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Umgang mit Corona in DeutschlandSo geht Demokratie

In Zeiten eines grassierenden Virus oder einer anderen Bedrohung machen Politiker oft Fehler. Im Moment aber machen viele Vieles richtig.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gibt Auskunft über das Coronavirus Foto: dpa

W as auch immer in den nächsten Tagen und Wochen im Zusammenhang mit dem Coronavirus geschieht, etwas steht schon jetzt fest: Es werden Fehler gemacht werden, und das wird zu Ärger in der Bevölkerung führen. Vermutlich zu Recht. Krisen haben das so an sich. Bisher aber – und das ist ein unerwartetes Glück – machen sehr viele Verantwortliche sehr Vieles richtig.

Das Wichtigste: Gegenwärtig werden wir als die Erwachsenen behandelt, die wir sind. Regelmäßig bekommen wir Informationen, auch mögliche Probleme und ein unzureichender Kenntnisstand werden nicht verschwiegen. Sollte selbstverständlich sein, ist es aber nicht.

2015 ließ der damalige Innenminister Thomas de Maizière ein Fußballländerspiel wegen eines möglichen Terroranschlags absagen. Welche konkreten Hinweise und Warnungen ihn zu dieser Entscheidung veranlasst hatten, wollte er auf einer Pressekonferenz nicht mitteilen. Einige dieser Informationen würden „die Bevölkerung verunsichern“, erklärte er.

Nun kann es gute Gründe geben, gerade in einem so sensiblen Bereich wie der Terrorbekämpfung nicht alles zu erzählen, was man weiß. Aber Rücksicht auf zarte Gefühle gehört nicht dazu. Mündige Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch auf möglichst umfassende Aufklärung.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Im Augenblick wird dieser Anspruch erfüllt. Sei es der zuständige Bundesminister Jens Spahn, sei es die Berliner Gesundheitssenatorin Dilek Ka­lay­ci: Sie räumen ein, wenn sie etwas nicht wissen oder nur schwer einschätzen können. Sie geben zu, dass manche Entscheidungen keineswegs „alternativlos“ sind, sondern auf Güterabwägungen beruhen. Und dass man sie auch anders hätte treffen können. Wunderbar.

Das löst, zumindest bei mir, keine Verunsicherung aus, sondern baut Vertrauen auf. Liegt darin vielleicht die Lösung des Rätsels, wie Parteien der wachsenden Politikerverachtung begegnen könnten?

Wenn es nicht um eine Seuche geht, sondern um ein beliebiges anderes Thema, dann kommen politische Stellungnahmen seit Jahren glatt, gefällig und scheinbar widerspruchsfrei daher. Das müsste so nicht sein. Beispiel Grundrente.

Hätte nach erfolgter Einigung im Kabinett sich jemand hingestellt und erklärt: „Wir wissen auch noch nicht genau, ob wir ein bürokratisches Monster geschaffen haben. Aber sollte das so sein, dann muss eben nachgebessert werden“ – wie wäre wohl die Reaktion darauf ausgefallen? Abscheu, Empörung und Spott? Oder Respekt dafür, dass ein Politiker einräumt, nicht die Antwort auf jede Frage zu kennen? Was ja ohnehin alle wissen.

Zugegeben: Im Zusammenhang mit einer Pandemie gehen Verantwortliche ein geringeres Risiko ein als bei anderen Themen, wenn sie schlicht ehrlich sind und auf parteipolitische Profilierung verzichten. Denn diese Krise eignet sich schlecht für Wahlkämpfe – allenfalls im Rückblick, wenn bilanziert wird. Nicht aber, so lange sie andauert.

Der Umgang mit dem Coronavirus ist also – zumindest derzeit noch – keine Gelegenheit für demokratischen Meinungsstreit. Und dennoch ist er eine Werbeveranstaltung für die Demokratie. Über die Situation in abgeriegelten chinesischen Millionenstädten weiß die internationale Öffentlichkeit fast nichts. Über die Lage in abgeriegelten europäischen Ortschaften fast alles. Das erzeugt keine Panik, im Gegenteil. Es beruhigt.

„Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“, sagte die Lyrikerin Ingeborg Bachmann. Recht hatte sie.

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Bettina Gaus
Politische Korrespondentin
Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).
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16 Kommentare

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  • Korrigierte Fassung

    Virologe, Seuchenforscher Prof. Dr. Alexander S. Kekulé äußerte sich bei Markus Lanz 27.2. und heute DLF Kontrovers Sendung zu neuesten Coronavirus Covid2019 Entwicklungen in Deutschland.

