UN-Bericht zu Gewalt gegen Flüchtlinge: Tödliche Reise durch Afrika
Auf ihrer Reise zur Mittelmeerküste erleiden Flüchtlinge und Migrant*innen schwere Gewalt, viele sterben. Das geht aus einem neuen Bericht hervor.
Menschen in der Region würden durch Schmuggler, Milizen und Sicherheitskräfte „unaussprechliche Brutalität und Unmenschlichkeit erfahren“ heißt es in dem Bericht „On this journey, no one cares if you live or die“ („Auf dieser Reise kümmert es niemanden, ob du lebst oder stirbst“).
Flüchtlinge berichten darin von willkürlichen Tötungen, Folter, Zwangsarbeit und Schlägen, Verbrennung mit heißem Öl, geschmolzenem Plastik oder erhitzten Metallgegenständen sowie Stromschlägen und „Fesselungen in quälenden Positionen“. „Zu lange sind die grauenhaften Misshandlungen, die Flüchtlinge und Migranten auf der Landroute erfahren haben, weitgehend unsichtbar geblieben“, sagte der UN-Flüchtlingshochkommissar Filippo Grandi. Der Bericht dokumentiere „Tötungen und umfassende Gewalt der brutalsten Art gegen verzweifelte Menschen, die vor Krieg, Gewalt und Verfolgung geflohen sind“.
Da kein Staat der Region willens oder imstande ist, die Gewalt zu erfassen, ist es nicht möglich, genaue Angaben über die Zahl der tatsächlichen Opfer zu machen. Die Taten „spielen sich im Verborgenen ab, unter dem Radar der Behörden und der offiziellen Statistik“, heißt es in dem Bericht. Doch mithilfe von Zählungen und Berichten von Kontaktstellen entlang wichtiger Migrationsrouten schätzen die UN, dass in den vergangenen beiden Jahren mindestens 1.750 Menschen in der Region ums Leben gekommen sind. Damit wäre diese Strecke „eine der tödlichsten Routen der Welt für Flüchtlinge und Migranten“. Hinzugerechnet werden müssten die Ertrunkenen im Mittelmeer – das waren 2018 und 2019 zusammen rund 4.180.
In der Wüste sterben mehr Menschen als im Mittelmeer
Frauen und Mädchen, aber auch Männer und Jungen, seien einem hohen Risiko von Vergewaltigung und sexueller Gewalt ausgesetzt. In Nord- und Ostafrika seien vor allem Schmuggler Täter, in Westafrika seien es vor allem Sicherheitskräfte, Soldaten oder Polizisten. Viele Menschen berichteten, dass sie zur Prostitution oder zu anderen Formen der sexuellen Ausbeutung durch Menschenhändler gezwungen worden seien.
Etwa 28 Prozent der Todesfälle aus den Jahren 2018 und 2019 seien auf die Durchquerung der Sahara zurückzuführen. Orte, an denen es viele Opfer gab, waren die libyschen Städte Sabha, Kufra und al-Qatrun im Süden Libyens, das Schmugglerzentrum Bani Walid südöstlich von Tripolis und mehrere Städte entlang des westafrikanischen Abschnitts der Route, darunter Bamako in Mali und Agadez in Niger. Erst im Mai 2019 hatten Schlepper nahe der liybschen Stadt Mizda rund 30 entführte MigrantInnen ermordet. Dabei soll es sich um einen Racheakt gehandelt haben.
Diese Entwicklung hatte sich in den letzten Jahren abgezeichnet. Schon 2016 schätzte die IOM, dass möglicherweise ähnlich viele Menschen in der Wüste umkommen könnten wie im Mittelmeer. Damals hatte die Regierung von Niger die legale Route durch die Wüste von der Stadt Agadez nach Sabha in Libyen unterbrochen.
Die EU hat die Entwicklungshilfe für den Staat Niger danach stark aufgestockt. Wer Niger in Richtung Libyen durchqueren will, kann dies nicht länger in bewachten, legalen Konvois tun. Stattdessen bieten Schlepper eine hochriskante Passage, weitab von Straßen, Siedlungen, Wasserstellen und Kontrollposten an.
Libysche Polizei erschießt mehrere Sudanesen
2019 sagte der Libyen-Beauftragte des UN-Flüchtlingswerks UNHCR, Vincent Cochetel, der Welt, er gehe davon aus, „dass vermutlich mindestens doppelt so viele Menschen auf dem Weg zum Mittelmeer sterben wie im Mittelmeer selbst“. Die Zahl könnte aber auch „viel höher sein. Niemand kann es mit Sicherheit sagen, aber es ist eine Tragödie.“
Menschenrechtsgruppen wie die Initiative Alarm-Phone Sahara hatten in diesem Zusammenhang auch mehrfach die Regierung von Algerien kritisiert. Diese schiebt seit Jahren Flüchtlinge und MigrantInnen aus Westafrika über die Grenze nach Niger zurück. Teils mussten die Menschen von der Grenzlinie zu Fuß mitten in der Sahara zur nächsten Siedlung laufen, auch dabei starben immer wieder Menschen.
Just als die UN am Dienstag ihren Bericht vorlegten, erschoss die libysche Polizei vor den Augen von UN-MitarbeiterInnen drei Sudanesen und verletzte zwei weitere. Die Männer waren mit 70 anderen Flüchtlingen und MigrantInnen auf einem Boot Richtung Europa unterwegs, als die libysche Küstenwache sie aufgriff. Die Menschen wurden in die Hafenstadt al Chums gebracht.
Mitarbeiter der Internationalen Organisation für Migration (IOM) berichteten, dass die örtlichen Behörden zu schießen begannen, als die MigrantInnen versuchten, von der Landungsstelle zu fliehen. Zwei Migranten starben am Ort des Geschehens. Mitarbeiter des International Rescue Committee brachten einen Dritten ins Krankenhaus, er starb auf dem Weg dorthin.
„Das Leiden der Migranten in Libyen ist nicht hinnehmbar“, sagt der IOM-Missionschef in Libyen, Federico Soda. „Die Anwendung exzessiver Gewalt führt erneut zu sinnlosen Verlusten an Menschenleben.“ In Libyen gebe es für die Menschen keinerlei Schutz und es werde nichts unternommen, um dies zu ändern.
Nach Zählung der UN hat die Küstenwache in diesem Jahr bisher 6.097 Flüchtlinge und MigrantInnen auf dem Meer gestoppt und zurückgeholt. Sowohl die IOM als auch das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR haben erklärt, dass Libyen nicht als sicherer Hafen für Migranten eingestuft werden sollte und dass sie dort nicht von Bord gehen sollten. Sie wollen eine alternative Regelung, um Menschen, die auf See gerettet oder abgefangen wurden, in sichere Häfen zu bringen.
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