piwik no script img

Thüringens Innenminister über die AfD„Wir sind Antifaschisten“

Georg Maier, SPD-Chef und Innenminister in Thüringen, spricht über den AfD-Landrat in Sonneberg, Versäumnisse und die Bedeutung sozialer Politik.

„Das Rechtsrockland Thüringen existiert so nicht mehr“, sagt Thüringens Innenminister Georg Maier Foto: Michael Reichel
Sabine am Orde
Interview von Sabine am Orde

taz: Herr Maier, was bedeutet der Wahlsieg der AfD bei der Landratswahl in Sonneberg für Thüringen?

Georg Maier: Das kann man jetzt noch nicht sagen. Wir müssen erst einmal schauen, was da konkret im Kreistag von Sonneberg passiert, wie Robert Sesselmann agieren wird, welche Beigeordnete berufen werden, wie sich die demokratischen Parteien verhalten.

Das Landesverwaltungsamt in Thüringen prüft derzeit, ob Robert Sesselmann als Landrat geeignet ist, weil die Thüringer AfD als rechtsextremistisch eingestuft wurde. Was bedeutet das konkret?

Im Thüringer Kommunalwahlgesetz steht, dass der Bewerber jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und der Landesverfassung einzutreten hat. Jetzt wird von Amts wegen überprüft, ob das bei Herr Sesselmann der Fall ist und war. Es ist eine Einzelfallprüfung. Die Mitgliedschaft in der AfD ist als alleiniges Kriterium nicht ausreichend.

Im Interview2Inews: Georg Maier Bio

ist 56 Jahre alt, Innenminister, stellvertretender Ministerpräsident und SPD-Landeschef in Thüringen. Der Diplom-Kaufmann wurde in Baden-Württemberg geboren.

Hätte das nicht im Vorfeld geschehen müssen?

Der Wahlausschuss des Landkreises kann in der knappen Frist im Vorfeld im Wesentlichen nur formal prüfen. Da geht es darum, ob die eingereichten Unterlagen vollständig sind und die Wahlvorschläge den gesetzlichen Anforderungen grundsätzlich entsprechen und somit als gültig zuzulassen sind.

Wie viel Schaden kann ein AfD-Landrat anrichten?

Die Demokratie von innen heraus auszuhöhlen, ist die Strategie der AfD. Da haben sie über diesen Landrat jetzt eine neue Plattform. Bei Feldern wie Migration und dem Ausbau erneuerbarer Energien ist ein Landrat ausführendes Organ. Aber er kann Sand ins Getriebe streuen, Prozesse verlangsamen, auch innerhalb der kommunalen Familie.

Wie groß ist der Anteil der SPD an diesem Ergebnis in Sonneberg? Welche Fehler haben Sie gemacht?

Wir stehen alle in der Verantwortung, da will ich meine Partei nicht ausnehmen. Wir haben in Thüringen diese komplizierten Verhältnisse, Rot-Rot-Grün fehlen vier Stimmen für eine eigene Mehrheit. In dieser Konstellation ist es uns nicht immer gelungen, zu zeigen, dass die Demokratie auch in schwierigen Zeiten funktionieren kann, dass man zusammenfindet und die schwierigen Prozesse angeht. Das macht es den Feinden der Demokratie leichter. Nach dem Kemmerich-Desaster

… also der Wahl des Kurzzeit-FDP-Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich mit den Stimmen der AfD …

… hat die versprochene Neuwahl nicht stattgefunden, weil erst einzelne CDU-Abgeordnete und dann auch noch welche von der Linken abgesprungen sind und es keine ausreichende Mehrheit mehr für die Auflösung des Landtags gab. So kann man der Demokratie schaden. Die SPD hat immer und immer wieder versucht, Brücken zu bauen, damit wir zeigen, dass nicht parteipolitische Interessen im Vordergrund stehen, sondern die des Landes. Das hätte gelingen müssen.

Und dass in Hildburghausen, ganz in der Nähe von Sonneberg, ein Bürgermeister der Linken mit Stimmen von Sozialdemokraten und Rechtsextremisten zu Fall gebracht worden ist, sehe ich natürlich auch sehr kritisch. Wir haben das als Landesvorstand klar missbilligt, das hat am Image der SPD auch Kratzer hinterlassen.

Die CDU meint, die Politik der Ampel ist schuld. Ist da was dran?

Natürlich spielt die Bundespolitik immer auch eine Rolle. Aber der Gegenkandidat war doch von der CDU. Warum soll die Ampel dran schuld sein, dass der nicht gewählt wird? Das leuchtet mir nicht ein. Und dieser neue Move von Friedrich Merz, die Grünen als Hauptgegner auszurufen, erscheint mir grotesk. Was ist denn, mit Blick auf Thüringen, das Ziel? Die Thüringer Verhältnisse noch komplizierter zu machen?

Ist es nicht sinnvoller, sich noch einmal an einen Tisch zu setzen – und ja, da sitzen dann auch Grüne und Linke dran – und zu schauen: Wie kriegen wir zum Beispiel den nächsten Landeshaushalt jetzt aufgestellt? Mit einem medialen Riesenstreit darüber wird die CDU die Leute doch nicht zurückgewinnen. Sie könnte bei einer Einigung sogar für sie wichtige Punkte durchsetzen.

Die SPD hat in der Stichwahl zur Wahl des CDU-Kandidaten aufgerufen, die anderen Parteien mit Ausnahme der FDP auch. Das hat nicht funktioniert. Ist die Strategie „Alle zusammen gegen die AfD“ gescheitert?

