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Unruhen in SüdafrikaDas Pulverfass ist explodiert

Plünderungen und Unruhen weiten sich aus, 72 Tote werden jetzt gemeldet. Ausgelöst von Zuma-Anhängern, hält sozialer Frust die Gewalt am Leben.

Die Armee kam zu spät: Einkaufszentrum Jabulani Mall, Soweto, Dienstag Foto: Siphiwe Sibeko/reuters

Johannesburg/Soweto taz | Je nach Sichtweise ist die tödliche Gewalt, die sich in Südafrika ausbreitet, ein Ausdruck der sich auf die Straße verlagernden Spannungen innerhalb der ältesten Befreiungsbewegung Afrikas – oder die Explosion eines Pulverfasses in dem Land mit der weltweit größten sozialen Ungleichheit.

Seit Expräsident Jacob Zuma vergangene Woche freiwillig eine Haftstrafe wegen Missachtung der Justiz antrat, ist das Land in Chaos versunken: Massive Plünderungen von Einkaufszentren, verbreitete Zerstörung von Eigentum und Infrastruktur, 72 bestätigte Tote bis Mittwoch früh.

Zumas Heimatprovinz KwaZulu/Natal war Ausgangspunkt und Epizentrum der Gewalt, aber wie ein Buschfeuer hat sie sich in die Provinz Gauteng um Johannesburg ausgeweitet, das ökonomische Herz Südafrikas – hauptsächlich in Wohnvierteln von Zumas Zulu-Volksgruppe, der größten des Landes. Die Unruhen ergriffen am Dienstag auch die Provinzen Mpumalanga und Nordkap.

Während in KwaZulu/Natals Hauptstadt Pietermaritzburg Zumas Anwälte am Montag vor Gericht die Aufhebung seiner Verurteilung zu erreichen versuchen, flammte in der Stadt die Gewalt auf, und noch am Dienstagabend stieg Rauch von verkohlten Geschäftsgebäuden auf. Die wenigen noch offenen Läden wurden von Hamsterkäufern bestürmt; die meisten Verkaufsstellen sind entweder verrammelt oder verwüstet, Lieferungen gibt es nicht, weil die Einkaufsmeilen Kriegsgebieten gleichen. Grundnahrungsmittel werden allmählich knapp.

Der ANC ist zerstritten wie nie zuvor

Es war immer klar, dass die Inhaftierung Jacob Zumas und die Entfernung seiner Sympathisanten aus Spitzenämtern im regierenden ANC (African National Congress) nicht nur die Partei in schwerste Zerwürfnisse stürzen würde, sondern auch das gesamte Land, dessen 60 Millionen Einwohner in der Coronapandemie die schwerste Wirtschaftskrise seit Ende der Apartheid durchmachen.

Nie seit seiner Gründung 1912 war der ANC so zerstritten wie seit 2017/18, als er Zuma als Partei- und Staatschef zugunsten von Cyril Ramaphosa absetzte. Der 79-jährige Zuma, dessen Korruptionsaffären ihn nach neun Jahren an der Macht für den ANC untragbar machten, hat kein Amt mehr, aber er bewahrt erheblichen Einfluss und bleibt Südafrikas umstrittenster Politiker.

Präsident Ramaphosa hat nicht zur Entspannung beigetragen, indem er die schweren Unruhen auf „ethnische Mobilisierung“ zurückführte, womit er Zumas Zulu-Ethnie meinte. Zumas Sprecher Mzwanele Manyi keilte zurück: „Unserem Land würde es besser gehen, wenn Präsident Ramaphosa von seiner Verantwortung als Präsident Südafrikas entbunden wäre. Er hat komplett versagt.“

Die größte Oppositionspartei DA (Democratic Alliance) macht die internen Spannungen des ANC für die Plünderorgien auf den Straßen verantwortlich: „Es ist kein Geheimnis, dass Führer der Pro-Zuma-Fraktion sowie andere mit entsprechenden Interessen auf sozialen Medien zündeln“, sagte DA-Führer John Steenhuisen.

