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Tönnies und das Verbot von WerkverträgenVertrauen ist nicht angebracht

Jörn Kabisch
Kommentar von Jörn Kabisch

Das Kabinett bricht endlich mit seiner Linie, Versprechungen der Industrie zu vertrauen. Wirtschaftsliberale bringt das auf die Palme.

Schlachtung am Fließband: Tönnies-Mitarbeiter, neuerdings mit Corona-Schutz Foto: Tönnies/dpa

D ie Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) nannte den Mittwoch „historisch“. Aber gemach. Zwar hat das Kabinett dem Entwurf für ein Verbot von Werkverträgen in der Fleischindustrie zugestimmt. Doch noch ist das nur ein Regierungsbeschluss. Noch muss der Gesetzentwurf von Arbeitsminister Hubertus Heil durchs Parlament.

Und nach dem, was aus den Reihen der Union zu hören ist, ist sie gewillt, aus dem Entwurf des SPD-Ministers Hackfleisch zu machen. Denn der will der Leiharbeit generell an den Kragen, und vor allem der Wirtschaftsflügel der Union will das schon im Ansatz unterbinden. Gut möglich also, dass dem Werkvertragsverbot ein ähnliches Schicksal bevorsteht wie der Grundrente. Sie war ein Dauerbrenner zwischen den Koalitionspartnern.

Dennoch: Der Kabinettsbeschluss bricht mit der bislang ehernen Linie, im Umgang mit der Lebensmittelwirtschaft auf Selbstverpflichtungserklärungen zu setzen. Gerade auch der Fall Tönnies hat gezeigt, wie viel Vertrauen man der Industrie schenken darf, freiwillig etwas zum Besseren zu wenden, egal, ob es Umwelt, Tierwohl oder Arbeitsbedingungen angeht. Nämlich keines. Wenn schon das Vertrauen dahin ist, dann sind nicht nur Gesetze wichtig, dann ist es auch Kontrolle.

Deutsche Schlachtfabriken haben sich zu skandalumwitterten Orten entwickelt, nicht nur als Corona-Hotspots, sie waren es vorher schon für Listerien und Salmonellen. Die Politik muss deshalb dafür sorgen, dass ihre Regelungen auch effektiv überprüft werden. Und zwar, was Umwelt, Tierwohl und Arbeitsbedingungen angeht. Ein Blick in den Heil’schen Entwurf offenbart, was der Fleischwirtschaft da blüht. Er sieht Kontrollen erst ab 2026 vor und dann in nur 5 Prozent der Betriebe jährlich, also durchschnittlich einmal alle 20 Jahre pro Schlachthof.

Das ist zu wenig. Wenn nicht auch die Gewerbe- und Lebensmittelaufsicht verbessert wird, dann bekommt die Politik mit dem, was sie beschließt, solche Probleme wie die Industrie mit ihren schönen Absichtserklärungen. Man glaubt ihr nicht mehr.

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Jörn Kabisch
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8 Kommentare

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  • Alle reden über die Leiharbeiter aus dem Ausland, aber niemand mit diesen.



    Sicherlich werden sie nichts gegen höhere Löhne und geregelte Arbeitszeiten haben, aber ist sich jeder sicher, das sie einen Großteil ihres Lohnes für eine Wohnung in Deutschland ausgeben wollen ?

  • Mit einsetzender Vernunft hat das nichts zu tun.



    Offenbar ist einfach die Angst um die Gesundheit der Bevölkerung größer als das Erpressungspotential der einschlägigen Lobbiisten.

  • www.agrarheute.com...tm_term=2020-07-29

    .....und schon geht's los.....

  • taz: "Deutsche Schlachtfabriken haben sich zu skandalumwitterten Orten entwickelt, nicht nur als Corona-Hotspots, sie waren es vorher schon für Listerien und Salmonellen."

    Solange der Verbraucher für ein Kilogramm Hack beim Discounter fast nichts bezahlen muss, ist ihm das doch alles egal. Arbeiter in Schlachtfabriken sind nur Kostenfaktoren für die Besitzer, und die sollen natürlich so wenig Lohn wie möglich bekommen - da wird auch Corona nichts dran ändern. Mit den Krankenschwestern und Pflegern wird es ähnlich kommen, auch die werden nach Corona nicht besser bezahlt werden. Der Kapitalismus wird solange sein Spiel spielen, bis er sich selbst vernichtet hat.

    taz: "Und nach dem, was aus den Reihen der Union zu hören ist, ist sie gewillt, aus dem Entwurf des SPD-Ministers Hackfleisch zu machen."

    Und trotzdem wird die Union immer wieder gewählt. Die Gewinnmaximierung der Schlachthöfe geht dem Wirtschaftsflügel der Union eben immer noch vor Umwelt, Tierwohl und Arbeitsbedingungen. Wenn der Gesetzentwurf von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) nicht durchs Parlament kommt, weil die Union sich dagegen stellt, dann sollte die SPD endlich mal die Notbremse ziehen und die GroKo verlassen, sonst verliert die SPD auch noch den Rest ihrer Glaubwürdigkeit.

    • @Ricky-13:

      "Solange der Verbraucher für ein Kilogramm Hack beim Discounter fast nichts bezahlen muss, ist ihm das doch alles egal."



      Warum gilt es eigentlich immer wieder als zulässig, den Gesetzesbruch von Unternehmen den Konsumenten anzulasten, die auf die Einhaltung ebendieser Gesetze vertrauen?



      Warum sind die Bürger schuld, wenn der Staat seiner Aufgabe als Gesetzgeber und/oder Kontrolleur nicht ausreichend nachkommt?

      • @Encantado:

        Wenn der Verbraucher sein Einkaufsverhalten ändern würde, und nur hochpreisige, Regionale Produkte kaufen würde, bliebe die Billigware im Regal liegen und der Handel müsste sich umstellen. ABER wollen der Verbraucher oder Handel das überhaupt ?



        Mehr Geld für Lebensmittel ausgeben geht bei vielen Leuten eh schon nicht mehr, und ein Großteil die es könnten, tun es nicht, weil ihnen das Essen einfach nicht mehr Wert ist.



        Und für den Handel sind Lebensmittel nur Lockwahre, um die Käufer in ihr Geschäft zu bringen.

  • 0G
    02612 (Profil gelöscht)

    Welche Partei auch immer sich gegen diese längst überfälligen Gesetzesänderungen stell, riskiert seine Mitglieder und Wählerstimmen.

  • Ich sag' ja: die Wirtschaftsliberale sind Teil der organisierten Kriminalität.