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Tarifkonflikt bei der BahnSchon auf Streiken eingestellt

Die Urabstimmung der Lokführer endet. Dabei geht es nicht nur um Lohn. Im Hintergrund schwelt der Konflikt mit der Eisenbahnergewerkschaft.

Eine Mehrheit der GDL-Mitglieder pro Streik gilt als sicher Foto: dpa

Berlin taz | Bahnreisende und Pendler müssen ab dieser Woche mit Streiks der Lokführer rechnen. Am Dienstag will der Chef der Lokführergewerkschaft GDL das Ergebnis einer Urabstimmung über den Arbeitskampf bekannt geben. Eine ausreichende Mehrheit der Mitglieder gilt als gesichert. Anschließend könnte es schnell zu Behinderungen im Schienenverkehr, zu Verspätungen oder Zugausfällen kommen. Denn es reichen wenige stillgelegte Züge an strategisch wichtigen Punkten, um den Fahrplan großflächig durcheinander zu bringen.

Die Arbeitgeber haben kein Verständnis für das Vorgehen. „Es gibt null Notwendigkeit für einen Streik“, sagt Personal-Vorstand Martin Seiler und fordert die GDL auf, den Konflikt auf dem Verhandlungsweg zu lösen. Doch die Gewerkschaft erkennt keinen Einigungswillen auf Seiten der Arbeitgeber und wirft Seiler anhaltendes „Tricksen und Täuschen“ vor. Die Bahn wolle eine kritische Gewerkschaft mundtot machen.

Die Lage ist so verfahren wie schon lange nicht mehr. Es geht zwar vordergründig nur um eine Lohnrunde. Die GDL fordert 3,2 Prozent höhere Entgelte und einen Corona-Bonus von 600 Euro für ihre Mitglieder. Die Bahn bietet zwar die 3,2 Prozent, will dafür aber eine lange Laufzeit von 40 Monaten für den Tarifvertrag durchsetzen und auch keinen Bonus zahlen. Dazu geht es um Regelungen für die Altersvorsorge oder Jobtickets und Beschäftigungszusagen. Die Spielräume der Bahn sind angesichts der finanziellen Lage des Konzerns gering. Corona hat 2020 und auch in diesem Jahr Milliardenverluste verursacht. Das Unternehmen hat im Gegenzug für Staatshilfen massive Einsparungen zugesagt, die unter anderem von den Beschäftigten geschultert werden sollen.

Es geht um die Verhandlungsmacht

Im Hintergrund schwelen zwei weitere fundamentale Konflikte, die Kompromisse erschweren. Die GDL befürchtet den Verlust ihrer Verhandlungsmacht, weil bei der Bahn seit Jahresbeginn das Tarifeinheitsgesetz angewendet wird. Es besagt, dass in jedem Betrieb nur der Tarifvertrag der größten Gewerkschaft gilt. Das ist bei den rund 300 Betrieben der Bahn in der Regel der der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG). In gut 70 Betrieben sind beide Organisationen vertreten. Nur in 16 davon hat die Bahn die GDL als führend bestätigt. Wie die Machtverhältnisse tatsächlich sind, ist nicht bekannt, weil die Mitgliederzahlen nicht offengelegt werden müssen. Ein Vertrag, der die Koexistenz zweier Tarifverträge regelt, ist Ende letzten Jahres ausgelaufen. Die GDL sieht sich an den Rand gedrängt.

Das Tischtuch zwischen den beiden Gewerkschaften ist schon lange zerschnitten. Das ist der zweite Konflikt, der diese Tarifrunde überschattet. Im vergangenen Herbst hat die GDL der EVG offen den Kampf um die Vorherrschaft bei der Bahn angesagt. Konkret will sie nicht mehr nur Lokführer und Zugbegleiter vertreten, wie es bisher der Fall ist. Sie will der EVG auch in den Instandhaltungswerken und anderen direkt zum Bahnverkehr zählenden Betrieben Mitglieder abjagen. Die Stimmung zwischen den Gewerkschaftsmitgliedern ist angespannt. Die EVG beklagt etliche Übergriffe auf ihre Mitglieder, bis hin zu einer anonym gesandten Gewehrkugel an einen ihrer Betriebsräte.

