buchenau. Der innerstädtische Wald sei ein von der Verfassung geschütztes Biotop. Das Ziel des Angeklagten, diesen Wald zu schützen, wiege schwerer als das Interesse der Investoren. „Man hätte mit der Rodung warten müssen. Es war ein angemessenes Mittel, im Baum zu sitzen.“

Die Staatsanwaltschaft hat nun eine Woche Zeit, Einspruch zu erheben oder das Urteil anzuerkennen. Ein zweiter Prozess gegen einen Aktivisten, der ebenfalls wegen Hausfriedensbruchs angeklagt ist, wurde verschoben.

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22 Kommentare

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  • 6G
    650228 (Profil gelöscht)

    Das Urteil beweist eindrucksvoll, wie wichtig es ist, dass viel mehr Klimaschützer Jura studieren und in die Justiz gehen sollten. Denn der Umstand, dass man fast alles juristisch korrekt begründen kann, ist ein mächtiger Hebel.

    • @650228 (Profil gelöscht):

      Das Urteil beweist eher eindrucksvoll, dass sich RichterInnen nicht von ihrer politischen Überzeugung leiten lassen sollten (das hatten wir in Deutschland schon mal), sondern das geltenden Recht unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Anwendung bringen.

  • "Ausschlaggebend sei aber das Verfassungsgerichtsurteil, das Klimaschutz den Rang eines Staatsziels gegeben hat." Ok, soweit so gut. Was aber ist als Klimaschutz definiert bzw. was sind dann Aktionen gegen Klimaschutz? Einen Baum fällen, Autofahren mit Verbrenner, Skifahren, Kaminfeuer, nicht sauber Müll trennen ?? Für mich sind das Fakten gegen einen schwammigen Oberbegriff. Leider ! Wald gegen Hotel geht nicht, aber wiederspricht es dem Klimaschutz? Hundert Bäume binden ca. 1200 kg CO2, also ein Stadtwäldchen macht da jetzt nicht die große Nummer...

    • @maestroblanco:

      Siehe Text - "Stadtklima". Außerdem, ab welcher Größe macht ein Wald denn "die große Nummer"? Kleinvieh macht übrigens auch Mist...

      Ums nochmal zu betonen: die Rodung fand OHNE Genehmigung statt. Vielleicht sollte man mal besser auf diesem Punkt rumreiten anstatt zu philosophieren "Wann ist ein Wald ein Wald"..

  • Ich frage mich gerade, wie es sein kann, dass i'wer ohne Genehmigung Bäume fällt und die Polizei nichts dagegen unternimmt.

    Wenn Mensch mal etwas zu nah an einer Kreuzung parkt oder mal mit einem Rad auf dem Gehweg steht ist "Dein Freund und Helfer" ruck zuck zur Stelle und das Auto ist am Haken.

    Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

  • 6G
    659554 (Profil gelöscht)

    Na endlich... In your face möchte man da denjenigen Kommentatoren zurufen, die auf diesen Seiten angesichts der Klimaproteste von Sachbeschädigung, Nötigung u. dgl. faseln.

  • Das Urteil stimmt nicht mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung überein.

    Sogenannte Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe müssen unmittelbar wirken, was im vorliegenden Fall nicht gegeben ist. Fernziele dürfen hingegen nicht beachtet werden.

    Daher wird das Urteil in der nächsten Instanz kassiert werden. Das wird auch die Richterin wissen.

    Mit der Argumentation der Richterin wäre jede Straftat straffrei, wenn und soweit das Ziel nur dem Klimaschutz dient. Da sind meiner Phantasie keine Grenzen gesetzt.

    • @DiMa:

      Wie sagte ich unlängst meinem Vermieter wg Jura “…ja - versucht haben das viele!“



      (Wisse - Wie die Robe auf die III. Gewalt kam & Däh schon im alten Rom - gab es Juristen wie Sand am Meer & die meisten verdienten nicht das Salz Brot &!zerschlissen traten sie auf! Sodaß in alle Ewigkeit verfügt ist: “Es sei eine xtraToga zum Bedecken des Zerschlissenen überzuwerfen!“



      So geht das © Kurt Vonnegut - bis heute!



      “Sei vorsichtig, was du vorgibst zu sein, denn du bist, was du vorgibst zu sein.“



      Wohl wahr

    • @DiMa:

      Wie schnell Sie es sich in Ihrer selektiven Wahrnehmung bequem machen! Die Richterin sagte auch(!), und das wollen Sie einfach nicht wahrhaben, dass Sie ein Abwägung der Verhältnismäßigkeit vorgenommen hat. Und erst nach dieser Abwägung kommt sie zu dem Schluss, dass die Aktion, obwohl illegal, straffrei bleibt.

