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Umweltorganisation widerspricht MinisterHabeck beim Klima zu optimistisch

Agora Energiewende kritisiert die CO2-Prognosen der Bundesregierung für 2030. Die Annahmen zu Wetter, Wachstum und Windausbau seien zu positiv.

Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, ist beim Klima zu optimistisch Foto: Kay Nietfeld/dpa

Berlin taz | Ob Deutschland sein Klimaziel für 2030 einhalten kann, wird gerade intensiv diskutiert. Während das Umweltbundesamt (UBA) und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) die Verringerung des Treibhausgas-Ausstoßes um 65 Prozent im Vergleich zu 1990 neuerdings für erreichbar halten, ist der Umwelt-Thinktank Agora Energiewende etwas vorsichtiger.

„Grundsätzlich“ sei die Reduktion in den kommenden sieben Jahren machbar, sagte Agora-Chef Simon Müller am Donnerstag. Das hänge „allerdings von vielen Faktoren ab“. Als Ergebnis der eigenen Überprüfung der UBA-Berechnungen nannte Müller einige kritische Punkte.

So gehe das Umweltbundesamt von der niedrigen Industrieproduktion 2023 aus, einem Jahr der Stagnation. Höheres Wachstum in Zukunft würde aber mehr Emissionen bedeuten. Ein anderes Beispiel: Die Annahmen zum künftigen Neubau von Windkraftwerken auf dem Meer (Offshore) hält Agora für überzogen und unrealistisch. Der dadurch berechnete Effekt für niedrigere Emissionen sei übertrieben.

Mitte März hatte das Umweltbundesamt mitgeteilt, dass der Kohlendioxid-Ausstoß 2023 um 10 Prozent gegenüber dem Vorjahr gesunken sei. Außerdem könnten die Emissionen bis 2030 um 64 Prozent im Vergleich zu 1990 zurückgehen, also beinahe das offizielle Klimaziel der Regierung erreichen.

Puffer einbauen

Dabei rechnen UBA und Ministerium damit, dass Autoverkehr und Gebäudeheizungen weiterhin mehr klimaschädliches Gas ausstoßen, als sie eigentlich dürfen. Allerdings werde das wohl durch Verminderungen in anderen Bereichen ausgeglichen. So sänken beispielsweise die Emissionen des Energiesektors stark, weil immer mehr Sonnen- und Windkraftwerke angeschlossen würden. Und in der Industrie seien Einsparungen möglich, weil die Umstellung auf CO2-freie Produktionsverfahren mit Milliarden Euro subventioniert würde.

Diese Prognose hält Agora für zu optimistisch. Neben Wachstum und Offshore-Ausbau nannte Müller weitere wackelige Punkte: etwa die Annahme milder Winter, die die CO2-Emissionen verringerten, die hohe Zahl neuer Wärmepumpen ab 2026 und die angesichts der Sparpolitik der Ampel fehlenden Mittel für Förderprogramme. Agora gab den Rat, die Projektion zu verbessern. Beispielsweise solle man Puffer einbauen.

Außerdem müsste auch die Zeit nach 2030 einbezogen werden. Dann sollte die Zahl der Benzin-Autos und Gasheizungen stark sinken. Wie das aber mit der bisherigen Politik zu erreichen sei, bleibe fraglich.

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11 Kommentare

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  • Die Politik wird überschätzt. Wenn die Menschen sich ihr Verhalten nicht ändern wollen oder können, sind unsere Tage als Krone der Schöpfung auf Erden gezählt. Ein kurzes aber heftiges Gastspiel. Eine Naturkatastrohe so zu sagen.

    • @Matt Gekachelt:

      Wenn 90 % der Menschen ihren Konsum und ihre Reisetätigkeiten so reduzieren würden, das wir auf den 1,5 Grad Pfad kämen, dann würde es den Kapitalismus und den Staat mit Steuereinahmen und einem Sozialstaat nicht mehr geben, Börsen und Banken würden zusammenbrechen, Staaten pleite gehen, weil sie ihre Zinsen und Schulden nicht bedienen könnten.

      Sie sollten den Preis der Rettung des Klimas schon benennen.

      Ich wäre durchaus offen dafür, auch selbst nur nach das Notwendigste zu konsumieren, aber dann dürfte ich meine Arbeit auch nicht mehr machen, die nicht wirklich notwendig ist und CO2 verursacht. Wie zahle ich dann meine Miete? Welche Arbeit ist wirklich notwendig?

