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Unterbundene Buchdiskussion in IsraelGedankenpolizei am Werk

Jannis Hagmann
Kommentar von Jannis Hagmann

Die umstrittene Buchdiskussion in Tel Aviv ist abgesagt worden – nach staatlicher Intervention. Das ist der eigentliche Skandal.

Pa­läs­ti­nen­se­r:in­nen auf der Flucht Richtung Libanon 1948 nach der Staatsgründung Israels Foto: Israeli Government Press Office/epa

D ie Buchdiskussion, die das Goethe-Institut und die Rosa-Luxemburg-Stiftung in Israel geplant hatten, ist bis auf Weiteres abgesagt. Man muss sich das vor Augen führen: Hier wird – nach staatlicher Intervention seitens der israelischen Regierung und anderer Akteure in Deutschland – gezielt eine Diskussion über ein kritisches Buch unterbunden.

Dies ist der eigentliche Skandal. Denn niemand dürfte wirklich wie behauptet im Sinn gehabt haben, auf der Veranstaltung den Holocaust mit der Nakba, also der Flucht und Vertreibung von Ara­be­r*in­nen aus Palästina, zu vergleichen oder gar gleichzusetzen.

Das Buch der Autorin Charlotte Wiedemann ist keine Hetzschrift, sondern der Versuch, eine differenzierte Debatte über Erinnerungskultur zu führen. Dabei macht sie sich – übrigens eher am Rande – auch Gedanken über den Nahostkonflikt und die Position von Deutsch-Palästinenser*innen in einer Gedenkkultur, in der der nationalsozialistische Judenmord zu Recht eine zentrale Stellung einnimmt.

Doch die Frage, wie sich Gedenkkulturen Erfahrungen von Menschen öffnen können, die in ihrem Gepäck das Erbe kolonialer Gräueltaten oder auch das der Vertreibung aus Palästina tragen, hat Kräfte auf den Plan gerufen, die eben jenen Stimmen keinen Platz einräumen wollen. Wessen Großeltern einst aus Haifa, Jaffa oder Deir Jassin vertrieben wurden, möge weiter schweigen!

Der ursprüngliche Termin der Podiumsdiskussion, der Jahrestag der Novemberpogrome, war unklug gewählt. Allerdings gilt auch hier: Es sollte um das komplexe Thema Erinnerungskulturen gehen. An keiner Stelle sollte die Nakba mit dem Holocaust gleichgesetzt werden. Wer das behauptet, verkürzt die Debatte bewusst, um andere zum Schweigen zu bringen. Es ist kein Zufall, dass die Bild-Zeitung eine angebliche „Holocaust-Verharmlosung“ skandalisierte, aber den Gegenstand der Debatte, das Buch, mit nicht einem einzigen Wort erwähnte.

Festzuhalten bleibt: Es ging um den Inhalt, nicht um das Datum. Gemeinsam haben israelische Regierung, Bild-Zeitung, die Deutsch-Israelische Gesellschaft und einzelne Po­li­ti­ke­r*in­nen wie der FDP-Abgeordnete Frank Müller-Rosentritt wichtige Stimmen in den Debatten über deutsche Erinnerungskultur und den Israel-Palästina-Konflikt unterdrückt. Das ist besorgniserregend.

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Jannis Hagmann
Redakteur Nahost
ist Redakteur für Nahost & Nordafrika (MENA). Davor: Online-CVD bei taz.de, Volontariat bei der taz und an der Evangelischen Journalistenschule Berlin, Studium der Islam- und Politikwissenschaft in Berlin und Jidda (Saudi-Arabien), Arabisch in Kairo und Damaskus. Er twittert unter twitter.com/jannishagmann
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20 Kommentare

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  • Diese Diskussion leidet unter einem falschen Vergleich. Statt die Nakba mit dem Holocaust gleichzusetzen, wird implizit Israel mit dem britischen Kolonialismus gleichgesetzt, bzw Israel allgemein Kolonialismus vorgeworfen. Dazu wird immer wieder die britische Balfour-Deklaration herangezogen, dabei gab es schon frühere Versprechen der Briten, den Juden das Gebiet zu überlassen. Während die Araber sich betrogen glauben, trifft das viel mehr auf die Juden zu. Die haben das Gebiet keineswegs von den Briten 'geschenkt' bekommen, vielmehr ging es in dem Weißbuch von 1939 darum, einen jüdischen Staat systematisch zu verhindern. Zu dem kam es erst durch erfolgreiche Kämpfe gegen die Mandatsmacht. Auch die Vertreibung ist keine Erfindung der Juden, sondern wurde von der Peel-Kommission als Transfer vorgeschlagen. Oft klingt es so, als müsse sich Israel an von den Briten gemachte Zusagen halten. Dabei werden die Rechte der Juden missachtet, die schon vor den Einwanderungswellen in Israel lebten. So stammt der Jerusalemer Talmut zumindest aus dem Umfeld der gleichnamigen Stadt. Die Diskussion um die Nakba ignoriert diese Bewohner beispielsweise von Safed. Solange das so ist, kann es keine gerechte Aufarbeitung der Geschichte geben.