      Es ist nicht jedes Mittel recht. Aber wenn es ein Rechtsgut gibt, dann muss es auch Optionen geben, dieses Gut zu verteidigen. Erstmalig wurde für den Klimaschutz auch das persönliche Handeln als Option anerkannt. Ob das höchstrichterlich Bestand haben wird, da gebe ich Ihnen recht, muss erst noch herausgefunden werden.

      • @nanymouso:

        Wir werden sicherlich sehen, wie die nächste Instanz entscheiden wird. Wie gesagt, höchstrichterlich sind das ausgetretene Pfade und die Staatsanwaltschaft wird das Urteil in dieser Form ganz sicher nicht auf sich beruhen lassen.

        Ein sogenannter Klimanotstand ist im Strafrecht halt kein anerkannter Entschuldigungsgrund. Angesichts der fehlenden Unmittelbarkeit ist das auch gut so.

        • @DiMa:

          btw - einfach mal versuchen - um die Ecke zu denken - wenigstens versuchen!



          Dank im Voraus.



          Das gilt & zwar schon immer - auch im Rahmen von Recht&Gesetz! Woll.



          &



          Wennse schon mit meinen Einwürfen nichts anfangen können - dann stöbers doch mal bei Thomas Fischer - in irgendeinem Beitrag hat er mal aufgezeigt was mal Recht war & was nicht!



          Mein Lieblingsbonmot “Das Privileg der sog h.M. ist cum grano salis - mal Mindermeinung gewesen zu sein & es regelmäßig auch wieder zu werden!“



          (© 🤫 Lovando;) & das nach gut 30 Jahren als Richter & gut 50 Jährchen jus!



          RepetitorVolljuristen braucht niemand •

          kurz - “Recht ist in die Zeit hin offen!“



          Und frauman kann es gleich “richtig“ machen & nicht erst auf Karlsruhe EuGH & EMRK zu warten!



          Und genau das - hat sich die Richterin vom AG Flensburg - die Sie - da hat Naymuso völlig recht - komplett nicht verstanden haben - sich auch gedacht!



          Chapeau

      • @nanymouso:

        Ja. Denken nützt •

  • Einen Wald abholzen für ein Hotel?? Geht's noch? Das ist echt sowas von 90er. Das darf wirklich in Deutschland nicht mehr passieren.

    • @Nobodys Hero:

      Aber Wälder abholzen für größenwahnsinnige Milliardäre die E -Autos bauen wollen ist 2020er ??

      • @Günter Witte:

        Nein, Wälder abholzen muss generell tabu sein!

  • Bemerkenswert

  • Amtsgericht. Wird wahrscheinlich kassiert.

    Die rechtliche Bewertung des Angeklagten bzgl. Notwehr ist einfach falsch. Klimanotstand ist juristisch keine Größe, auch die indirekte Ableitung einer vermeintlichen situativen Notstands liegt nicht vor (Verweise hier auf den allgemeinen Gesetzgebungsprozess). Notwehr ist aber sehr wohl zur Rechtsdurchsetzung legal…

  • gut so

    • @Friderike Graebert:

      anschließe mich - erst feine Seide a Lyon - jetzt Flensburg - 🍹 - das wird. Liggers.

    • @Friderike Graebert:

      Das wird aber nicht Bestand haben. Ein ähnlicher Fall gab es in der Schweiz.

      • @resto:

        Ach wissense - mein RA-Freund - REW-Kläger -🥂 & unlängst - als wir uns aus Interesse in der Welt der §§ rumzutreiben:“Wennste da mit dem Grundgesetz - unserer Verfassung um die Ecke kamst - hieß es schnell “Geh doch rüber!“ - das gab sich zB nach der Brockdorf-Entscheidung auch in Richterkreisen ein wenig. But.



        Schlimmer geht immer - wa!



        Remember Volkszählung!



        Da durfte ich mir von meinem klein Napoleon SPezialDemokraten Kollegen Vorsitzenden“…auch ein Richter hat sich an Recht&Gesetz zu halten!“ anhören!



        & Däh! Get it? Fein.



        Und wiese ja darob zum vxxlten gerade wieder uns IM Faency Nancy krachend in die Tischkante beißen hören konnten!



        Hatte BE Papa Heußner schonn recht!



        “Graben ums BVerfGericht? Ok. Aber nur mit 🐊 🐊🐊🐊🐊 - 🙀🥳 -



        Wartemers also mal! Mit Hobo Bob 🎶



        The Times They Are A-Changin'



        m.youtube.com/watch?v=90WD_ats6eE

        • @Lowandorder:

          Sorry wg Hobo Bob zu schnell

          I FORGOT!



          DAMALS HAT NIEMAND!! - AUF EINEN POSITIVEN - GAR DERARTIGEN AUSGANG - DIESES VON ZWEI BEHERZTEN ANWÄLTINNEN DURCHGEZOGENEN VERFAHRENS!



          AUCH NUR EINEN MÜDEN FARTHING GEWETTET •