Die komplizierte Gemengelage lässt einen langen Arbeitskampf befürchten. Die Lokführer gelten diesbezüglich als verschworene Truppe. Die Arbeitgeber deuten an, auch eine längere Auseinandersetzung in Kauf zu nehmen. Womöglich springen Gerichte dem Unternehmen zur Seite. Wahrscheinlich wird die Bahn versuchen, Streiks als unverhältnismäßig verbieten zu lassen. Ob das gelingt, ist fraglich.

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9 Kommentare

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  • Das hat man sich ja schön zurechtgelegt: Es gibt sie jetzt auch in der "BRD": Die Einheitsgewerkschaft.

    Zumindest auf Konzernebene.

  • Die Aussage ist völlig korrekt. Die Bahn wird 2021 pandemiebedingt keine Dividende ausschütten (und es gibt ohnehin nur einen einzigen Aktionär - den Staat). Also Gewerkschaften: Jimmy sagt Nachziehen!

    • @TheBox:

      Dann war das Eis wohl zu dünn, auf das ich da gegangen bin.

  • Die Gewerkschaften sollten endlich mal überlegen, wie zeitgemäß die gegenwärtig praktizierte Form von Streiks noch ist. Vor allem im Dienstleistungsbereich.



    Denn damit treffen die Streikenden nicht nur ihre Unterdrücker und Ausbeuter, sondern vor allem andere Unterdrückte und Ausgebeutete, die sich ihrerseits nicht wehren können, denen Mehraufwand und –kosten entstehen, die ihnen, da „höhere Gewalt“, niemand erstattet. Und von denen „Solidarität“ erwartet wird.



    Ein Gewerkschafter sagte mir, als ich ihn daraufhin ansprach, es gäbe „leider“ keine andere Möglichkeit, sich zur Wehr zu setzen.



    Wirklich nicht? Nur ein Beispiel: Vor Jahren streikten die Beschäftigten des hiesigen städtischen Verkehrsbetriebes. Aber kein Bus und keine Straßenbahn fielen aus. Sondern die Streikenden verkündeten öffentlich, dass während der Streikdauer keine Fahrscheinkontrollen stattfinden würden. Nach wenigen Tagen war dieser Streik erfolgreich beendet.



    Natürlich hängt die Art und Weise des Streiks von der Branche ab. Aber es geht, man muss es nur wollen und Phantasie haben!

    • @Pfanni:

      Gute Idee. Auch die Kaffeekocher, Raumreiniger, Türaufhalter und Chauffeure sollten die Arbeit niederlegen - aber bei diesem Modell gehören die wohl zu einer anderen Berufsgruppe.

      Alle Räder stehen still,



      Wenn dein starker Arm es will.

      www.zeno.org/Liter...hen+Arbeiterverein

    • @Pfanni:

      Die Gewerkschaften sollten es die Großaktionäre halten. Diese verzichten während der Pandemie auf ihre Dividende. So könnten die Gewerkschaften auf Gehaltserhöhungen verzichten.

      Quizfrage: Was stimmt nicht an dieser Aussage?

      • @Jim Hawkins:

        So isses. Wobei auch der Bahnvorstand keine gute Figur macht: Der Plan war schon fix: Vorstände der Bahn sollten einen üppigen Gehaltsaufschlag kassieren. Daraus wird nichts. Doch allein die Tatsache, dass der Aufsichtsrat darüber nachdachte, wirft Fragen auf.



        Zitat aus der WiWo vom 25.03.

    • @Pfanni:

      Ganz im Geiste der Unternehmer gesprochen!

      Wahrscheinlich fällt Ihnen Ihr Egoismus nicht mal auf.

      Es geht ja gerade darum, dass Sie als Kunde was davon mitbekommen. Es wäre jetzt Ihre Aufgabe, sich mit den Streikenden zu solidarisieren und die Forderungen gegen die Unterdrücker, wie Sie es nennen, zu unterstützen.

      Aber alles, was Ihnen einfällt, ist zu quengeln, dass Ihr Tagesablauf durcheinander kommt.

      Fahrscheine nicht kontrollieren? Echt jetzt? 50% der Fahrgäste haben doch längst ihre Monatskarte bezahlt. Vertragsstrafen wegen nicht erbrachter Dienstleistung, das täte 'ner Firma weh aber doch keine unkontrollierten Fahrscheine.

    • @Pfanni:

      Sinnvoll wäre m.E., wenn Streik nicht mehr als höhere Gewalt gälte. Denn natürlich kann der Arbeitgeber bei einem Streik beeinflussen, ob er stattfindet - anders als z.B. bei Naturkatastrophen.