    Kekulé betont, anders als es Bettina Gaus uns weismachen will, Bundesregierung habe zu spät angefangen, Deutschland systematisch auf das Coronavirus vorzubereiten, Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) habe vermieden bei Kostenübernahme des Staates, präventive Vorhaltung ärztlicher Spezial Atemschutzmasken in Kliniken zu sichern, statt Anfragen von Großhändlern Anfang Januar 2020 zu ignorieren, zugelassen, dass diese ihre gesamten Atemschutzmasken Bestände unvermindert nach China exportieren konnten .



    "Unsere Gesundheitsbehörden dürfen das Problem nicht länger verharmlosen", meint Kekulé. Er fordert flächendeckende Tests. Bisher fehle es von Amtswegen an hinreichend öffentlicher Aufklärung der Bevölkerung durch Anzeigen in Medien, TV Spots, Hauswurfsendungen über Ansteckungswege des Coronavirus Covid2019, Verhaltensempfehlungen, Gefahren der Ansteckung zu mindern. Gefahr gehe vor allem von Klimaanlagen in Flugzeugen, Großraumbüros aus, weniger an der frischen Luft über Atmung, sondern durch Hautkontakt mit Virus Schleimspuren. Es sei ein Fehler Gesundheitsministers Spahn gewesen, Karneval Veranstaltungen, angesichts der Lage, nicht zu verbieten.

    www.youtube.com/watch?v=h1PSLrpkInM

  • In kritischer Solidarität Dank an Bettina Gaus für ihren Beitrag.

    Wunderbar, wenn Bettina Gaus, mit sich im reinen, mit dem gegenwärtigen Regierungshandeln in Bund, Ländern auf dem Hintergrund drohender Coronavirus Covid 2019 Pandemie überaus zufrieden scheint, aber was hat das mit Vertrauensbildung, gar Stärkung der Demokratie zu tut, wenn bei ihrer Einlassung Stimmen der Opposition, der Kritik gar nicht vorkommen? Nichts.

    Denn die zumutbare Wahrheit, mit Ingeborg Bachmann zu sprechen, geht weit über Deutschland hinaus, die ist bei Pandemien woanders zu treffen, im Zustand, der Koordinierung in der Zusammenarbeit der aller Staaten der Weltgemeinschaft, UNO, WHO als Kontrastprogramm zu grassierend populistischen Bestrebungen von „Splendid Isolation“, Rückzug auf das Nationale, Rückfälle in Vorstellungen von Autarkie,, Protektionismus, Zollschranken, Ende freien Handels, Wandels, Verkehrs, von Personen, Gütern, Dienstleistungen, Ideen in Zeiten der Hyper Verschuldung von Staaten durch konventionelle, atomare Aufrüstungen, Blasenwirtschaft durch Nullzinspolitik der Zentralbanken, wettbewerbsverzerrende Subventionen von Währungsräumen, ganzer Branchen, einer Bundeswehr in gegenwärtig 11 Militär Interventions- , Stabilisierungsmissionen, u. a. Afghanistan, Syrien, Irak, Mali, Kongo, Küste vor Libanon, Somalia, lt. UNHCR Bericht (2018) 70 Millionen Geflüchteten inner- , außerhalb ihrer Heimatländer, fehlenden Nachrichten über Zustände, Coronavirus Infektionsgrad, medizinische Versorgung in Flüchtlingslagern, fehlender Bereitschaft der Kriegsparteien allerorten, angesichts drohender Coronavirus Pandemie Waffen ruhen zu lassen. Von all dem ist bei Bettina Gaus Einlassung kein Wort zu finden.

  • Eine Ursache für den "ehrlichen" Umgang mit dieser "Lage" ist möglicherweise, dass ein Virus sich seine Wirte nicht nach ideologischen Überzeugungen aussucht, oder zwischen Arm und Reich unterscheidet. Es geht bei dieser Lage n o c h nicht um einen Verteilungskonflikt, wie in dem Beispiel Grundrente.

    N o c h werden bei uns keine Menschen für den Ausbruch verantwortlich gemacht. N o c h sind wir nicht im Mittelalter; aber wir haben genügend Rassisten, die auf ihre Chance lauern. Und sie werden vermutlich schon morgen fordern, die Grenzen dicht zu machen. Spätestens aber, wenn nach der Grenzöffnung von Erdogan einer der Flüchtlinge mit dem Virus infiziert ist.

  • Auch ich finde das Reden und Handeln in dieser Sache unserer Politiker durch die Bank sachgerecht, besonnen und vertrauensbildend.



    Dadurch jedoch stellt sich mir um so mehr die Frage, warum das bei den allermeisten anderen, der Bevölkerung ebenso wichtigen Fragen nicht so ist!

  • So weit sind wir schon gekommen, dass wir jetzt die Aufklärung über den Verlauf einer Epidemie quasi als Sieg der Bürgergesellschaft feiern sollen.