Die Partei hat Anzeige gegen Zumas Kinder Duduzane Zuma und Duduzile Zuma-Sambudla erstattet. „Unsere Gesellschaft ist schon ein Pulverfass, und wir brauchen keine weiteren Funken“, so Steenhuisen.

Hunger und Elend grassieren in der Bevölkerung

Derweil brennt das Land, und das Geschehen auf der Straße geht deutlich über ANC-interne Machtkämpfe hinaus. Zu den Plünderern gehörten Grundschulkinder und Rentnerinnen. Mütter mit Babys auf dem Rücken waren dabei. Frauen sammelten meist Lebensmittel und Kleidung, Männer Elektrogeräte wie Fernseher und Kühlschränke. Ganze Betten wurden fortgetragen. Besonders beliebt war Alkohol, zumal Ramaphosa ein erneutes Alkoholverkaufsverbot wegen Corona verhängt hatte.

Zumeist konnten Wachleute und Polizei nur hilflos zusehen, aber sie eröffneten auch gern das Feuer. Der Qualm brennender Ladenzeilen vermischte sich mit dem Geruch von Gummigeschossen.

Wie Junge und Alte in diesen kalten Winternächten ihr Leben riskierten, um sich Diebesgut zu greifen, machte deutlich, welches Ausmaß Hunger, Elend und Ruhelosigkeit mittlerweile unter weiten Teilen der Bevölkerung haben. Die offizielle Arbeitslosenquote liegt bei 32,6 Prozent, allein im zweiten Quartal hat Südafrika erneut 2,2 Millionen Arbeitsplätze verloren. Zumas Verhaftung war nur der Funke, der das Pulverfass explodieren ließ.

Kein Durchkommen mehr: Gesperrte Straße in Soweto Foto: Themba Hadebe/ap

„Wir haben nicht genug zum Leben“, erklärte beim Plündern in Soweto, dem größten schwarzen Township von Johannesburg, eine Frau, die ihren Namen nicht nennen wollte. „Wir kämpfen um Essen. Es gibt kaum Arbeit.“

Es gibt auch Plünderer in Luxuswagen

Während unzählige Südafrikaner in den letzten Monaten wegen der Pandemie untätig zu Hause saßen, verfolgten sie fassungslos die Enthüllungen der im Fernsehen übertragenen Untersuchungskommission über „State Capture“, die systematische Ausplünderung des Staates während der Zuma-Ära. Eine schmale Elite scheffelte Millionen, die Bevölkerungsmehrheit versank in Armut.

„Die Politiker können sich den Lockdown leisten, denn sie und ihre Familien leben im Luxus. Für uns ist ein einziger Tag ohne Einkommen eine Katastrophe“, sagt ein Plünderer, tief gebeugt unter seiner Last von Getränken, Maismehl und Turnschuhen.

Doch manche Plünderer fuhren in funkelnden neuen Luxuswagen vor, was bedeutet, dass entweder auch Reiche Existenzsorgen haben oder dass einfach kriminelle Energie am Werk ist.

Wirtschaftsperspektiven jetzt noch düsterer

Inzwischen ist die Armee gegen Plünderer im Einsatz, und es sammeln sich Bürgerwehren, um zu schützen, was noch übrig ist. Die Maponya Mall in Pimville in Soweto ist die einzige noch nicht geplünderte Mall des 1,7 Millionen Einwohner zählenden Townships. „Wir sind hier, um die Township-Ökonomie zu schützen“, sagt Nhlanhla Lux von der Bürgerwehr dort.

Die Plünderungen haben das Covid-19-Impfprogramm erneut zum Stillstand gebracht, und auch die Bemühungen zur Eindämmung der Pandemie sind angesichts der Gewaltszenen hilflos. Und Südafrika muss nun mit einer weiteren Verschlechterung seiner wirtschaftlichen Perspektiven und damit der Lebensaussichten seiner Bevölkerung rechnen.

