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Trendvokabel 2024Gelebte Demutkratie

Der Begriff Demut hat derzeit Hochkonjunktur in Deutschland. Von demütigen Politikern gefeiert, erobert er immer weitere Lebensbereiche.

Hinlegen in Demut – nur der Chef darf stehen Foto: robertharding/imago

D enk ich an Demut, denk ich an ­Priester in weißen Gewändern, die bäuchlings vor dem Altar einer Kirche liegen und den Teppich beschnuppern.

An was Annalena Baerbock („Demut vor der Aufgabe“), Armin Laschet („Demut in dieser entscheidungsreichen Zeit“) und all die anderen Po­li­ti­ke­r*in­nen denken, wenn sie Demut sagen – und sie sagen es ziemlich oft –, weiß ich nicht. Keinesfalls aber meinen sie damit, sich in den Staub zu schmeißen und auf Knien zu Kreuze, Wäh­le­r*in­nen oder Allgemeinwohl zu kriechen.

Demut hat in der politischen Betriebssprache mittlerweile ein Eigenleben bekommen, das reines Marketing geworden ist. Ursprünglich stammt es aus dem Mittelhochdeutschen, in dem die Dichter das Dienen meinten, wenn sie „diemüete“ sagten, aus dem sich „demütig“ entwickelte.

Natürlich wollen vor allem Po­li­ti­ke­r*in­nen so klingen, als würden sie dem Volk so ergeben dienen, wie sonst nur die Jünger ihrem Jesu. Denn Demut klingt einfach geil und nach dem Gegenteil von Ego, Narzissmus und Machterhalt.

Demut, is this you?

„Demut und Bescheidenheit sind für mich Begriffe, die zu Unrecht vollständig ausgestorben sind“, sagt Dieter Nuhr und liegt hier vollständig daneben. Es mag die Demut ausgestorben sein, der Begriff hingegen hat Hochkonjunktur.

Gleich zum Wahlkampfauftakt nach dem Bruch der Ampelregierung in diesem Jahr fand ein großes Demut-Battle statt: „Ich habe Demut vor der Größe der Herausforderung erfahren“, sagte Robert Habeck in seiner Bewerbungsrede als Kandidat für die Menschen in gewohnt leicht umständlichen Satz, der hier so klingt, als habe er ein religiöses Erweckungserlebnis gehabt und nicht schon vorher gewusst, dass Bundeskanzler als Vollzeitjob zu wählen, ziemlich ausfüllend ist.

„So sieht Demut nicht aus“, stänkerte anschließend Markus Söder über Habecks Kandidatur und hatte damit nicht ganz Unrecht. „Demut, is this you?“, fragt Ricarda Lang, seitdem Markus Söder auf Twitter unter Fotos vom CSU-Chef, in dem der Ostereier oder Pullover mit seinem Konterfei postet.

Schon 2011 erklärte Christian Lindner, nachdem die FDP mit 1,8 Prozent im Jahr 2011 aus dem Berliner Abgeordnetenhaus geflogen war: „Dieses Wahlergebnis nehmen wir in Demut auf“, um direkt hinterherzuschieben, dass die FDP in Regierungshandeln und bei der Euro-rettung keinen Korrekturbedarf sehe. Demut sieht anders aus, hätte Söder auch hier sagen können.

Fußball und Autozubehörbranche

Nach Medien und Politik kommen die ­Begriffe auch bald im Fußball an: „Wir ­sollten demütig sein, dass wir hier spielen ­dürfen“, sagt Aachens Trainer Heiner Backhaus.

Auch die Körperpflegebranche passt ihr Wording blitzschnell an, und so lässt der Fitnessforscher Marco Hoozemans wissen: „Ein wenig Demut vor dem Training würde vielen guttun.“ Freilich finden sich die Pioniere solcher Gedanken in der Unternehmensberatung: „Mit Demut zum Erfolg. Leadership im 21. Jahrhundert“ heißt das Buch der in dieser Branche tätigen Franziska Frank.

Die Kirche, aus deren Denkumfeld die ­Demut ursprünglich stammt – „In Demut schätze einer den andern höher ein als sich selbst“ (Phil 2,3) –, muss sich jetzt sputen, wieder Anschluss an den Diskurs zu finden. Die Pastorin Annette Behnken hat es geschafft und auch ein Buch veröffentlicht: „Demut – Hymne an eine Tugend“. Im Februar sprach sie das „Wort zum Sonntag“: „Wie großartig wäre es, wenn aus dem altmodischen Wort Demut eine angesagte Lebenshaltung würde.“

Da ist sie allerdings echt spät dran, denn Demut ist inzwischen sogar in der Autozu­behörbranche angekommen. „Mit Demut und Service“ betreibt CEO Markus Winter seine Verkaufsplattform Kfzteile24. Es lebe die ­Demutkratie!“

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Doris Akrap
Redakteurin
Ressortleiterin | taz zwei + medien Seit 2008 Redakteurin, Autorin und Kolumnistin der taz. Publizistin, Jurorin, Moderatorin, Boardmitglied im Pen Berlin.
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24 Kommentare

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  • Mancheine*r ist auf sehr stolz auf seine Bescheidenheit.



    „Wer seine (vorgebliche) Demut zur Schau stellt, ist stolz, nicht demütig." de.wikipedia.org/wiki/Demut

    • @starsheep:

      Weil es als Wort im Kurs hoch steht,



      Inflationär auf Steilkurs geht,



      Und mancher hier zu Vorsicht rät:



      Man sagt manchmal Humilität.

      Mich hatte auch das Wort "demütigen" interessiert, weil das in der Politik und im Alltag sicher öfter verwendet werden kann:



      humiliationstudies.org/

  • Interessanter Diskurs im politischen Zusammenhang!



    Am wenigsten demütig fand ich in den letzten Monaten die meisten Auslassungen von CDU PolitikerInnen, Spahn - Klöckner - Merz - Linnemann - Söder - Dobrindt, die fand ich eher maximal arrogant und selbstherrlich.



    Auch Frau Baerbock kann ich keine Demut abnehmen.



    Am ehesten fällt mir da Willi Brandt ein, vielleicht noch Johannes Rau.



    Bei Habeck äußert sich manchmal eine Haltung zur Demut.



    Demut in der Politik wäre für mich ein glaubwürdiger Ausdruck davon, nicht als einzigsteR absolut Recht zu haben.

  • Demut habe ich in den Slums von Monrovia und Abidjan gelernt. Es hat mich auch gelehrt mit dem eigenen Leben nicht mehr so zu hadern und genügsamer zu sein. Den eigenen Konsum zu reduzieren und mehr solidarische Gemeinschaft kann heilsam sein. Wir entwickeln uns gegenläufig. Jeder ist sich selbst der Nächste. Über Konsum und Besitz definieren wir uns. Demut gegenüber unseren Mitmenschen oder der Umwelt spielen da nur bei wenigen eine Rolle. Sie werden nur als Ressource angesehen die es auszubeuten gilt. Gegenstimmen werden mit Neiddebatten überzogen , Kapitalismus und Ausbeutung zu einer Mischung aus Naturgesetz und Religion erhoben.

  • Der Begriff Demut ist wirklich sehr inflationär ausgelutscht,



    Da versuche ich es lieber mit Übermut:



    Wie sagte Lovando sinngemäß bei Martina Tittel:



    "Kinder die nix wollen, kriegen auch nix "



    taz.de/Verlegerin-...bb_message_4897172



    Schönen Sonntag

    • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

      Demut, Übermut - was zählt ist Mut.



      Ringelnatz beschreibt den gut:



      www.projekt-gutenb...rdng/aller037.html

      • @starsheep:

        Ringelnatz hat natürlich recht!



        Unter dankender Kenntnisnahme bleibe ich bei meinem Übermut.

        • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

          „bleibe ich bei meinem Übermut."



          Unbedingt! Ich würde ihn vermissen. Nix für ungut.



          (Die Verkettungen in den Profilen waren mal wieder un.. [Urteil nach Wahl einsetzen].)

    • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

      Meine Mutter: Kinner die wat wollen, kriegen wat auffe Bollen.

      • @Die Schnetzelschwester:

        Mag schon mal zutreffen, aber willste nix, krixte nix war speziell auf die Initiative von Martina Tittel gedacht

  • Mit der Demut ists wie mit dem Regenbogen 🌈 - eine Trendvokabel die nun über Gebühr benutzt wird weil sich die Benutzenden davon einen Vorteil erhoffen🤷‍♂️



    So wie sämtliche Unternehmen im Pride Monat ihr Logo in sozialen Medien mit dem Regenbogen hinterlegen oder einfärben, so faselt halt nun jeder Politiker oder Unternehmer von Demut wenns grad dienlich ist.



    Ernst zu nehmen ist das freilich nicht - auch hier der Regenbogen als Benchmark - da wird die bunte Einfärbung ja auch von sämtlichen Firmenlogos nach dem Pride Monat direkt wieder entfernt und sowieso wird es ja nur in Ländern angewandt, wo man sich einen positiven Effekt fürs Unternehmen davon erhofft - die Internetauftritte der deutschen Autobauer bspw waren im arabischen Raum noch nie mit dem Regenbogen eingefärbt, das wäre ja ökonomischer Selbstmord.



    Ergo ist der Regenbogen ein Trend und keine Herzensangelegenheit für Unternehmen und so ists mit der Demut auch.



