Trauer nach Tod im Polizeigewahrsam: Wie starb Qosay K.?

Qosay K., der am vorigen Wochenende im Delmenhorster Polizeigewahrsam gestorben war, wurde beerdigt. Kritik an der Polizei wird nur anonym laut.

Schwarz gekleidete Menschen tragen einen Sarg durch einen Park.

Eher Trauer als Wut: die Beerdigung von Qosay K. in Oldenburg Foto: Michael Trammer

OLDENBURG taz | Hunderte Menschen stehen am Donnerstagmittag auf dem jesidischen Gräberfeld des Parkfriedhofs Bümmerstede in Oldenburg. Einige Männer und Frauen spielen Oboe und Tambourin. Ein Sarg, bedeckt mit Blumen und einem Tuch, wird in ein offenes Grab gelassen. Mehrere Frauen rufen laut und schlagen sich auf die Brust. Vielen Teil­neh­me­r*in­nen sieht man ihre Trauer an. Der 19-jährige Qosay K. wird gerade im Kreise seiner Familie und Freun­d*in­nen beigesetzt.

Am Freitagabend war Qosay K. im Wollepark in Delmenhorst gegen 18.30 Uhr von Zi­vil­po­li­zis­t*in­nen beim „mutmaßlichen Betäubungsmittelkonsum“ kontrolliert worden. Er rannte weg und wehrte sich laut Darstellung der Polizei gegen eine Festnahme. Pfefferspray kam zum Einsatz und mehrere Be­am­t*in­nen „fixierten“ Qosay K., heißt es. Eine Behandlung durch Sa­ni­tä­te­r*in­nen soll er abgelehnt haben. In der Gewahrsamszelle sei der 19-jährige dann kollabiert, lag eine Zeit im Koma und verstarb später im evangelischen Krankenhaus Oldenburg.

Auch knapp eine Woche nach den Ereignissen ist einiges unklar. Eine erste Obduktion habe „äußere Gewalt“ als Todesursache ausgeschlossen, hieß es von der ermittelnden Staatsanwaltschaft Oldenburg. Das schriftliche Ergebnis einer zweiten, von der Familie beantragten Untersuchung steht noch aus. Um welche Betäubungsmittel es sich gehandelt haben soll, lässt die Staatsanwaltschaft auch auf mehrfache Nachfrage weiterhin unbeantwortet. Auch eine ­toxikologische Untersuchung steht noch aus.

Am Mittwochnachmittag wandte sich die Familie von Qosay K. über die Kanäle der jesidischen Gemeinde Oldenburg erstmals an die Öffentlichkeit und bedankte sich für das ausgedrückte Mitgefühl über den Verlust ihres Sohnes. Ein klares Bild der Umstände des Todes hätten sie noch nicht, versuchten dies aber auf dem Rechtsweg zu erlangen.

In den 1970er-Jahren baut die Neue Heimat die Hochhaus-Siedlung Wollepark direkt bei der Textilfabrik „Nordwolle“. 1981 geht die „Nordwolle“ pleite.

Nach der Pleite der Neuen Heimat in den 1980er-Jahren kauft die Stadt Delmenhorst einige der Wohnblocks. Die übrigen gehen an Kleinanleger. Viele Wohnungen werden illegal überbelegt.

2015 übernimmt die Stadt von den Stadtwerken rund 80.000 Euro ausstehende Gas- und Wassergebühren für die Blocks Wollepark 11/12, um Sperren zu verhindern.

Im April 2017 stellen die Stadtwerke das Wasser ab – wegen erneuter Zahlungsrückstände in Höhe von mehr als 100.000 Euro. Später wird in einigen Blocks das Gas abgedreht.

Ende April 2017 beginnt der Abriss der stadteigenen Blocks. Sechs sind bereits verschwunden, der Abbruch von zwei weiteren Blocks endet in diesen Tagen.

