Urteil im Bataclan-Prozess in Frankreich: Höchststrafe für die Attentäter
Nach 140 Verhandlungstagen wird der überlebende Haupttäter der islamistischen Anschläge in Paris 2015 zu lebenslanger Haft verurteilt.
Der 32-Jährige gilt als einziger Überlebender des damaligen Terrorkommandos. Von den insgesamt 20 Angeklagten wurden 19 in allen Punkten schuldig gesprochen. Das Strafmaß reicht von zwei Jahren bis lebenslang.
Die Urteilsverkündung des Schwurgerichts im Pariser Justizpalast verzögerte sich bis in den Abend. Deshalb verzichtete der Vorsitzende Richter Jean-Louis Périès schließlich darauf, die 120 Seiten des Urteils vollständig zu verlesen. Die Angeklagten verfolgten die Begründung mit ernsten Gesichtern. Périès listete in schnellen Tempo auf, weshalb das Gericht praktisch alle Anschuldigungen für bewiesen hält.
In den Prozess war an mehr als 140 Verhandlungstagen die Anschlagsserie vom 13. November 2015 aufgerollt worden. An jenem Abend hatten islamistische Extremisten binnen weniger Stunden 130 Menschen getötet und 350 weitere verletzt. Sie richteten am Abend ein Massaker im Konzertsaal „Bataclan“ an und verbreiteten ihren Terror auch in Bars und Restaurants. Zudem sprengten sich drei Selbstmordattentäter während eines Fußball-Länderspiels zwischen Deutschland und Frankreich am Stade de France in die Luft.
Liebesbekenntnis für den Islamischen Staat
Die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) reklamierte die Anschläge für sich. Die meisten Attentäter sprengten sich bei den Anschlägen selbst in die Luft. Einer wurde noch am Abend von der Polizei erschossen. Weitere starben bei einem Polizeieinsatz wenige Tage später. Die meiste Aufmerksamkeit lag im Prozess auf Abdeslam, dessen Sprengstoffgürtel nicht funktioniert hatte. Er wurde erst nach monatelanger Flucht in Brüssel gefasst.
Die Anklage sah in dem Franzosen eine Schlüsselfigur der Anschläge. Sein älterer Bruder Brahim gehörte zu den Attentätern, die sich in einer Bar in die Luft sprengten. Die beiden waren in der Brüsseler Gemeinde Molenbeek aufgewachsen, die als Rückzugsort radikaler Islamisten bekannt ist. Salah Abdeslam arbeitete als Mechaniker, hatte Aushilfsjobs und kam 2011 wegen versuchten Diebstahls in Haft.
Im Prozess schob er die Verantwortung für die Pariser Anschläge auf die französische Politik. Fragen beantwortete er nur teilweise, beschwerte sich über die Haftbedingungen und glorifizierte den IS. Er gab sogar ein Liebesbekenntnis zu der Terrororganisation ab.
Von den weiteren 19 Angeklagten wurde sechsen der Prozess in Abwesenheit gemacht. Einer von ihnen ist in der Türkei inhaftiert, fünf starben wohl in Syrien. Die Männer sollen Papiere besorgt haben, Abdeslam außer Landes gefahren haben oder verhinderte Attentäter sein.
Die seelischen Wunden bleiben
Die Anschläge haben Frankreich nachhaltig verändert. Vielen galten sie als Angriff auf die französische Lebensart. Im Gegensatz zu früheren Anschlägen gegen bestimmte Berufsgruppen oder Konfessionen schien nach dieser Terrornacht niemand mehr sicher. Nach Überzeugung der Anklage war es den Extremisten egal, wen sie töteten. In Frankreich hatten sich viele vom Prozess Antworten der Beschuldigten und teils auch der Politik erhofft. Ein wesentlicher Erkenntnisgewinn blieb aber aus. Zu Drahtziehern und Plänen der Terrormiliz gaben die Angeklagten keine Auskunft.
Entsprechend groß dürften Frust und Enttäuschung besonders bei Überlebenden und Angehörigen sein. Über Wochen hinweg ließen Hunderte von ihnen in dem speziell für den Prozess angefertigten Gerichtssaal die Terrornacht wieder aufleben und berichteten von körperlichen und seelischen Wunden. Ihre Erwartungen konnte der Prozess nur teils befriedigen.
„Der Schmerz ist da. Er wird nicht gemindert. Ich werde untröstlich sein“, sagte der für den gesamten Prozess aus Algerien angereiste Vater eines getöteten jungen Mannes dem Sender France 2. Der von einem Attentäter querschnittsgelähmte Bilal Mokono sagte: „Wenn wir auf die Anklagebank schauen, sehen wir diese jungen Leute, diese sehr jungen Leute, die wie unsere Kinder aussehen.“ Man frage sich: „Warum, warum, warum? Was haben wir übersehen, dass die Dinge so aus dem Ruder laufen?“
Einen gewissen Fortschritt sieht Aurélie Silvestre, die damals ihren Partner verlor. „Die Frau, die ich wirklich war, ist in der Nacht des 13. November explodiert“, sagte sie der Zeitung „Libération“. „Sechs Jahre lang hatte ich das Gefühl, die kleinen Teile von mir aufzusammeln. Mit dem Prozess habe ich diese Trümmer zusammengesetzt und die Frau, die ich vorher war, neu geschaffen und wiederbelebt.“
Zum Abschluss des Prozesses kündigte der Opferhilfeverein „Life vor Paris“ an, sich zum zehnten Jahrestag der Anschläge aufzulösen – also 2025. Der Verein teilte mit: „Das Ende des Prozesses muss auch den Beginn eines „Danach“ markieren, auf das wir alle hoffen. Auch wenn wir dessen Form noch nicht kennen.“
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