  • Es ist schade, wenn Herr Hagmann nur nebenbei erwähnt, dass die Kritik hauptsächlich sich auf den Termin bezog und weniger auf die Auseinandersetzung mit dem Thema. Ich bin absolut dafür, den Schmerz der Anderen wahrnehmen zu können, Empathiefähigkeit ist heute eine seltene Gabe. Doch habe ich den Eindruck, dass dies nur von der jüdischen Seite eingefordert wird. Wie oft haben RLS und Goethe-Institut sich mit den größtenteils vertriebenen orientalischen Juden beschäftigt? Können diese Menschen sich auf die Sympathie von Herrn Hagmann verlassen? Zudem gibt es im islamischen Raum schon auch starke Kräfte, die beispielsweise die Shoah leugnen oder verharmlosen. Die Popularität von „Mein Kampf“ (arabische Version) in Ägypten spricht Bände.

  • Ihre Kollegin gibt dazu eine gute Antwort



    taz.de/Instrumenta...November/!5891886/

  • 3G
    31841 (Profil gelöscht)

    Die Situation scheint tatsächlich mit dem Titel des Buches in einer Weise berührt zu werden, dass es weh tut. Um wessen Schmerz soll und darf es gehen? Wer darf wessen Schmerz wann und wie „behandeln“? Gibt es eine politische Triage für die Rangfolge der publizistischen Behandlung von solcher Art Schmerzen?

    • @31841 (Profil gelöscht):

      Es gibt keine Reihenfolge, sondern nur ein "Zusammendenken". Das ist für die Opfergruppen nicht einfach, zugegeben, sollte für Aktivisten aber gelten. Zusätzliche Leseempfehlung grade zum Dissens: "Frenemies - Antisemitusmus, Rassismus und ihre Kritiker*innen" von Meron Mendel, Saba-Nur Cheema und Sina Arnold (Hg.)

  • Man muss sich mal vorstellen: Da schreibt eine kluge Frau nach langer Recherche ein Buch mit dem Titel: "Den Schmerz der Anderen begreifen: Holocaust und Weltgedächtnis | Ein Plädoyer für eine empathische Erinnerungskultur" wo es differenziert um die Shoa genauso geht, wie um andere Übeltaten, an deren Folgen die Menschheit heute noch leidet (z.B. Kolonialismus) und dann wird die Diskussion, die zu einem Zusammendenken und gemeinsamem Kampf gegen Antisemismus und Rassismus führen sollte. Hier kochen doch nur Leute, die jegliche Kritik an der Lage im nahen Osten verhindern wollen ihr die interessierten Menschen spaltetendes Süppchen. Und die Sprache und der Artikel der BILD dazu ist ja ein gräußliches Beispiel von Desinformation.

    • @HOT:

      Haben Sie nicht zumindest ein klein wenig Bedenken, etwas Misstrauen, wenn der Genozid gegen die Juden in einem Forum gemeinsam mit anderen Ereignissen der Weltgeschichte in gleiche Wägung debatiert werden soll?



      Worum es geht lesen Sie hier nach:www.yadvashem.org/...locaust/about.html



      Zitat:



      "Massenvernichtung selbst fand während des Zweiten Weltkriegs in Europa statt und umfasste die Ermordung von etwa sechs Millionen Juden in viereinhalb Jahren. Auf dem Höhepunkt der Vernichtung wurden innerhalb von 250 Tagen und Nächten, von April bis November 1942, zweieinhalb Millionen Juden ermordet – Männer, Frauen, Alte und hauptsächlich Kinder. Die Zahl der Morde nahm zwar ab, als die Anzahl der Juden geringer wurde, hörte jedoch erst mit der Kapitulation der Nationalsozialisten auf."



      Zitat Ende



      Bleibt da nicht ein ungutes Gefühl, wenn ausgerechnet deutsche Kreise die Nakba und den deutschen Genozid gegen die Juden gerne gemeinsam in einem Forum aufgreifen wollen, anstatt im Goethe-Institut in Tel Aviv darüber zu erzählen, wozu der Judenhass in Europa geführt hat?

  • Danke …anschließe mich •

  • Auch hier denkt man groß.

    Die „Gedankenpolizei“ aus dem dystopischen Roman 1984 ist das staatliche Überwachungsinstrument das allein schon den Gedanken oder den Wunsch einer Straftat als strafbar verfolgt.

    Soweit sind wir also schon.

    Krieg ist Frieden, Freiheit ist Sklaverei.