Der Oldenburger Rechtsanwalt Cahit Tolan unterstützt sie dabei. Am Rande der Beerdigung sagte Tolan der taz, momentan arbeite er noch daran, alles besser nachvollziehen zu können und ein Anwaltsteam zusammenzustellen. Es gebe verschiedene Abschnitte, die der Klärung bedürften. Das seien unter anderem die Festnahme an sich, der Einsatz des Pfeffersprays – und die Frage, warum die Polizei Qosay K. nicht unmittelbar in ein Krankenhaus brachte. Es gebe beispielsweise Anhaltspunkte dafür, dass das Gesicht von Qosay K. nach der Auseinandersetzung geschwollen gewesen sei.

Ob der Einsatz der Polizei unverhältnismäßig war, sei zu diesem Zeitpunkt unklar. „Es sind aber Indizien gegeben, nach denen man das Vorgehen der Polizei unter dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit prüfen muss“, sagt Tolan. Mit weiteren Ergebnissen rechnet er erst in mehreren Monaten. Vor Abschluss der Ermittlungen bitten die Angehörigen von Qosay K. darum, von Demonstrationen abzusehen, nicht vorzuverurteilen und Mutmaßungen zu unterlassen.

Denn vor allem auf Instagram und Facebook hatten Use­r*in­nen schwere Vorwürfe gegen die eingesetzten Po­li­zei­be­am­t*in­nen sowie die Polizei Delmenhorst erhoben. In Posts hieß es, die Polizei habe übermäßige Gewalt angewendet und die Rettungssanitäter*in­nen Qosay K. nicht richtig behandelt. Wasser sei ihm verwehrt worden. Einige Use­r*in­nen schrieben auch von eigenen Erfahrungen, die sie im Polizeigewahrsam in Delmenhorst gemacht haben wollen. Beamte hätten sie etwa auf der Wache zusammengeschlagen. Einer teilt eine Fotomontage eines Polizisten und eines SS-Manns. Wenig später wird der Beitrag gelöscht und um Entschuldigung gebeten. Auch ein Teil der Anschuldigungen ist wieder von den Accounts verschwunden. Zu groß sei die Angst, dass Behörden die Trauerfeier verhindern könnten, hieß es zunächst als Erklärung.

Auf Nachfrage wollten sich Jugendliche, die am Donnerstagnachmittag im Wollepark in Delmenhorst an einer kleinen Gedenkstätte für Qosay K. saßen, nicht öffentlich und mit Namen äußern – auch aus Respekt vor der Familie. Sie berichteten jedoch, es komme speziell im Wollepark immer wieder zu Polizeieinsätzen. Die Situation habe sich in den letzten Jahren verschlimmert. Eine weitere Gruppe, die ebenfalls anonym bleiben möchte, sagte der taz, auch sie fühlte sich durch anlasslose Kontrollen schikaniert. Zur Anzeige gebracht hätte sie Übergriffe aber nie.

Am Dienstag meldete sich der Polizeipräsident von Oldenburg Johann Kühme erstmals zu den Anschuldigungen zu Wort und verurteilte die Vergleiche mit „Nazi-Schergen“. Gleichzeitig wiederholte er die Bewertung des Vorfalls als „tragischen Unglücksfall“. „Absurd und infam“ sei die Unterstellung, dass bei der Delmenhorster Polizei Zel­len­in­sas­s*in­nen zusammengeschlagen würden. Das sei eine Verunglimpfung seiner Kolleg*innen. „Sie haben mein volles Vertrauen.“ Gegenüber dem NDR sagte Kühme, es liefen keine Ermittlungen gegen seine ­Be­am­t*in­nen – lediglich ein Todesursachenfestellungsverfahren.

Im Viertel um den Wollepark ist die Stimmung weiter merklich angespannt. An vielen Häuserfronten steht Qosay K.s Name, an einer Wand auch, dass er durch Polizeigewalt gestorben sei. Längst scheint für manche in der Gegend klar, wer die Verantwortung für den Tod trägt – jenseits der Ermittlungsergebnisse.

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