GDL-Chef Claus Weselsky über Tarifstreit: „Wir müssen klare Signale setzen“
Im Tarifkonflikt mit der Deutschen Bahn bereitet sich die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer auf einen Streik vor. Der Vorsitzende Weselsky gibt sich kämpferisch.
taz: Herr Weselsky, was ärgert die in der GDL organisierten Lokführer und Zugbegleiter am meisten an ihrem Arbeitgeber?
Claus Weselsky: Die Ignoranz gegenüber Problemen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die 24 Stunden am Tag, 7 Tage in der Woche ein rollendes System am Leben erhalten. Die Beschäftigten haben Führungskräfte wie bei der Deutschen Bahn nicht verdient. Die wissen nicht, unter welchen Arbeitsbedingungen die Beschäftigten unterwegs sind und haben kein Interesse daran, die auftretenden Probleme zu lösen. Hier herrscht absoluter Frust.
Das ist eine Kritik an der DB-Führung, die durch Streiks nicht behoben werden könnte...
Sie haben mich gefragt, was die größten Probleme meiner Leute sind. Und der Arbeitsalltag ist von der Erfahrung geprägt: Der Mensch ist eine Personalnummer und hat zu machen, was angewiesen ist.
geboren 1959, ist seit 2008 Bundesvorsitzender der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL). Der ausgebildete Schienenfahrzeugschlosser und Lokführer ist CDU-Mitglied.
Die GDL droht mit Arbeitskampf. Bis zum 9. August läuft die Urabstimmung. Was sind die konkreten Ziele?
Wir fordern eine Lohnsteigerung über der Inflationsrate. Es kann nicht sein, dass sich die Führungskräfte Boni in die Tasche stopfen, und der Mitarbeiter draußen hat mehr als 2 Prozent Inflationsrate in diesem Jahr und null Einkommenserhöhung. Das ist doch unanständig! Außerdem kämpfen wir für den Erhalt unserer Betriebsrente. Da geht es um einen „Zusatzversorgungstarifvertrag“, wo die kleinste Rente, die am Ende 150 Euro pro Monat ausmachen soll, um 50 Euro gekürzt werden soll, also um ein Drittel! Weil das Management sich verzockt hat, Milliarden an Schulden hat und nun keine Rückstellungen mehr bilden will.
Wenn man uns ernsthaft nur das Schreckensszenario anbietet, das eine andere Truppe namens EVG abgeschlossen hat, dann treibt das DB-Management uns gezielt in diesen Arbeitskampf.
Ist der Zeitpunkt für einen Streik günstig? Im August sind Schulferien, der Lockdown ist endlich gelockert.
Wir werden nicht bis zum Ende der Ferien abwarten, um niemanden zu beeinträchtigen. Denn es gibt überhaupt keinen Zeitpunkt, an dem ein Streik im Eisenbahnsystem günstig ist. Sollen wir etwa nachts zwischen halb zwei und zwei streiken, wo niemand weiter betroffen wäre, als durch eine halbe Stunde Verspätung? Das ist nicht der Effekt, den wir erzielen wollen.
Wir müssen das Management empfindlich treffen und als Eisenbahner klare Signale setzen: So nicht mit uns! Wäre es nach der Bahn gegangen, hätten wir Anfang April 2021 Verhandlungen gehabt, die scheitern und bereits dann zu einem Arbeitskampf hätten führen können. Aber das ging uns viel zu schnell. Wir wollten nicht überhitzen und vor allen Dingen auch nicht in irgendeine Falle laufen. Deswegen haben wir wissentlich die Sommermonate angestrebt.
Was ist Ihrer Meinung nach das Kalkül des DB-Vorstands?
Es ist klar erkennbar, dass die andere Seite den Arbeitskampf gezielt provoziert. Das hängt zusammen mit dem Tarifeinheitsgesetz. Man stellt darauf ab, die GDL absichtlich und wider besseres Wissen, also entgegen der Faktenlage, als klein darzustellen.
Die Bahn hat entschieden, dass wir angeblich nur in 16 Betrieben des DB-Konzerns die Mehrheit hätten. Es gibt insgesamt 174 Wahl-Betriebe, die im Kernsystem Eisenbahn zum Tragen kommen, davon 71 in den drei großen Fahrbetrieben Cargo, Fernverkehr und Regio und 103, die in den Bereichen Netz, Fahrweginstandhaltung und Fahrzeuginstandhaltung eine Rolle spielen.
Unsere Zielsetzung ist es, in diesen 174 Betrieben die Mehrheit zu erlangen. Dies ist einerseits legitim, es wird uns andererseits vom Tarifeinheitsgesetz aufgezwungen. Deswegen sind Schlagzeilen nach dem Motto „Machtkampf EVG gegen GDL“ im Prinzip nichts anderes als das Ergebnis der parlamentarischen Gesetzgebung durch CDU und SPD. In den letzten zwölf Monaten haben wir über 3.000 neue Mitglieder aufgenommen, alles aktive Eisenbahner, keine Rentner und Pensionäre. Von daher bin ich zuversichtlich, dass wir bei einer gerichtsfesten Zählung in den Betrieben in einer wesentlich größeren Anzahl jetzt schon die Mehrheit abbilden.
Wie beurteilen Sie das Wirken des Verkehrsministers Andreas Scheuer?
Er hat es geschafft, tatsächlich mehr Geld ins System zu bringen. Das wäre sehr positiv, wenn es in ein System fließen würde, das effizient ist und sich darauf konzentriert, was für uns alle gemeinsam von Bedeutung ist: Nicht durch Tunnelgraben oder irgendwelche Großprojekte, die als Leuchttürme dann dastehen, sondern im Kleinen und Alltäglichen verbessern wir die Eisenbahn. Hier mal eine Weiche, dort ein Stück zweites Gleis, einen Flaschenhals ausbauen, der den Zugverkehr und die Kapazität verengt.
Diese Vorgabe hat er jedoch nie gemacht. Und daher sage ich glasklar: Dieser Verkehrsminister hat für das System Eisenbahn versagt, weil er undifferenziert Geld reinpumpt und sich vom Bahn-Management erklären lässt, was er zu tun hat.
Sie sind ja selbst CDU-Mitglied, gehören also der Schwesterpartei der CSU an, eine besondere Absurdität der Konstellation, oder?
Nennen Sie es ruhig Absurdität oder Anachronismus, dass ein CDU-Mitglied Gewerkschaftsvorsitzender ist. Meine Parteizugehörigkeit und die Parteizugehörigkeit meiner Mitglieder sind deren Privatangelegenheit. Wir konzentrieren uns auf die Verbesserung von Arbeits- und Einkommensbedingungen. Ich bin sehr konservativ und hab damals in der CDU die einzige Möglichkeit gesehen. Dass ich das heute differenzierter betrachte, liegt unter anderem daran, dass meine Partei Miterfinderin des Tarifeinheitsgesetzes ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung
Resolution gegen Antisemitismus
Nicht komplex genug