    Jeden Tag bestätigt sich meine Befürchtung, dass wir den konservativ reaktionären Zeitgeist der Fünfzigerjahre wiederbeleben.



    Beim nächsten Luftschutz-Probealarm werde ich mich freuen, dass die Zivilgesellschaft ernst genommen wird.

    • @Rolf B.:

      "Jeden Tag bestätigt sich meine Befürchtung, dass wir den konservativ reaktionären Zeitgeist der Fünfzigerjahre wiederbeleben."

      Zustimmung.

  • Ich sehe diese Erwachsenen seit Tagen auf der Straße Atemmasken tragen, zumindest manche von denen scheinen die Krankheit mit der Beulenpest zu verwechseln und viele Medien tun dies auch (nein nicht nur das große Berliner Verlagshaus). Gut das die Politik transparent und aufgeklärt ist, die Menschen sind es Dank schlechter Berichterstattung bzw. sensationsheischender Meldungen trotzdem nicht. Werde gleich mal beim Newsticker zum Krankheitsausbruch nachschauen ob die Zahl der Infizierten in NRW auf mittlerweile 40 gestiegen ist.

  • Kein Zweifel: Deutschland ist gut aufgestellt. Unsere Politiker*innen sind außergewöhnlich kompetent und gehen alle Probleme mit Weitsicht und Offenheit an. Die Bürger*innen wissen das zu schätzen und verhalten sich kooperativ und verantwortungsbewusst. So schützt uns die Demokratie vor Krisen.

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Man hätte den Fasching absagen sollen. Braucht eh keiner.



    Geht aber in einer Demokratie nicht, in der 50% jeck sind.

  • Gilt leider nicht bei der Einführung der Impfpflicht.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    In aufgeregten Zeiten, in denen bereits die 'normalen' Abläufe des Alltags mit Argwohn und Besserwisserei goutiert werden, gilt dies ganz besonders für Krisen, die Ängste erzeugen.

    Da ist es ein Balanceakt zwischen Wachsamkeit auf der einen, Angemessenheit und Ruhe auf der anderern Seite.

    Menschen machen bereits Fehler im so genannten Normalbetrieb. Unter Druck wächst die Fehlerquote an. Da gilt es, die Bälle flachzuhalten und kein zusätzliches Öl ins Feuer zu schütten.

    Danke an Frau Gaus für ihre besonnenen Worte, die hier Sinn machen.

    • @76530 (Profil gelöscht):

      Danke, für Ihre staatstragenden Worte. Meine Meinung habe ich oben geäußert.

      Schon beim Wetterbericht bin ich dankbar für die Offenheit und die Schonungslosigkeit, mit der uns Regen und Sturm prognostiziert werden. Ein Sieg der Zuvielgesellschaft.

      • 7G
        76530 (Profil gelöscht)
        @Rolf B.:

        Wenn das für Sie "staatstragend" ist: so what?

        Im Fokus steht für mich primär die Frage nach dem IINTERESSE von Äußerungen und von Handlungen.

        In einer Gesellschaft und zu einer Zeit, in der eh schon große Hysterie wabert, wäre eine weitere Zuspitzung an dieser Stelle unverantwortlich. Zwischen öffentlicher Zustimmung in einem Forum und "Feiern" bestehen doch erhebliche Unterschiede - jedenfalls für mich.

        Es bleiben genügend andere Stellen, an denen sich Widerspruch und Widerstand lohnen. Solche, die nicht ohne Grund vom Radarschirm verschwinden.

        Gießkannenprinzip: nö.

  • "Gegenwärtig werden wir als die Erwachsenen behandelt, die wir sind. "

    Irgendwie macht dieser Satz Angst. Als wäre eine Selbstverständlichkeit, die ausgesprochen wird, etwas weniger selbstverständlich.

    • @pitpit pat:

      Aha. Und weil gerade alles so super läuft, mutieren gut informierte Erwachsene massenhaft zu hysterischen Preppern und kaufen hamstermäßig Drogerien und Supermärkte leer. 😤

      Die lukrative, prestigeträchtigsten Lust der Medien am Weltuntergang in allen Ehren, aber sollten hinreichend informierte Erwachsene nicht ein gewisses Verantwortungsbewusstsein an den Tag legen? Bevor die Panik selbst zur Pandemie wird, die mehr Opfer fordert als ein zusätzliches Virus, mit dem halbwegs intakte Immunsysteme mindestens so gut fertig werden wie mit der jährlich wiederkehrenden Grippewelle?

    • 8G
      82286 (Profil gelöscht)
      @pitpit pat:

      Empfehle Ihnen von Robert Pfaller "Erwachsenensprache".