      Es fehlen bislang schlicht die theoretischen und wissenschaftlichen Theorien und Vorleistungen für eine Kapitalismus Alternative.

  • Es setzt sich immer mehr die Erkenntnis durch, das wir realistisch betrachtet auf eine 3 Grad Erwärmung zusteuern. Da ist der moderate Klimaschutz mit Solar und Windenergie schon eingerechnet. Das 1,5 Grad Ziel ist gefährliches, unrealistisches Wunschdenken.

    Konsequenter Klimaschutz und Kapitalismus gehen nicht zusammen!

    Lesenswert dazu das Buch"Verkaufte Zukunft" von Jens Beckert vom Max Planck Institut.

    Die kurzfristigen Kosten eines konsequenten Klimaschutzes, der den Konsum und die Produktion drastisch schrumpft und zu Arbeitslosigkeit, sinkenden Steuereinnahmen und einer allgemeine Destabilisierung führt, übersteigen die langfristigen Gewinne einer lebenswerteren Klimas in der Zukunft.

    Das ist unser Dilemma! Etwas das Politier sich nicht getrauen zu kommunizieren.

    Aber wenigstens die TAZ könnten diesen Schleier mal wegziehen...

  • "...ist der Umwelt-Thinktank Agora Energiewende etwas vorsichtiger."



    Äh - haben die Agora-Leute etwa den Bericht des Bundesrechnungshofs zur Energiewende [1] gelesen???



    [1] www.bundesrechnung...ublicationFile&v=4

  • ist doch klar woher der Wind weht! Agora will wieder einen lukrativen Regierungsauftrag, damit die Vetternwirtschaft nicht trocken läuft! Wenn die sagen würden die REGIERUNG macht alles richtig- wovon soll der Graichen Clan dann leben?

    • @Thomas Zwarkat:

      Ändert es etwas an den wissenschaftlichen Fakten, wer es sagt? Eine Beruhigungspille wäre der Regierung sicher lieber. Auch den Grünen!

  • Zu viel Optimismus sehe ich auch bei ihm. Er hat wohl gerade vergessen, wer noch mitregiert.

  • Die deutschen Klimaziele (und auch die NDC anderer Staaten) sind kompatibel zu einer globalen Erwärmung um ca 3 Grad bis zum Ende des Jahrhunderts und nicht zum 1,5 Grad Limit, wie in Paris vereinbart. Leider will die Regierung das nicht zur Kenntnis nehmen und die Oposition oder die Bevölkerung schon gar nicht. Von der Klimawissenschaft hören wir, dass mit dem Überschreiten des 1,5 Grad Limits das Risiko steigt, unumkehrbare Kipppunkte des Klimasystems zu überschreiten. Es ist mir völlig rätselhaft, warum die Regierungen dieses Risiko eingehen wollen. Die Kipppunkte bedeuten, dass wir in eine Kasakade von erdgeschichtlich unvorstellbar schnellen Klimaveränderungen eintreten werden, die zu einem Massenstreben der Arten, auch der Menschen, führen wird und natürlich wird es die ärmeren Menschen zu erst treffen. Habeck versucht die Erfolge der Ampelrgierung hevorzuheben, und da gibt es sicher einige und das ist auch nicht falsch. Nur genutzt hat es auch nichts im Sinne eines Stimmungswechsels der Bevölkerung hin zu einem Befüwortung der erforderlichen Transformation. Hedwig Richter und Bernd Ulrich haben das Dilemma in einem lesenswerten Artikel (leider Bezahlschranke) zusammengfasst: www.zeit.de/2024/1...-krisen-rechtsruck

  • Mit klimaneutralem und günstigem Wasserstoff könnte es klappen - vielleicht nicht bis 2030 aber sicher bis 2040.



    Um klimaneutralen Wasserstoff in großen Mengen zu produzieren führt an Kernkraft kein Weg vorbei: www.reuters.com/bu...-plans-2023-05-18/

    • @Pi-circle:

      Nein, wir müssen das Wirtschaftswachstum stoppen und deindustrialisieren. Nichts kann ewig wachsen. Menschen können auch mit weniger Leben. Wenn das nicht ginge, wären wir längst ausgestorben! Wenn wir so weiter machen, haben wir vielleicht noch 20 Jahre.

  • Bei Agora Energiewende bin ich seit dem vermurksten Heizungsgesetz vorsichtig.