Tote bei Rettungsaktion vor Libyen: Küstenwache beschuldigt Sea-Watch
Ein Flüchtlingsboot, zwei Rettungsschiffe – am Ende waren fünf Menschen tot. Libyens Küstenwache macht eine deutsche NGO dafür verantwortlich.
Ein Schiff der Hilfsorganisation sei während einer Rettungsaktion am Montag aufgetaucht und habe unter den Flüchtlingen Chaos ausgelöst, hieß es am Dienstag in einer Erklärung der Küstenwache. Viele Menschen seien ins Meer gesprungen, um auf das Schiff „Sea-Watch 3“ zu gelangen. Dieses habe die Anweisung der Küstenwache ignoriert, sich zu entfernen.
Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete unterdessen am Dienstag von ihr vorliegenden Videoaufnahmen der Situation. Auf dem von den Libyern aufgenommenen Video sei zu sehen, dass einige Migranten versuchten, während der Rettungsaktion vom libyschen Patrouillenboot abzuspringen, um die Sea-Watch zu erreichen. Einige Migranten hätten geschrien, um von den Libyern freigelassen zu werden, als sich das deutsche Schiff näherte.
In dem Agenturbericht kommt eine der Geretteten aus Nigeria zu Wort, die nach Libyen zurückgebracht wurde. „Ich wollte Italien erreichen. Ich weiß nicht, was ich jetzt tun soll“, sagte Dora Onoruyi, eine 23-Jährige aus dem südnigerianischen Benin. Migranten, die nach Libyen zurückgebracht werden, werden dort in Lagern interniert.
„Es hätte niemand sterben müssen“
Die „Sea-Watch 3“ sei von der zentralen Seenotrettungsleitstelle in Rom mit der Rettung der Migranten beauftragt worden und gleichzeitig mit einem libyschen Boot bei dem Schlauchboot eingetroffen, sagte eine Sprecherin der italienischen Küstenwache. Damit bestätigte sie die Angaben der NGO. „Die libyschen Behörden haben die Koordination des Einsatzes übernommen“, sagte die Sprecherin. Sea-Watch nahm 58 Gerettete an Bord. Die Libyer brachten 45 Menschen zurück in das Bürgerkriegsland.
„Es hätte heute sehr wahrscheinlich niemand sterben müssen, wenn wir die Möglichkeit gehabt hätten, den Rettungseinsatz ruhig und besonnen durchzuführen“, sagt Sea-Watch Einsatzleiter Johannes Bayer. „Anstatt die Rettung mit den anwesenden Schiffen zu koordinieren, zu denen auch ein französisches Kriegsschiff gehört, haben die Libyer versucht, möglichst viele Menschen zurück nach Libyen zu verschleppen und dabei Tote in Kauf genommen“, so „Diese Toten gehen auf das Konto der sogenannten Libyschen Küstenwache.“
Lage der vergangenen Tage besonders dramatisch
In diesem Jahr sind nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) bereits 2.925 Migranten bei der Flucht über das Mittelmeer gestorben. Zuletzt sei die Lage besonders dramatisch gewesen, berichtete die Organisation am Dienstag in Genf. In nur vier Tagen seien fast 2.600 vor dem Ertrinken gerettet worden. 34 Menschen konnten nur noch tot geborgen werden, 50 gelten als vermisst. Es sei eine der „härtesten Woche für die Rettungskräfte“ gewesen, so IOM-Sprecher Flavio Di Giacomo. Im Vorjahr starben bis Anfang November fast 3.200 Männer, Frauen und Kinder.
Bis Anfang November nahmen laut IOM über 154.000 Migranten die gefährliche Überfahrt auf sich. Der Großteil der Flüchtlinge kommt weiterhin in Italien an, ein Viertel verteilt sich auf Griechenland, Zypern und Spanien. Die meisten Männer, Frauen und Kinder stammen aus Westafrika. 80 Prozent aller Frauen und Mädchen aus Nigeria sind nach einer jüngsten Studie der IOM Opfer von Menschenhandel und sexueller Ausbeutung. Flüchtlinge aus Bangladesch, Eritrea, Ägypten, dem Sudan, Marokko, Syrien und Libyen wurden ebenfalls in der Statistik erfasst.
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