„Der Test für Investoren wird sein, ob die Regierung die Lage unter Kontrolle bekommt“, sagt Deon Kohlmeyer von der südafrikanischen Rand Merchant Bank.

Präsident Ramaphosa hatte im November auf einer virtuellen Südafrika-Investitionskonferenz eine Zielmarke von Auslandsinvestitionen in Höhe von umgerechnet 70 Milliarden Euro bis 2023 gesetzt und Zusagen von etwas über der Hälfte davon erhalten. Aber „mögliche Investoren werden jetzt einfach canceln“, sagt Sifiso Mkhize, Wirtschaftsanalyst in Johannesburg. „Dieses Land ist jetzt Junk.“

Mitarbeit: Mthulisi Sibanda, ­Johannesburg

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23 Kommentare

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  • Bin gerade in Südafrika und vorgestern durch Johannesburg und Pretoria gefahren. Zu sehen war nichts, aber klar ist, das die Spezifikation der Variante B, die weder hier noch in Deutschland irgendeine Rolle spielt, als Südafrika-Variante mit Variantenstatus dem Tourismus, eine der Haupteinnahmequellen vor allem der schwarzen Bevölkerung, das Genick brach. Die Millionen Arbeitslosen sind eine direkte Folge davon. Hier halten sich mehr Menschen an die Hygiene-Regeln als bei uns, es ist eine Schande, was die reichen Staaten diesen Ländern antun.

  • Rein rational lassen sich die Gewalttaten nicht erklären, rein irrational sind sie aber auch nicht.



    Eine Mischung aus Aneignen der Waren und Zerstörung der Institutionen der erneuerten Marktwirtschaft: der Shopping malls.



    Die vielen Toten haben etwas Barbarisches.



    Verzweiflung, Enthemmung.

    • @nzuli sana:

      Was lässt sich daran nicht rational erklären?

      Plünderngehen als Form der persönlichen Bereicherung ist hoch rational.

      • @rero:

        Alter Armut und dann plündern nennt man nicht Bereicherung, zumindest verfehlt man damit um mehr als nur Nuancen, was da real dahinter steht.

  • Das ist letztlich auch nur die Fortschreibung eines zivilisatorischen Albtraums namens Kolonialismus bis in die Gegenwart hinein. Die Akteure wechseln, die Ungerechtigkeiten bleiben dieselben.

    • @Rainer B.:

      Die Akteure? Der ANC als Partei, die seit Jahrzehnte die Regierung stellt und sich seit Mandela in einen Selbstbedienungsladen wandelte ist eine kolonialistische Organisation?



      Dann ist die Erde vielleicht doch eine Scheibe.

      • @Rudolf Fissner:

        Und sie dreht sich doch!



        Kolonialisten betrachten nunmal ganze Länder als Selbstbedienungsladen - allerdings ohne eine Kasse am Ausgang.

  • "Zumas Verhaftung war nur der Funke, der das Pulverfass explodieren ließ"

    Nein. Er ist das Ende der Explosion.

    32% Arbeitslose, Korruption und eine Wirtschaft, die am Boden liegt, dass ist das Erbe, dass Zuma hinterlassen hat. Die ausgeraubten Läden sind nur ein Teil dieser Trümmer, die Zuma hinterlassen hat.

    Es kann nur besser werden.

  • Die Existenz vieler kleiner Händler ist zerstört.



    Bei den Protesten und Plünderungen wurden leider auch viele kleine Einzelhändler und kleine Geschäfte geplündert. Die Existenz dieser Händler ist nun zerstört, dabei sind sie ganz sicher nicht Ursache der Krise.



    Insofern verurteile ich diese Plünderungen aufs Schärfte, sie sind nicht zu rechtfertigen. Wenn, dann muss sich Volkes Zorn gegen die Regierung richten!

    • @Rudi Hamm:

      Ja. Auch mit einem neuen Gesicht traue ich dem ANC nicht zu den Karren, der von den Regierungen unter der ANC als n den Dreck gefahren wurde, wieder heraus zu ziehen.

    • @Rudi Hamm:

      Und Sie meinen die kommen bis zum "Präsidentenpalast" ohne vorher aufgehalten oder erschossen worden zu sein?



      Das mit dem Plünderungen ist leider zwiespältig, ja ich bin gegen Gewalt und somit auch gegen Plünderungen. Aber in einer Gesellschaft die so verarmt ist, und wo es immer noch soviele reiche Nutzniesser es gibt, kann ich es zumindest nachvollziehen warum da agiert wird. Nicht jedoch das auch kleine Märkte/Geschäfte geplündert wurden. Denn die haben sicherlich nicht an der Misere der Arbeitslosen und Co. etwas zu tun gehabt.

      Aber das ist in unseren Breitengraden ja ähnlich, bei Demonstrationen gegen EZB, G8 oder oder oder. Ich bin gerne bei jeder Protestaktion dabei, aber bitte ohne Gewalt. Aber ja auch ich weiß das irgendwann diese Protestaktionen leider abstumpfend sind.

  • Es geht doch wirklich nichts über ein freies Südafrika!

    • @rolf -berlin:

      Soll heißen?

      • @Nansen:

        Heißt nichts weiter als dass die Zustände in Südafrika noch nie so schlimm waren wie jetzt. Für Sie kann ich ja nächstes Mal ein anhängen.

        • @rolf -berlin:

          Es wäre besser, wenn Mandela nie von Robben Island runtergekommen wäre?

          • @Nansen:

            Mandela??? Der ist bereits 2013 verstorben. Oder reden Sie nicht über Nelson Mandela.

  • Ähnliche Bilder kennen wir aus den USA. Die Lehre daraus dürfte sein: Wenn die soziale Scheere zwischen den Schichten weit genug auseinander geht, die Ungleichbehandlung weit genug fortgeschritten ist, dann reicht ein Funke und die Bude brennt.

    • @m.d.bichlmeier:

      Korrelation nicht gleich Kausalität...in den USA gab es andere Gründe auf denen Trittbrett gefahren wurde

    • @m.d.bichlmeier:

      Oder aktuell eben auch Kuba, Hongkong etc. Dazu noch die Politikverdrossenheit in vielen Ländern...



      Ebenso haben wir Rohstoffmangel...also das könnte in den nächsten Jahren, wenn nicht gar Monaten noch richtig knüppelhart kommen. Und da nehme ich auch europ. Staaten nicht aus.

    • @m.d.bichlmeier:

      Wieso verweisen Sie sich auf die USA? Diese Situation kann überall dort auftreten, wo einst eine Befreiungsbewegung dem Volk die Lösung aller Menschheitsprobleme versprach und mit diesem Argument und mit Volkes Hilfe das bisherige Regime zum Teufel gejagt hatte.



      Doch die Verbesserung der Situation lässt Jahr für Jahr auf sich warten. Eine beliebte Begründung sind externe Feinde. Aber irgendwann will das Volk nicht länger warten und zeigt seine Ungeduld. Dann klammern sich die Machthaber mit Zähnen und Klauen an die Macht. Wenn es sein muss, auch gegen das Volk.



      Beispiele gewünscht? Südafrika, Kuba, Nikaragua, Venezuela. Sowie 1989/90 die kommunistischen Staaten Osteuropas, deren Völker die jahrzehntelange Miss- und Mangelwirtschaft satthatten.

    • @m.d.bichlmeier:

      Nur in (West-)Deutschland nicht. Da braucht es schon einen Flammenwerfer. Und selbst dann ist es fraglich, ob die Hütte Feuer fängt.

    • @m.d.bichlmeier:

      Sie finden genau die richtigen Worte! Danke