Ich habe es als meine Pflicht angesehen, zur Wahl des CDU-Kandidaten aufzurufen, und das ist mir extrem schwergefallen. Das ist ja nicht irgendeine CDU in Südthüringen, sondern die, die Hans-Georg Maaßen aufgestellt hat und noch immer zu ihm hält. Die AfD hat das genutzt, um uns alle als Blockparteien dazustellen. Deshalb habe ich mich am Ende eher zurückgehalten. Aber die Wahlempfehlung war richtig und notwendig, auch wenn es nicht erfolgreich war.

Sie haben als SPD-Chef gleich am Sonntagabend die anderen Vorsitzenden der demokratischen Parteien zum Gespräch eingeladen. Was wollen Sie damit erreichen?

Die SPD kann Brücken bauen zwischen Rot-Rot-Grün einerseits und CDU und FDP andererseits, das hat sich in der Vergangenheit gezeigt. Ich habe mir am Sonntag das Hirn zermartert, was jetzt zu tun ist. Und da kam mir die Idee, mich außerhalb von Regierung und Landtag im kleinen Kreis mit den Landesvorsitzenden der demokratischen Parteien zusammenzusetzen. Mein Ziel ist, dass wir wieder zu einem verlässlichen Mechanismus kommen, mit dem wir zeigen: Die demokratischen Kräfte arbeiten an der Lösung der Probleme der Menschen in Thüringen.

Mit Blick auf die Landtagswahl im kommenden Jahr könnte es aber reizvoll für die CDU sein, wenn Rot-Rot-Grün scheitert.

Wir haben doch gerade in Sonneberg gesehen, dass sich das für die CDU nicht auszahlt, sondern gut für die AfD ist. Aber die CDU hat da natürlich den weitesten Weg zu gehen, das sehe ich schon.

Und: Wer hat bisher zugesagt?

Die Grünen. Ich bin ja gespannt, wie sich CDU und auch die FDP verhalten, da käme ja mit Thomas Kemmerich auch jemand mit einer schwierigen Historie. Aber die FDP nicht einzuladen, wäre das falsche Signal gewesen.

Herr Maier, Sie sind ja auch Innenminister, Ihr Verfassungsschutz hat den AfD-Landesverband als erwiesen rechtsextrem eingestuft. Wenn wir nach Sonneberg schauen, zeigt sich: Das stört die Wäh­le­r*in­nen nicht.

Ja, das ist eine bittere Lehre. Dennoch ist es richtig, diese Instrumente zu nutzen und herauszuarbeiten, was die antidemokratischen Ziele der AfD sind. Aber es hat offensichtlich keine große Wirkung bei den Menschen hier erzielt. Es gibt eine gewisse Gleichgültigkeit den Rechtsextremisten gegenüber. Hinzu kommt, dass die Wählerinnen und Wähler mit der Wahl der AfD eine gewisse Wirkmächtigkeit erleben, indem sie es denen da oben mal zeigen können.

Heißt das, Sie sind der Ansicht, das sind Protestwähler?

Nicht alle natürlich. Es gibt die Überzeugten. Aber es gibt eben auch Mitläufer, die unzufrieden sind, sich überfordert fühlen, Angst haben vor dem Veränderungstempo und dann meinen, da bleibe nur, die AfD zu wählen. Das habe ich im Wahlkampf häufiger gehört. Hinzu kommt dann diese Distanzlosigkeit Rechtsextremisten gegenüber. Das wird ausgeblendet. Und es gibt auch neue Netzwerke.

In Gera müssen wir feststellen, dass da auch Unternehmer daran beteiligt sind. Das ist ein gesellschaftliches Thema, der Verfassungsschutz alleine kann da wenig ausrichten. Mich wundern auch die Wirtschaftsverbände in Thüringen. Warum sagen die nicht deutlicher, dass das, was die AfD propagiert, für die Wirtschaft Teufelszeug ist. Wir haben hier Fachkräftemangel, die großen Unternehmen hier brauchen den Euro, das Internationale, die Weltoffenheit.

Welche Konsequenzen ziehen Sie?

In Thüringen ist das Stammland der Sozialdemokratie, hier kommen wir her. In Gotha wurde 1875 die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands gegründet, daraus wurde später die SPD. Wir sind Antifaschisten, und da habe ich als Innenminister auch einiges vorzuweisen. Das Rechtsrockland Thüringen existiert so nicht mehr, in meiner Amtszeit sind über 30 Rechtsextremisten hinter Schloss und Riegel gebracht worden. Aber wir müssen auch die Themen in den Vordergrund bringen, die die Menschen mit bewogen haben, AfD zu wählen. Und das sind vielfach soziale Themen. Das Thema soziale Gerechtigkeit muss ganz oben auf die politische Tagesordnung, sonst bekommen wir auch die notwendigen Veränderungsprozesse nicht hin.

Also doch Kritik an der Ampel – Stichwort Heizungsgesetz.

Ja natürlich, das kann man nicht ausklammern. Und wir müssen auch den Blick mehr auf den Osten richten, wo die Verhältnisse nun mal andere sind. Die Menschen verdienen hier weniger, das Vermögen ist kleiner, das ist 33 Jahre nach der deutschen Einheit eine schreiende Ungerechtigkeit.

Erwarten Sie da auch von der SPD im Bund mehr?

Ja, ganz klar. Und das sage ich auch im Bundesvorstand immer wieder. Ich habe in den letzten Tagen ja oft gelesen, in Sonneberg stehe es wirtschaftlich gar nicht schlecht, die Arbeitslosigkeit sei niedrig. Aber 44 Prozent der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen beziehen den Mindestlohn, damit kann man sich eine niedrige Arbeitslosenquote auch erkaufen. Wir wollen nicht das Niedriglohnland sein. Die Tarifbindung hier ist unterirdisch schlecht. Das müssen wir stärker zum Thema machen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen