Trendland Albanien: Kurz vorm Supermegahype
Menschen aus Westeuropa lieben es, in vermeintlich exotischen Regionen wie Osteuropa zu urlauben. Solange sie den Ort für sich beanspruchen können.
Ein Freund erzählte mir letztens von seinen Urlaubsplänen mit einer Bekannten: Albanien – am besten so schnell wie möglich, bevor, wie seine Bekannte sagt, der Supermegahype da völlig ankommt. „Warum machen eigentlich alle plötzlich Urlaub in Albanien?“, fragte die Journalistin Judith Liere bei Twitter.
Und als ich in diesem Jahr da war, im noch nicht ganz, aber fast Superhypeland, da saß im Bus vom Flughafen nach Tirana hinter mir dieser deutsche Typ um die 40, aber optisch bei seinem Studi-Macholook hängengeblieben. Zerzauste Haare, offenes Hemd, aus dem sein Brusthaar herauslugte. Er erklärte seiner deutlich jüngeren Freundin aufgebracht, dass das hier, als er früher da war, noch der echte Osten gewesen sei, richtig kaputt. Und jetzt: Alles verwestlicht. Und teuer! Noch schlimmer sei übrigens Prag.
Es ist ein unangenehmes Muster von privilegierten Menschen aus Westeuropa, Urlaub in vermeintlich exotischen Regionen zu gatekeepen. Die Länder als Urlaubsziel mit subtil imperialistischem Ansatz für sich und nur für sich zu beanspruchen und dann irgendwann als „zu touristisch“ abzuwerten. Nach dem Motto: Was, du fährst dahin? Da war ich vor drei Jahren schon, aber jetzt geht das echt gar nicht mehr klar, da sind ja alle. Im Tweet von Liere könnte man Albanien durch alle möglichen anderen Länder ersetzen, in die Billigairlines wie Wizz Air fliegen, die zum Hype und deswegen für einige nicht mehr besonders genug geworden sind.
Vor allem in Osteuropa, denn Langstreckenflüge machen sich nicht gut in der heroischen Explorererzählung. Wandern und raven in Georgien, baden in Montenegro, Kunst angucken bei der Manifesta im Kosovo – geht alles gar nicht mehr. Zu viel los. Zum Exklusivitätsgedanken kommt die Sehnsucht nach dem Kaputten, dem vermeintlich Authentischen. Urlaubsgatekeeper denken so sehr an sich, dass sie lieber ein ruinöses Ostland als Statussymbol bereisen, als diesem Land eine städtebauliche Entwicklung zuzugestehen, und regen sich dann zu Hause über ein Schlagloch auf.
Anpassung an die Gatekepper
Albanien jedenfalls, im Übrigen schon ziemlich lange ziemlich touristisch für Einheimische und die riesige albanische Diaspora im Ausland, hat seinen Wert als Fast-Supermegahype längst erkannt und versucht sich zumindest teilweise an die Gatekeeper anzupassen. Denn die haben, auch wenn sie überall den billigsten Angeboten hinterherjagen, oft mehr Geld zur Verfügung als das monatliche albanische Durchschnittseinkommen von umgerechnet 654 Dollar. „Wir wollen Touristen, die länger bleiben und mehr ausgeben“, sagte die albanische Umwelt- und Tourismusministerin Mirela Kumbaro vor Kurzem in einem Interview.
Darum werden auch für die Gatekeeper Angebote geschaffen, um das „Naturerlebnis Albanien“ zu ergründen und sich besonders zu fühlen. Der Nationalpark Prespa wird beispielsweise als Wanderparadies erschlossen. Aber: Konzept und Hilfe kommen nicht etwa aus Kumbaros Ministerium, sondern aus Bienenbüttel in Niedersachsen. Dort sitzt die Terolog GmbH, und die hilft mit, das Naturerlebnis Albanien an die Gatekeeper zu verkaufen.
Solange letztlich Geld in Albanien oder vergleichbaren Beinahe-Supermegahype-Ländern bleibt und tatsächlich auch noch Rücksicht auf die Natur genommen wird, ist das ja eine gute Sache. Die Gatekeeper sollten sich nur bewusst darüber werden: Sie sind Tourist*innen wie alle anderen auch, nicht unbedingt besser als andere und in der privilegierten Situation, überhaupt verreisen zu können. Sie sind Teil einer Industrie, die vielen Menschen in armen Ländern das Überleben sichert. Ein angemessenes Trinkgeld sollte also schon drin sein.
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