Umbau der französischen Bahn: Streik bei Frankreichs Eisenbahnern
Die Gewerkschaften lehnen sich gegen die geplante Reform der Staatsbahn auf. Bis Juni wollen sie die Arbeit mehrmals in der Woche niederlegen.
Frankreichs Eisenbahner-Gewerkschaften legen das Land lahm: Am Montagabend um 19 Uhr sollte ihr Streik gegen die geplante Reform des staatlichen Bahnunternehmens SNCF beginnen. Die Eisenbahner drohen damit, bis Ende Juni im Wechsel zwei Tage zu streiken und drei Tage zu arbeiten. Die Direktion der SNCF hat die französische Bevölkerung gewarnt, dass es deshalb enorme Probleme im Bahnverkehr geben werde, wie man sie selbst im arbeitskampferfahrenen Frankreich selten oder nie erlebt hat.
Besonders stark betroffen ist der Nahverkehr. Mehrere internationale TGV-Verbindungen wie die in die Schweiz, nach Italien oder Spanien fallen überdies vollständig aus, bei den übrigen ist damit zu rechnen, dass nur einer von zehn Zügen fährt.
Die französische Regierung möchte die SNCF umbauen und so darauf vorbereiten, dass der Schienenverkehr für die europäische Konkurrenz geöffnet wird. Das war auf EU-Ebene vereinbart worden. Konkret betrifft die Reform den speziellen, vorteilhaften Beamtenstatus der Eisenbahner, der für Neueinstellungen nicht mehr gelten soll. Damit geht es in diesem Konflikt um ein Symbol des französischen Sozialmodells und um den öffentlichen Dienst, an dem die Franzosen und Französinnen besonders hängen. Binnen zwei Wochen ist der Anteil der Befragten, die voller Verständnis für die Streikenden der SNCF sind, von 42 auf 46 Prozent gestiegen.
Die SNCF-Direktion goss noch Öl ins Feuer, indem sie androhte, außer den effektiv bestreikten Tagen werde auch die in den Arbeitsplänen vorgesehene Ruhezeit nicht entlohnt. Die Gewerkschaften betrachten es als Provokation, dass den leitenden Angestellten, die sich als Streikbrecher einsetzen lassen, eine Prämie versprochen wird. Die Transportministerin Elisabeth Borne wirkt angesichts der verhärteten Fronten ziemlich verzweifelt.
Chaotische Verhältnisse ab Montagabend
Sie versicherte in den Medien immer wieder, es gebe noch Verhandlungen über die Ausgestaltung der Reform, und kritisierte, dass die Gewerkschaften trotzdem in den Streik gingen. „Die Franzosen haben keine Lust, drei Monate Schlamassel zu ertragen, der durch nichts gerechtfertigt ist“, sagte sie der Tageszeitung Le Parisien.
Ob die Regierung dieses sozialpolitische Stoppsignal beachten wird? Bisher gibt sie sich entschlossen. Knickt Präsident Emmanuel Macron hier ein, dürfte das seine Position für die weiteren Reformpläne arg schwächen. Sicher ist, dass der Streik ab Montagabend für chaotische Verhältnisse sorgen wird, und zwar nicht nur im Schienenverkehr: PendlerInnen dürften versuchen, auf das Auto oder Busse auszuweichen.
Damit wird das Chaos teilweise auf die Straße verlagert. Die zwei Streiktage Dienstag und Mittwoch sind bloß der Anfang einer Kraftprobe. Wenn das Bahnpersonal längere Zeit aushält, dürfte schnell die gesamte Volkswirtschaft betroffen sein. Zumal auch die Piloten, Hostessen und Stewards am Dienstag bereits zum dritten Mal streiken.
Leser*innenkommentare
Reinhardt Gutsche
Anfrage an Sender Jerewan
Die allgemeine teutonische Empörung über das soziale Lotterleben jenseits des Rheins speist sich nicht zuletzt aus der Vorstellung, die französischen Eisenbahner könnten im Gegensatz zu allen übrigen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes zehn Jahre früher in Rente gehen.
Antwort von Sender Jerewan: „Im Prinzip ja, aber es sind nicht zehn Jahre sondern nur fünf, und das nicht nur für die Eisenbahner, sondern auch für die Mehrzahl des übrigen Service publique.“
Für 90% der Cheminots ist die Schwelle mit 57 Jahren erreicht, und das auch zu drakonischen Bedingen. Das wären lediglich 5 Jahre früher als das gesetzliche Renteneintrittsalter. Dies gilt auch für sämtliche EDF- und RATP-Angestellten. Bei den größten öffentlichen Arbeitgebern Militär und Polizei beträgt das Eintrittsalter nach 27 Dienstjahren hingegen generell 52 Jahre, ab den mittleren Rängen schon nach 17 Dienstjahren. Die beamteten Ballett-Tänzer der Opéra beziehen mit 42 Jahren ein Ruhegehalt von 4000 €. (vgl. "Cliché. Retraite : les cheminots pas plus privilégiés que les danseurs étoile (et bien sûr les parlementaires)", "Marianne", 01. 03. 2018)
Christoph
Es ist ja schön, wie Sie sich bemühen, Verständnis zu wecken - und wer möchte nicht mit 55 (oder so) die Beine (natürlich auf Kosten der Allgemeinheit) hochlegen - bei einer Lebenserwartung von - sagen wir - 85 Jahren, wären das dann 30 Jahre fröhliches 'Lotterleben' - die/der Landwirt/in , die/der kleine Ladenbesitzer/in, selbständige Bäcker
usw. hingegen - Arbeiten bis zum tot-Umfallen, schliesslich: die Vielzahl der Arbeitslosen - Leben am Rande des Existenzminimums - von 'Lotterleben' keine Spur ...
Sven Günther
Was im Artikel natürlich nicht erwähnt wird, der Schuldenstand der SNCF Mobilité und der SNCF Réseau beträgt lt. inzwischen 50 Milliarden Euro.
Die SNCF kann so auf Dauer gar nicht weitermachen, vor allem wenn sie ständig von der Politik für wirtschaftspolitische Ziele benutzt wird.
Alstom geht es schlecht, ihr müsst neue TGV kaufen. Wir brauchen aktuell aber gar keine und verdammt teuer sind die auch. Egal Alstom geht es schlecht, ihr müsst die kaufen.
Hanno Homie
Noch funktioniert die französische Eisenbahn - solange nicht gestreikt wird - real deutlich besser, zuverlässiger und fahrgastfreundlicher als ihr verwirtschaftetes Pendant in Deutschland.
Aber auch das wird sich doch wohl im Rahmen der in den Köpfen herrschenden neoliberalen Agenda zuverlässig wegmachen lassen ... könnte sonst noch jemand auf die Idee kommen, dass es besser funktionierende Alternativen gibt.
warum_denkt_keiner_nach?
"Noch funktioniert die französische Eisenbahn - solange nicht gestreikt wird - real deutlich besser, zuverlässiger und fahrgastfreundlicher als ihr verwirtschaftetes Pendant in Deutschland."
Die unmöglich Zustand soll durch die "Reform" beendet werden.
danny schneider
lernen von den deutschen: mehr wie ein privates Unternehmen heist: teurer, veraltete Züge, schlechte Gleise, unpünktlicher, mehr Geld für den Vorstand
Thomas Fluhr
Vive la France!
Wenigstens auf sie ist verlass, brecht diese EU-Diktatur. Merci.