    So funktioniert halt unsere Welt 🌍

  • "Dienen" hat nichts mit sich Kleinmachen zu tun. Es hat vielmehr mit solidarischen Handeln und Mitfühlen um eine gerechtere Gesellschaft zu tun. In gesellschaftspolitisch, stark von kapitalistischen Interessen geprägten Zeiten passt sich auch der Charakter dieser sehr oft menschenunwürdigen Zeitgeistströmung an. Das führt dann eben zu einer populistischen Schwemme des Gebrauchs von "Demut".

  • Politiker benutzen das große Wort Demut. Ist das schon Satire?



    Demütig sollten wir vor und mit unserer Lebensgrundlage sein, anstatt sie mit Füßen zu treten. Und wenn schon, dann sollten wir sie barfuß Be-treten als sie mit Schuhen aus Plastik zu treten.



    Demut hat man vor dem Leben (und damit als unzertrennliche Einheit auch vor dem Tod). Vor Maschinen, Wirtschaft, Technik oder Herausforderungen Demut zu haben, zeigt nur die Schieflage.



    Wäre das Handeln von Politiker*innen durch Demut geprägt, hätten wir eine andere Politik und andere Politiker*innen. Und eine andere Welt.



    Es zeigt mal wieder eine klaffende Lücke zwischen Worten und Gerede - und den Taten und der Wirklichkeit.

  • Stimmt, das Wort ist in der Gesellschaft angekommen und der Inhalt ist abhandengekommen.

    Es ist Haltung und innere Einstellung, keine Floskel des Selbstmarketings.



    "Wer sich selbst erniedrigt, will erhöht werden.", sagt Nietzsche.

    • @Octarine:

      Recht hat er, der Nitsche !

      Aber auch interessant hierzu wie Rabbi Jonathan Sacks Demut sieht ; Demut als Wertschätzung seiner selbst, seiner Talente, seiner Fähigkeiten und seiner Tugenden. Ebenso beinhaltet Demut eine Wertschätzung anderer Menschen sowie eine Offenheit gegenüber der Welt.



      Eine falsche Demut wird auch in Tim 4,1 - 4 angedeutet : In kommenden Zeiten werden Menschen auftreten, die Askese und falsche Heiligkeit predigen.



      Altes Zitat : " Am häufigsten freilich kommt die Demut als Maske vor, deren sich die Heuchelei bedient, um sich Vorteile und Ehren zu erkriechen und zu erschmeicheln, weshalb eine absichtlich zur Schau getragene Demut als sicheres Warnungszeichen vor heimlicher Tücke angesehen darf.

  • Interessante u. bedenkliche Neuigkeiten:



    "Ein altes, aber kaum durch neuere Begriffe ersetzbares Wort, das eine Haltung beschreibt, bei der nicht der eigene Wille, die eigene Vorstellung oder Moral handlungsweisend wirkt, sondern das sich Einfügen in einen vorgegebenen oder übergeordneten Vorgang. Von der Wortherkunft her bedeutet Demut „die Gesinnung eines Gefolgsmannes, eines Dieners“ (Dien-Mut). Ein zentraler Begriff bei der Sterbebegleitung, denn die Achtung der Würde eines Menschen beinhaltet das Respektieren seiner Entscheidungen."



    Quelle



    www.palliativpsych...e.de/?page_id=1444



    /



    Assoziation: Diejenigen, die sich dem Dienen nach ihrer eigenen Fasson im selbsterwählten Jargon verschrieben haben, fordern jetzt wieder den Dienst, Staatstreuebeweise durch Pflichterfüllung an der Waffe, selbstverständlich durch andere, jüngere Bürger:innen. Damit dienen sie nach ihrer Auslegung dem Staat u. dem Volke. Pazifist:innen haben zu demütig andere Assoziationen, wie ich z.B. Eugen Drewermann interpretiere.



    Autor: Jonas Puchta



    Das Betroffensein von Demut: Ein phänomenologisches Deutungsangebot



    July 2023Neue Zeitschrift für Systematische Theologie und Religionsphilosophie 65(2)

  • Wunderschön, bitte mehr davon!



    In Demut...

  • Toller Journalismus: Um den Rahmen für einen Aufreger über Markus Söder zu setzen, einfach mal "Demut" googeln und die ersten 10 Treffer zu einem Text verwursten.

    • @Hector Savage:

      Eingabe in Suchmaschine: Söder + Demut;



      mit Suchfilter „wortwörtlich": keine Treffer.

      • @starsheep:

        Habe nie etwas Anderes behauptet.

        Etwas Demut beim Kommentieren hülfe.

        • @Hector Savage:

          Ich habe nur getestet. Ich habe nicht behauptet, Sie würden etwas behauptet haben. Nix für ungut.