    Wenn es um Israel geht, ist schon lange Newspeak angesagt.

    • 6G
      655170 (Profil gelöscht)
      @Jim Hawkins:

      Nein.



      Die Politik der israelische Regierung rückt immer näher an "1984" heran.



      Und nochmal nein.



      Es geht nicht um "Israel", sondern um die bishe rechslastige, künftig wohl mit rechtsradikal-rassistischen Gruppierungen "garnierte" Regierung Israels.



      Aber wenn man jegliche Kritik verunglimpfen will, dann kann man schon behaupten, sie bezöge sich auf ganz Israel.

      • @655170 (Profil gelöscht):

        Zweimal Nein gibt einmal Ja.

        Aber das ist völlig egal, ich will ja nur jegliche Kritik verunglimpfen.

        Für die "Israelkritik" ist diese Regierung natürlich ein Pfund, schon klar.

        Aber Mal ehrlich, die tönt seit Jahren gleich, völlig unabhängig davon, wer die Regierung stellt.

        • @Jim Hawkins:

          Naja, „seit Jahren gleich“ ist schon etwas amüsant. Gucken Sie mal wann Bibi die politische Bühne betreten hat, vielleicht liegt’s ja daran. Und Sharon war auch schwere Kost. Die beiden Herren und deren Regierungszeiten (und Unterbrechungen als Gegentrend) lassen sich vermutlich gut mit kritischem Diskurs korrelieren.



          @all, ihr euch zum Großteil so an die Kehle geht und dabei dann nicht lest, was der andere, jenseits der einen oder anderen Provokation inhaltlich beitragen wollte, ist schon krass. Man ist doch nicht gezwungen, eine Partei zu ergreifen wenn es Ärger gibt! Etwas mehr Besonnenheit fände ich top.

          • @sachmah:

            Sie haben ja Recht.

            Sachliche Diskussionen sind wirklich selten und immer sind sie anderen schuld.

            Aber, es geht ja nicht um etwas Ärger. Israel ist die Lebensversicherung für alle Juden.

            Die Erfahrung mit 2000 Jahren Verfolgung und als Spitze der Holocaust erfordern als Antwort den jüdischen Staat Israel.

            Und wie der, spezifischer und heftiger als die meisten anderen Staaten, im Fokus der Kritik steht, bestätigt diese Notwendigkeit.

        • 6G
          655170 (Profil gelöscht)
          @Jim Hawkins:

          1. Was meinen Sie mit "Israelkritik" in dem Kontext, die aktuelle Regierung sei für sie "ein Pfund"? Untersellen Sie, dass jede Kritik an der israelischen Regierung nur camouflierter Antisemintismus ist? Jede? Merken Sie, dass Sie mit dieser Behauptung den Inhalt Ihres zweiten Satzes unterstreichen? Ich behaupte diese Haltung nicht von Ihnen, sondern habe nur einen Mechanismus beschrieben, mit dem Kritik an der israelischen Regierung und Administration rebulistisch diffamiert werden soll.



          2. Ihr letzter Satz: Bei uns in der Nähe gibt es eine Kirche. Deren Glocken schlagen seit Jahrzehnten jeden Tag mittags zwölf mal. Sogar mit Doppelschlag. Was ist daran falsch? Dass sie seit Jahren gleich schlagen?



          Obwohl es Zwölf Uhr ist?

          • @655170 (Profil gelöscht):

            Zu 2.



            Wenn Glocken mittags zwölf mal schlagen ist daran nichts falsch. Schräg ist aber, wenn Glocken 24 mal am Tag zwölf mal schlagen. Soll heißen, wenn für Sie jede israelische Regierung räächts, räächts, räächts ist, liegt das eher nicht an den israelischen Regierungen.

            • @Henriette Bimmelbahn:

              Sehr gut gesagt liebe Henriette!



              Das deutsche Milieu klopft sich auf die Schenkel, wenn sie mit dem Finger nach Middle East zeigend, über Israel den Begriff -rechts- aushängen kann, die für Deutschland historische Bedeutung -politisch rechts- gleichsam von hier nach Israel spülen wollen.

              • @Günter:

                Da schließe ich mich an.

          • @655170 (Profil gelöscht):

            Sagen wir so, die "Israelkritik" ist die zeitgemäße Variante des antisemitischen Ressentiments.

            Das heißt natürlich nicht, dass jede Kritik am israelischen Regierungshandeln oder auch an diesem Staat an sich, per se antisemitisch ist.

            Auffällig ist jedoch die geballte Häufigkeit, mit der einseitig über Israel oder auch den Nahost-Konflikt berichtet wird.

            Und, jede Wette, so gut wie jeder Artikel über dieses Themenfeld schießt im Forums-Ranking ganz schnell nach oben.