Ukrainekrieg tritt in neue Phase: Das Grauen im Osten
Russland bereitet einen Großangriff im Donbass vor. Für die Ukraine bedeutet das vor allem: Sie benötigt nun dringend mehr Angriffswaffen.
„Die Schlacht um den Donbass wird Sie an den Zweiten Weltkrieg erinnern“, sagte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba vergangene Woche bei einem Treffen der Nato-Außenminister in Brüssel. Das war ein überdeutlicher Wink mit dem Zaunpfahl, bei Waffenlieferungen noch einmal richtig nachzulegen.
Nach dem Abzug seiner Truppen aus dem Großraum Kiew bläst Russlands Präsident Wladimir Putin nun zum Großangriff im Osten der Ukraine. Ziel ist, die gesamten Gebiete Luhansk und Donezk zu erobern – einschließlich der Hafenstadt Mariupol, die fast vollständig zerstört, aber noch nicht komplett unter russischer Kontrolle ist. Gelänge Letzteres, wäre der Weg frei für die Schaffung einer Landverbindung zur Krim.
Doch es geht um mehr als territoriale Gewinne, und zwar für beide Seiten. Putin braucht einen Sieg für seine Beliebtheit an der Heimatfront, und das möglichst bis zum 9. Mai, dem Tag des russischen Sieges über Nazi-Deutschland 1945. Zudem würde ein militärischer Erfolg Russlands Position bei Friedensverhandlungen stärken.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Für den ukrainischen Oberst Oleg Schdanow wird im Donbass generell über Sieg und Niederlage in diesem Krieg entschieden. „Wir werden versuchen, die russischen Truppen in der OOS-Zone (Gebiete im Donbass, die derzeit noch umkämpft sind, Anm. d. Red.) oder im ganzen Donbass zurückzuschlagen und die Russische Föderation dazu zwingen, einen Vertrag zu unseren Bedingungen zu unterzeichnen“, schreibt er in einem Beitrag für das Onlineportal Novoje Vremja.
Einfach wird das allerdings nicht. Einer der nächsten Hotspots des Krieges dürfte die Stadt Slowjansk sein, die 2014 von prorussischen Kämpfern besetzt war, doch nach kurzer Zeit von der ukrainischen Armee zurückerobert wurde. Jetzt ist die Stadt erneut Ziel russischer Truppen, die von Norden her vorrücken. In der vergangenen Woche kamen dort bei einem russischen Angriff auf den Bahnhof 39 Zivilist*innen ums Leben.
Die Einnahme der Stadt ist die Voraussetzung, um die ukrainischen Truppen vom Nachschub abzuschneiden und weitere russische Streitkräfte in den Süden zu verlegen. Hielten die Ukrainer den Angriffen stand, würden Moskaus Ambitionen, die Kontrolle über die Gebiete Donezk und Luhansk vollständig zu übernehmen, vereitelt, heißt es in einem Bericht des US-Thinktanks Institute for the Study of War (ISW).
Mit Moskaus Strategiewechsel verändert sich auch die Natur des ukrainischen Militäreinsatzes. Ging es bislang um die Verteidigung von Schlüsselterritorien, verlagert sich das Kampfgeschehen nun an Orte entlang bestimmter Kontrolllinien. Will heißen: Die Ukraine benötigt jetzt mehr Angriffswaffen, um ihre eigene Gegenoffensive zu verstärken. Das ist der Hauptgrund, warum die Bitten der Regierung in Kiew um Waffen dringlicher werden. Den weiteren Verlauf vorauszusagen, ist schwierig. Fest steht jedoch wohl eines: Die Schlacht um den Donbass, schreibt die New York Times, wird „extrem grausam“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Aufregung um Star des FC Liverpool
Ene, mene, Ökumene