„Tag-X“-Demonstration in Leipzig: Am Ende bleibt nur ein Kessel
In Leipzig protestieren Autonome trotz Verbots gegen das Lina-E.-Urteil. Die Polizei verhindert eine Demo. Grüne, Linke und Jusos kritisieren dieses Vorgehen.
An dem Park hatte der Verein „Say it out loud“. eine Demonstration angemeldet: „Die Versammlungsfreiheit gilt auch in Leipzig“. War das Teilnehmendenbild anfangs noch gemischt, prägten es nach und nach Vermummte. Deshalb musste die Demo, die eigentlich durch Leipzigs Südvorstadt gegangen wäre, stationär am Platz bleiben. Die Polizei drohte „Maßnahmen“ an, wenn die Vermummung nicht abgelegt wird. Darauf versuchte der schwarze Block in eine Seitenstraße loszuziehen, es kam zu Stein- und Flaschenwürfen.
Die Polizei ging sofort dazwischen und trieb die Protestierenden in den Park zurück, kesselte den schwarzen Block ein. Es kam zu vereinzelten Festnahmen, auch Wasserwerfer zogen von verschiedenen Seiten auf. Die Demonstration wurde schließlich aufgelöst. Die Teilnehmenden sollten den Park verlassen.
Solidarisch mit Eingekesselten
Eine Stunde später war der Platz weiterhin voll. Den Eingekesselten wurde Landfriedensbruch vorgeworfen, weshalb die Personalien aller erfasst werden sollten. Umstehende solidarisierten sich immer wieder mit der Gruppe.
Der Grünen-Politiker Jürgen Kasek, der den geplanten Aufzug am Alexis-Schumann-Platz geleitet hatte, kritisierte die Stadt und Polizei scharf. Obwohl im Kooperationsgespräch eine feste Demonstrationsroute zugesagt worden war, sei diese verwehrt worden – obwohl anfangs alles friedlich gewesen sei. „Ich habe den Eindruck, dass niemals vorgesehen war, dass wir laufen dürfen“, sagte Kasek der taz. Er sprach von einem „eklatanten Bruch der Grundrechte“.
Auch die Linken-Landtagsabgeordnete Jule Nagel kritisierte, dass die Demonstration nicht loslaufen durfte und warf der Polizei mangelnde Deeskalation vor. Die Jusos Leipzig kritisierten die Polizeimaßnahmen ebenso als „unverhältnismäßig und eines Rechtsstaates unwürdig“.
Hubschrauber am Himmel
Schon seit Monaten hatte die autonome Szene zum „Tag X“ nach Leipzig aufgerufen, sobald im Prozess gegen die Leipzigerin Lina E. und drei Mitangeklagte wegen Angriffen auf Rechtsextreme das Urteil fällt. Das war nun am Mittwoch geschehen: Das Quartett war vom Oberlandesgericht Dresden zu Haftstrafen bis zu gut 5 Jahren verurteilt worden.
Bereits am Donnerstag hatte jedoch die Stadt Leipzig die Demonstration verboten. Laut Polizei- und Verfassungsschutzprognosen sei von einem „unfriedlichen Versammlungsverlauf“ auszugehen, der die „öffentliche Sicherheit unmittelbar gefährden“ würde. Tatsächlich war in Aufrufen die Rede davon, die Wut über das Urteil auf die Straße zu tragen. Ein anderer kündigte eine Million Euro Sachschaden für jedes verhängte Haftjahr an. Sowohl das Verwaltungsgericht Leipzig als auch das Oberverwaltungsgericht in Bautzen wiesen Beschwerden dazu zurück. Auch eine Eilklage vor dem Bundesverfassungsgericht scheiterte am Samstagnachmittag.
Die Leipziger Polizei reagierte mit ihrem größten Polizeieinsatz seit Jahren. Mehrere tausend Einsatzkräfte waren auf der Straße, Unterstützung kam von der Bundespolizei und fast allen Bundesländern. Am Himmel kreisten Hubschrauber, ein 48-stündiger „Kontrollbereich“ wurde eingerichtet, stationäre Kameras wurden aufgestellt. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) und Innenminister Armin Schuster (CDU) besuchten die Leipziger Einsatzzentrale. Gleichzeitig fanden in Samstag in Leipzig auch noch ein Stadtfest, ein Konzert von Herbert Grönemeyer und das Sachsenpokalfinale statt.
Aufruhr in Connewitz
Ein Bündnis von linken Leipziger Gruppen um die Linken-Landtagsabgeordnete Jule Nagel hatte im Vorfeld an die Teilnehmenden noch appelliert, Leipzig und Connewitz „nicht zu zerkloppen“. Man teile die Kritik an den Urteilen gegen die Gruppe um Lina E., verstehe aber nicht, „was daran sinnvoll wäre, Scheiben einzuwerfen und möglichst hohen Sachschaden zu verursachen“.
Bereits am Freitagabend war es aber in Connewitz nach Einbruch der Dunkelheit zu Stein-, Flaschen- und Feuerwerkswürfen auf die Polizei gekommen. Auf mehreren Straßen wurden Barrikaden gebaut und Autos beschädigt. Die Polizei reagierte mit Tränengas. Zuvor war zu einem „Massencornern“ aufgerufen worden.
Laut Polizei wurden 23 Beamte leicht verletzt, einer sei zur Behandlung ins Krankenhaus gekommen. Ein Journalist sei von einer unbekannten Person attackiert und leicht verletzt worden. 17 Einsatzfahrzeuge seien beschädigt worden. Bis zum frühen Morgen habe es drei vorläufige Festnahmen wegen schweren Landfriedensbruchs gegeben.
Nichts zu sehen von Lina E.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte zuvor erklärt, es dürfe „keinen Raum für Selbstjustiz geben“. Gewalt sei „niemals ein legitimes Mittel politischer Auseinandersetzung“. Die Sicherheitsbehörden würden die linksextreme Szene in nächster Zeit „noch stärker in den Fokus nehmen“.Auch der Verfassungsschutz hatte vor einer „hohen Resonanz“ der Szene auf die Urteile gegen die Gruppe um Lina E. gewarnt. Der Gewalt in der Szene seien „kaum noch Grenzen gesetzt“.
Von Lina E. selbst war am Samstag nichts zu sehen. Sie war nach ihrer Verurteilung vor dem Oberlandesgericht Dresden am Mittwoch für viele überraschend haftverschont worden. Zwei Mal wöchentlich muss sie sich nun auf einem Leipziger Polizeirevier melden, ihre Ausweise musste sie abgeben. Ihrem erstem Meldetermin am Donnerstag war sie nachgekommen, wie ihr Anwalt und die Polizei bestätigten.
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